Die sogenannten Cum-Ex-Deals gehören zu den größten Steuerskandalen der deutschen Geschichte. Vor allem der Ruf der HypoVereinsbank leidet darunter – denn auch die Aufklärung gelingt ihr nicht.

Die Händler waren offenbar hin- und hergerissen. Sie wussten selbst nicht, ob das, was sie da taten, nun funktionieren würde oder nicht. „Sie müssen sich mein Gefühlsleben vorstellen. Wir hatten schon 2006 ordentlich Stress mit den Transaktionen und den Dividendenzahlungen.

Dann wurden wir Anfang des Jahres gelobt und haben dann auch grünes Licht bekommen“, gab ein Münchner Aktienhändler der HypoVereinsbank bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt im August vergangenen Jahres zu Protokoll. Doch im Frühjahr 2007 drehte sich die Sache erneut.

„Da hat jeden Tag das Telefon geklingelt, es fand reger E-Mail-Verkehr statt, und wir standen total unter Druck und konnten nichts daran ändern.“ Denn die entscheidende Steuergutschrift, die die Deals für den Kunden und die Bank selbst zur Goldgrube machen sollte, fehlte.

Zwei Gutschriften, aber nur eine Rückzahlung

Der Kunde – das war der mittlerweile verstorbene Berliner Immobilienunternehmer und Milliardär Rafael Roth. Die Deals – das waren sogenannte Cum-Ex-Aktiengeschäfte, mit denen Banken und Investoren den deutschen Fiskus laut Schätzungen der Finanzverwaltung um einen zweistelligen Milliardenbetrag brachten.

Der Trick funktionierte so: Aktien wurden rund um den Dividendenstichtag schnell hintereinander gekauft und wieder verkauft, um das Finanzamt zu verwirren. Der Investor machte sich die Trägheit des Abwicklungssystems für Wertpapiergeschäfte zunutze, sodass es zur Ausstellung von zwei Steuergutschriften kommt, obgleich nur ein Mal Steuern gezahlt wurden.

Etwa ein Jahrzehnt schaute das Bundesfinanzministerium trotz mehrfacher Warnungen dem Treiben tatenlos zu. Geschlossen wurde das Schlupfloch erst 2012. Doch da war schon viel Geld für den Staat verloren. Schätzungen aus der Finanzverwaltung zufolge hatten Investoren bis dahin einen zweistelligen Milliardenbetrag vom Fiskus eingesammelt.

Nachdem der Finanzverwaltung dämmerte, wie viel Geld dem Fiskus durch die Lappen gegangen war, behielt sie das Geld aus der Kapitalertragsteuer zurück und zahlte es nicht mehr aus. Investoren und Banken wehren sich dagegen. Insgesamt sind bei den Finanzbehörden etwa 50 Verfahren anhängig.

HVB zahlt fast 100 Millionen Euro für Anwälte

Bei den Geschäften, die die HVB für Roth von 2006 bis 2008 abwickelte, ging von Anfang an vieles schief. Aktien wurden zu spät geliefert, es gab Probleme bei der Ausstellung der Steuerbescheinigungen. 2009 wurde dann das Finanzamt Wiesbaden auf die Tricksereien von Roth aufmerksam und forderte 2011 nachträglich rund 120 Millionen Euro zurück.

Denn der Staat, der jahrelang dem Spiel der Banken zugeschaut hatte, begann sich zu wehren. Ob die Geschäfte tatsächlich illegal waren oder die Politik nur versäumte, die Gesetzeslücke gründlich zu stopfen, damit beschäftigt sich derzeit der Bundesfinanzhof. Für September wird das schriftliche Urteil in einem ersten Fall erwartet.

Bis dahin schwebt die oft gestellte Frage über Roth und HVB: Wer zahlt? Die Bank oder der Kunde? Das Geldhaus übernahm zwar den größten Teil der Steuerschuld, sah sich aber nicht in der Haftung – und verklagte deswegen Roth und seine Berater. Jetzt soll es einen letzten Schlichtungsversuch geben. Ein für den Donnerstag angesetzter Prozesstermin sei „wegen Vergleichsbemühungen auf Antrag beider Parteien“ verlegt worden, sagte ein Sprecher des Frankfurter Landesgerichts. Die HVB und Roths Erben haben nun gut einen Monat Zeit, um sich zu einigen. Ansonsten entscheiden die Richter.

Für die HVB geht es dabei um mehr als die vielen Millionen Euro. Ihre Glaubwürdigkeit hat kräftig gelitten. Ihr Name ist eng verknüpft mit einem der spektakulärsten Steuerskandale der vergangenen Jahre, und alle Versuche, den Sumpf endlich trockenzulegen, bringen weitere Ungereimtheiten ans Tageslicht. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ehemalige Mitarbeiter des Instituts. Knapp 100 Millionen Euro gab die Bank wohl mittlerweile für die interne Aufarbeitung des Skandals aus – und die Kosten steigen weiter.

Auch HVB-Chef Weimer steht in der Kritik

Als das Wiesbadener Finanzamt 2009 bei einer Betriebsprüfung Roths Anlagegesellschaft Rajon auffiel, kam schnell heraus, dass Mitarbeiter der HVB in die Steuergeschäfte des Milliardärs verwickelt waren. Trotzdem unternahm die Bank erst mal nichts. Erst im Frühjahr 2011, nachdem das Finanzamt die Steuern von Roth zurückforderte und die HVB zahlen musste, kam Bewegung in das Institut.

Im Herbst 2011 beauftragten Aufsichtsrat und Vorstand der Konzernmutter UniCredit die international renommierte Anwaltskanzlei Skadden, die Vorgänge in der Bank aufzuklären. Dabei soll es internen Widerstand vonseiten der Rechtsabteilung gegeben haben. Auch der Vorstandsvorsitzende Theodor Weimer soll angeblich in den ersten Monaten versäumt haben, stärker durchzugreifen, heißt es von Kritikern der Bank.

Eine HVB-Sprecherin sagte: „Der Vorstand der Hypovereinsbank hat bereits nach ersten Hinweisen auf möglichen Klärungsbedarf im Jahr 2011 selbst eine eingehende interne Prüfung eingeleitet. Die Bank hat hierüber auch proaktiv und umfassend die Finanzbehörden informiert, sowohl hinsichtlich des Kundengeschäfts als auch des Eigenhandelsgeschäfts.“

Interne Untersuchungen sorgen für Erklärungsnot

Roth und seinen Beratern warf die HVB Betrug vor, weil sie diese, gutgläubig und ahnungslos, zur Durchführung von möglicherweise rechtswidrigen Aktiengeschäften verführt hätten. Das geht aus einem Schriftsatz hervor, der der „Welt“ vorliegt.

Bis dato hatte die HVB Schaden von ihrer Reputation abgewendet. Doch was die Untersuchungen von Skadden aufdeckten, brachte das Institut ernsthaft in Erklärungsnot. So haben Londoner Händler der Bank sehr frühzeitig und eigenständig Cum-Ex-Deals auf eigene Rechnung betrieben. Insgesamt geht es für die Jahre 2005 bis 2008 im Eigenhandel um ein Kapitalertragsteuervolumen von 273 Millionen Euro.

Ein mehr als doppelt so hohes Volumen wie bei den missglückten Roth-Geschäften. „Die Londoner Händler aus der Derivate-Abteilung waren völlig außer Kontrolle. Keiner wusste so richtig, was sie taten. Trades wurden zu spät, falsch oder gar nicht angegeben, um die Risikosysteme der Bank auszutricksen“, behauptet ein ehemaliger Mitarbeiter der Bank.

Zudem belegen Powerpoint-Präsentationen aus den Jahren 2006, 2007 und 2008, dass die Bank versuchte, neben Roth auch andere Kunden für die Steuertricksereien zu begeistern. Aus einer Mail vom 6. Juni 2007 geht hervor, dass auch ein Testgeschäft für einen Kunden in Kopenhagen geplant war.

Der Richter zeigt sich fassungslos

„Die interne Untersuchung und die externen Ermittlungsverfahren dauern an. Wir bitten um Verständnis, dass wir vor diesem Hintergrund derzeit keine Einzelfragen beantworten können. Mit einer finalen Bewertung der Ergebnisse der internen Untersuchung ist im Laufe des dritten Quartals 2014 zu rechnen“, sagte eine Sprecherin der HVB.

Das Institut ruderte in seinen Vorwürfen gegen Roth zurück, die Klage fallen ließ es aber nicht: Kurz vor Ende der Verjährungsfrist reichte die HVB am 23. Mai dieses Jahres einen Schriftsatz ein.

Auszüge daraus liegen der „Welt“ vor, in denen es heißt, dass der Sachvortrag in der Klageschrift ersetzt werde, soweit nicht ausdrücklich auf den dortigen Vortrag verwiesen werde. Dieser ist dem Vernehmen nach deutlich schwächer. Aus einem anderen Schriftsatz, welcher der „Welt“ vorliegt, geht hervor, dass die HVB Roths Beratern weiterhin Fehlverhalten vorwirft.

Bei dem Vorsitzenden Richter des Frankfurter Landgericht, Valentin Reiter, löste dies Fassungslosigkeit aus: „Ich bin ein Freund von Eigenverantwortung. Und ich halte es für ungewöhnlich, wenn eine Bank von ihrem Kunden beraten werden soll“, so Reiter. „Da müssen sie mir schon einiges beibringen, damit ich erkenne, dass diese Ausnahme nun gelten soll“, fügte er nach einer kurzen Atempause hinzu.

Zwischen Roth und HVB deutet sich ein Vergleich an

Doch auch Roths Erben haben in dem Streit schlechte Karten. Zwar behaupten dessen Anwälte, dass Roth, der als knallharter Geschäftsmann galt und auf jeden Cent achtete, wohl geglaubt habe, dass die Geschäfte steuerlich unbedenklich seien. Dies ginge auch aus der Präsentation hervor, die die Bank dem Kunden vor Vertragsabschluss gezeigt habe.

Richter Reiter hatte mit ihm allerdings wenig Mitleid: Der Kunde habe die Bank unmissverständlich mit den Geschäften schriftlich beauftragt. „Wenn ich einen Auftrag erteile, gehe ich davon aus, dass das vollständig und richtig ist – zumal wenn man gleichzeitig erklärt, dass man juristisch beraten ist und weiß, was man tut“, sagte Richter Reiter. Wenn der Kunde einen schlechten Auftrag erteile, sei das sein eigenes Verschulden. Nun müsse er auch für die steuerlichen Folgen geradestehen.

Für die Anwälte ist schon jetzt klar: Egal, wie der Fall ausgeht, wird er dann bei der nächsten Instanz, womöglich sogar beim Bundesgerichtshof, enden und könnte sich über Jahre hinziehen. Allerdings deutet sich nun ein Vergleich an. Entsprechende Anträge zur Verschiebung des Termins am Donnerstag wurden bereits gestellt, teilte das Landgericht Frankfurt der „Welt“ mit.

Ex-Steuerchef Tibo teilt kräftig aus

Ruhe wird bei der HVB auch im Falle eines Vergleichs nicht einkehren. Denn der Vorstand der Bank gerät immer stärker unter Druck. Nach seinem Rausschmiss aus der HVB attackierte Steuerchef Frank Tibo die Institutsführung scharf.

So will er schon frühzeitig auf mögliche Risiken im Eigenhandel hingewiesen haben. Bestimmte Geschäfte habe Tibo nach eigener Darstellung sogar verboten, dennoch seien sie durchgeführt wurden. Angeblich sollte der damalige Finanzvorstand der HVB, Rolf Friedhofen, der Steuerabteilung Transparenz über die Handelsstrategien der Londoner Händler verschaffen. Doch eine Aufklärung der vergangenen Geschäfte erfolgte nicht.

Schwere Vorwürfe macht Tibo auch der Rechtsabteilung des Geldhauses , die vor allem für den Roth Fall zuständig war. Die Verantwortlichen dort hätten mehrmals und „nachhaltig versucht, Fehlverhalten seit 2006 im Zusammenhang mit den umstrittenen Cum-Ex-Geschäften zu vertuschen”, heißt es in einem Schreiben Tibos an Betriebs- und Aufsichtsräte der HVB, das dem Branchendienst Juve vorliegt.

„Der Bereich Steuern wurde daran gehindert, Einzelheiten an die Finanzverwaltung zu geben und damit den gesetzlichen Vorgaben nachzukommen“, schreibt der ehemalige Mitarbeiter der HVB, der sich derzeit in drei Arbeitsrechtsprozessen mit der Bank streitet.

Streit und Ärger – sie sind das schwierige HVB-Erbe der unrühmlichen Cum-Ex-Vergangenheit.