Der neue Roman von Bestsellerautor Dave Eggers dreht sich um einen zutiefst frustrierten Mittdreißiger trieft vor moralischer Anklage.

Es ist schwierig, wenn man als Helden seines Romans eine Figur erfindet, die Menschen entführt und fesselt, in der Absicht, von ihnen Fragen wahrheitsgemäß beantwortet zu bekommen. Diesem Kriminellen möchte man schon aus dem Grund nicht folgen, weil man sich viel eher in die Rolle der verzweifelten Entführten hineindenkt, als in die des Kidnappers, der phasenweise wie ein Irrer wirkt. Vor solchen Menschen hat man Angst, liest man doch gelegentlich über ihre Taten in Zeitungen, wenn sie Behördenmitarbeiter bedrängen, Ex-Partner terrorisieren oder in ihre ehemalige Schule eindringen. Meist in keiner guten Absicht. Zuweilen werden sie sogar zu Attentätern und Amokläufern. Schrecklich.

Noch schwieriger wird es, wenn der Roman ausschließlich in Dialogen geschrieben ist. Überdies geht es bei jedem der Entführten dann auch noch um ein großes Thema: Krieg, Liebe, Rassismus, Familiendrama, Pädophilie. Auf all das will Thomas, der Romanheld, von seinen Opfern letztgültige Antworten bekommen. „Haben Sie’s nicht ‘ne Nummer kleiner?“, möchte man den Autor des Romans „Eure Väter, wo sind sie? Und die Propheten, leben sie ewig?“ fragen.

Dave Eggers schreibt mit diesem Buch, dessen Titel er dem Alten Testament entnommen hat, über geradezu alttestamentarische Rachsucht. Thomas, der ohne Vater aufwuchs und nach Zielen, Führung, Vaterfiguren sucht, findet statt Halt nur Niedergang, Korruption, Lügen und das Ende des amerikanischen Traums. Er will wissen, wie es dazu kam, überfällt die Leute, betäubt sie und sagt dann wohl so etwas wie: „Wir zwei müssen reden.“

Gewiss, die kaputte Familie, der erschossene Freund oder die politische Lage, die den Menschen „keine Aufgaben mehr gibt“, sondern sie sich selbst überlässt, sind beklagenswert. Und Eggers, der sich privat für gemeinnützige Programme mit Jugendlichen einsetzt, für mehr Bildung und bessere Ausbildung, hat genug gute Gründe für seine Gesellschaftskritik. Leider wählt er dazu nicht nur die falsche Form, den Dialog, sondern auch den falschen Helden, einen durchgeknallten Mittdreißiger, der einen Astronauten, einen Kongressabgeordneten, einen Polizisten, seine Mutter, seinen pädophilen, einstigen Mathelehrer, eine Krankenhausmitarbeiterin und eine Frau, die er für die Liebe seines Lebens hält, in seine Gewalt bringt. Er kettet sie an Säulen in einer abgelegenen und stillgelegten Militäranlage und stellt ihnen Fragen: „Wie lange ist es her, dass wir irgendwas gemacht haben, das irgendwen inspiriert hat?“ „Warum habt ihr (Politiker) kein Ziel für mich gefunden?“ „Warum hast du auf meinen Freund geschossen, der bloß randaliert hat?“. Mit jedem der sieben Entführten beginnt er ein Verhör, das aber nicht zur Auflösung kommt. Man möchte nicht in der Haut der Verhörten stecken.

Was Thomas eigentlich umtreibt, ist der Tod seines Freundes Don, der von der Polizei erschossen worden ist, nachdem er seine Mutter, Gäste in einem Restaurant und andere Menschen wild mit einem Messer herumfuchtelnd bedroht hat. Aber bevor es zur Klärung dieser Tat kommt, müssen die Leser sich mit Fragen zu öffentlich verteilten Geldern, zum Shuttle-Programm, zum Umgang mit Kinderschändern, alleinerziehenden Müttern beschäftigen. „Wenn ich mir eine Landschaft leer vorstelle, frei von all dem menschlichen Lärm und Dreck, kann ich mich entspannen“, sagt Thomas.

Die Welt ist nicht so, wie sie sein sollte, will Eggers sagen. Sein Roman trieft vor moralischen Anklagen. Wie anders war es noch im letzten Jahr, als Eggers mit „Der Circle“ klarsichtig und so übertrieben, dass es fast schon lustig war, die Arbeitswelt von Google und Facebook beschrieb. Eine Zukunft, in der wir bereits leben, in der wir alles mitmachen, was man von uns fordert.

An einer Stelle des Romans lässt Eggers Thomas zum Kongressabgeordneten sagen: „Finden Sie nicht, dass das Chaos auf der Welt zum weitaus größten Teil von einer relativ kleinen Gruppe enttäuschter Männer verursacht wird?“ Ja, natürlich. Wenn aber Thomas Sara entführt, damit sie mit ihm weggeht („ich weiß, dass wir glücklich werden“) und sie ihm antwortet „ich kenne dich doch gar nicht“, dann wissen wir, auch Thomas ist einer dieser enttäuschten Männer, die nur Chaos über die Welt bringen. Nein, danke.