Birkenstocks sind populär wie nie in der Geschichte des Familienunternehmens. Designer reißen sich um eine Kooperation. Künftig sollen sogar Matratzen und Büromöbel unter der Marke vertrieben werden.

Marc Jacobs ist eine große Nummer in der internationalen Modewelt. Seit Mitte der 80er-Jahre entwirft der vielfach preisgekrönte Designer aus Amerika teure Kleidung und Accessoires. Für Perry Ellis, für Iceberg, für Louis Vuitton und nicht zuletzt für sein eigenes Label. Nun wollte Jacobs mit dem deutschen Schuhhersteller Birkenstock zusammenarbeiten.

Aber der 51-Jährige darf nicht. Freundlich, aber bestimmt hat die Schlappen-Marke aus Neustadt/Wied am Fuße des Westerwalds dem Star-Designer aus New York eine Abfuhr erteilt. Weil er die Sohle zu sehr verändern wollte. Dass Jacobs dieses Nein nicht akzeptiert und auf Nachverhandlungen setzt, bleibt ohne Wirkung. Fußbett und Funktion, das betonen die Verantwortlichen fast schon mantra-artig, sind für Birkenstock wichtiger als Glamour und Chichi.

So viel Selbstbewusstsein kommt nicht von ungefähr. Auch ohne ein Zugpferd wie Marc Jacobs ist Birkenstock derzeit eine ganz große Nummer in der internationalen Welt der Schuhe.

Der Mittelständler wird umgekrempelt

Seit Phoebe Philo, die Chefdesignerin des französischen Modehauses Céline, ihre Models nicht mit den sonst üblichen High Heels auf den Sommer-Laufsteg 2013 geschickt hat, sondern mit einer flachen Sandale mit zwei breiten Riemen, erlebt die 240 Jahre alte Traditionsmarke als Ur-Anbieter dieses Schuhtyps einen schier unfassbaren Hype.

Zwar ist man bei Birkenstock Lobeshymnen und Euphorie schon gewohnt. Und angesichts der langen Historie ist es nicht die erste Renaissance, die die Gesundheitsschuhe erleben. Üblicherweise hat sich die Aufregung aber ebenso schnell wieder gelegt, wie sie zuvor aufgekommen ist.

Diesmal allerdings scheint alles anders – weil auch Birkenstock alles anders macht. Geschäftsführer Oliver Reichert, ein groß gewachsener Mittvierziger mit Vergangenheit als Senderchef beim Sportfernsehen, krempelt den Mittelständler derzeit komplett um. „Wir haben hier alles auf links gedreht und zurück“, sagt der Manager und spricht sogar von Restrukturierung.

Nur am Produkt habe er nichts verändert. Reicherts Ziel: „Ich will einen Konzern formen.“ Denn Birkenstock sei ein schlafender Riese. Der Absatz könne locker vervierfacht werden – von zuletzt über zwölf Millionen produzierten Schuhen pro Jahr auf bis zu 50 Millionen Paar.

Exotische Ziele

Beim Wachküssen setzt der Manager auf die systematische Expansion in neue Märkte. „Jeder Mensch auf der Welt soll die Möglichkeit haben, ein Birkenstock-Fußbett zu tragen“, lautet seine wenig bescheidene Maxime. Aktuell bietet das Unternehmen seine Produkte in weltweit 87 Ländern an, spätestens 2025 sollen die Sandalen dann in 130 Ländern zu kaufen sein.

Und dabei stehen auch exotische Ziele auf dem Zettel, aktuell zum Beispiel die Mongolei. „Die Minenarbeiter in der Hauptstadt Ulan-Bator wollten unsere Schuhe als Ausgleich für die vielen Stunden in den schweren Arbeitsschuhen“, berichtet Reichert, der selbst gern in Birkenstocks bei der Arbeit erscheint, beim Interviewtermin zum Beispiel barfuß im klassischen Unisex-Modell „Arizona“, Farbe Schwarz.

Reicherts Wachstumsplan besteht aber nicht allein aus zusätzlichen Märkten. Er denkt auch an neue Produktgruppen. Und das meint weit mehr als nur geschlossene Schuhe wie Sneaker, Bergstiefel oder Business-Schuhe, die mittlerweile allesamt zum Programm gehören. „Wir wollen unter der Marke Birkenstock künftig auch völlig andere Produkte verkaufen“, kündigt der Manager an.

Matratzen zum Beispiel, Büromöbel, aber auch etliche anderen Dinge, die mit dem Thema Gesundheit zu tun haben. Birkenstock gibt dafür seinen Namen, die Fertigung dagegen sollen Partner übernehmen. „Das Lizenzgeschäft ist bei vielen Marken stärker als das eigentliche Kerngeschäft“, sagt Reichert. „Dieses Potenzial wollen auch wir heben.“

Ihre Konzernpläne untermauert die vor vier Jahren angetretene Birkenstock-Führung, zu der neben Reichert auch Markus Bensberg gehört, mit einer neuen Firmenstruktur. Aus einem Sammelsurium von 38 Einzelgesellschaften hat das Duo mittlerweile eine Holding mit nur noch fünf Firmen gemacht.

Schlappen werden Modehit

Mittelfristig sollen es sogar nur noch drei Untergesellschaften sein. Veränderungen gibt es zudem auch bei der internen Organisation. Reichert hat als erster Birkenstock-Geschäftsführer überhaupt einen Außendienst installiert, Auslandsvertretungen eröffnet und eigene Designer eingestellt. „Wir bearbeiten jetzt systematisch die Märkte“, sagt er.

Und das wirkt, behauptet Reichert. „Wenn Sie sich mit einem Anhänger voller Birkenstocks auf den Times Square in New York stellen, werden sie der Held sein“ – weil die Sandalen in den Schuhläden der USA derzeit praktisch ausverkauft seien. „In Amerika sind wir heute ein Fashion-Item.“

In Asien steigt die Nachfrage ebenfalls sprunghaft, auch dort werden die Bestände zunehmend knapp, vor allem in Japan und China. Aber auch in Europa bleibt noch Potenzial. In Großbritannien etwa ist beim Versandhändler Amazon der Birkenstock-Absatz seit Jahresbeginn um 95 Prozent gestiegen.

Wie sich dieser Boom in der Bilanz bemerkbar macht, will Manager Reichert nicht verraten. Da ist Birkenstock weniger Konzern als vielmehr verschwiegenes Familienunternehmen. Auf einen „dramatisch dreistelligen Millionenbetrag“ beziffert er den Umsatz nebulös. Das laufende Rekordjahr dürfte noch mal einen kräftigen Schub bringen.

Der Hype in der Modewelt tut sein Übriges. Birkenstock zeigt sich daher grundsätzlich offen für Kooperationen, die aus den lange belächelten Öko-Tretern stylischen Luxus machen. Aktuell darf sich zum Beispiel der Japaner Yohji Yamamoto daran versuchen. Zudem gibt es eine Zusammenarbeit mit der Diesel-Untermarke 55DSL.

Dass darüber hinaus auch regelmäßig Kopien auftauchen, etwa von Givenchy, Steve Madden, Marni oder auch Zara, stört Reichert nicht. Im Gegenteil. Letztlich würden ja doch alle diese Modelle mit Birkenstock in Verbindung gebracht. „Das steigert die Bekanntheit der Marke nur noch mehr.“

Aber Bekanntheit ist für Reichert nur ein Teil des Erfolgs. Viel wichtiger noch sei die Qualität. „Es gibt kein besseres Marketing als ein Produkt, das kann, was es soll.“ Um das eigene Leistungsversprechen auch in Zukunft einhalten zu können, denkt der Birkenstock-Geschäftsführer derzeit intensiv über Zukäufe nach.

Auf der Wunschliste stehen dabei keine anderen Schuhmarken, sondern vielmehr eine Korkplantage in Portugal, eine Gerberei in Italien und eine Latexfarm in Malaysia oder Indonesien. „Das würde uns unabhängiger machen vom Weltmarkt.“

Handarbeit ist Trumpf

So international die Zulieferstrukturen auch sind, gefertigt werden die Schuhe ausschließlich in Deutschland. Komplett aus Naturmaterialien. Vier Produktionsstandorte gibt es bundesweit, zwei im Westen und zwei im Osten. Zwar gab es bis vor Kurzem noch den Plan, die Fabrik im hessischen Steinau-Uerzell nach Görlitz in Sachsen zu verlegen, wo Birkenstock bereits seit der Wiedervereinigung produziert.

Mittlerweile aber sind diese Überlegungen vom Tisch. Dennoch hat die Fertigung in dem kleinen Dorf im Main-Kinzig-Kreis keine Zukunft. „Die Halle ist nicht mehr brauchbar“, sagt Oliver Reichert und verweist auf die teils dreistöckige Bauweise. „Dort können wir nicht mehr effizient produzieren.“ Ersatz wird nun in der Region gesucht, allerdings nur noch für Prototypen, Kleinserien und Entwicklungsprojekte. Die Massenfertigung geht nach Sachsen.

Produziert werden mittlerweile fast 50.000 Varianten, vorwiegend in Handarbeit. Bei der Endmontage durchläuft ein Schuh dabei einen Rundkurs mit sechs Stationen: Los geht es mit dem Auflegen des Fußbetts auf den Leisten, anschließend wird das entsprechende Oberteil angelegt, festgeklebt und an der Unterseite abgeschliffen, und am Ende wird noch die Sohle gesetzt und festgepresst.

Aktuell stehen an diesen sechs Stationen zwölf Kollegen. „Wir arbeiten gerade mit der doppelten Belegschaft“, sagt Produktionsleiter Sean T. Harris, „um neues Personal anzulernen.“ Teuer sei das, aber nötig. „Die Endmontage ist derzeit unser Nadelöhr“, sagt Harris. Dabei produziert Birkenstock 2014 schon doppelt so viele Schuhe wie 2013.

Allein im Stammwerk in pfälzischen St. Katharinen wurden seit Jahresbeginn 200 Mitarbeiter eingestellt, um die Zahl der Montageplätze wie auch die Zahl der Schichten erhöhen zu können. Nun arbeiten dort 500 Beschäftigte, um die Schuhhändler in Amerika und Asien schnellstmöglich wieder lieferfähig zu machen.

Familienstreitigkeiten beigelegt

Doch so erfolgreich Birkenstock mittlerweile auch ist, nicht jeder ist mit dem neuen Weg einverstanden. Selbst innerhalb der Familie. Stephan Birkenstock, einer der drei Brüder aus der aktuellen Eigentümer-Generation, ist deswegen vor zwei Jahren ausgestiegen. Seither teilen sich Christian und Alex Birkenstock die Firma zu gleichen Teilen. Operativ lassen sie Reichert und Bensberg wirken.

Die Familie dagegen beschränkt sich auf ihre Rolle als Gesellschafter – und ist damit raus aus dem Fokus der Öffentlichkeit. „Wir haben das Geschäft vom Familieneinfluss befreit“, sagt Reichert. Schlagzeilen soll ab sofort nur noch das Produkt liefern und nicht mehr die Birkenstocks selbst, die sich in der Vergangenheit schon so manchen Zwist geliefert haben bis hin zum sogenannten Latschenkrieg zwischen Christian Birkenstock und seiner Ex-Frau Susanne, die ebenfalls gesunde Schuhe auf den Markt bringen wollte.

Das möchte auch Marc Jacobs immer noch. Und Oliver Reichert macht ihm Mut. „Wenn er sich mit mir an einen Tisch setzt und einen Kaffee trinkt, finden wir bestimmt noch eine Lösung.“ Dass sich der Designer dann von der Idee einer völlig neuen Sohle verabschieden muss, ist aber die Grundvoraussetzung. „Die Funktion muss erhalten bleiben. In der Beziehung sind wir völlig spaßfrei.“