Er spielte Gollum und King Kong – und jetzt zum zweiten Mal den Caesar in „Planet der Affen“. Andy Serkis ist Experte für Motion-Capturing. Er sagt, das sei die nackteste Form der Schauspielerei.

Andy Serkis ist nicht nur der Mann hinter Gollum – er ist Gollum. Darauf wird der britische Schauspieler auch gleich wieder bestehen. Auf Gollum folgte die Rolle als King Kong, später als Caesar in den Neuverfilmungen des „Planet der Affen“, dessen zweiter Teil diese Woche anläuft.

Serkis ist inzwischen der wichtigste Botschafter der revolutionären Motion- oder Performance-Capture-Technik, die subtilste Spiele der Mimik auf computergenerierte Avatare übertragen kann. In London betreibt Serkis sein eigenes Studio für die neue Schauspieltechnik, das Imaginarium. Wir treffen ihn aber in Berlin, im „Hotel de Rome“, wo er entspannt einen Cappuccino trinkt. Unser erster Gedanke: Gollum sieht echt nett aus.

Die Welt: Schön, Sie mal zu sehen. Sie sind durch Rollen wie King Kong und vor allem Gollum im Herrn der Ringe ja einer der bekanntesten Schauspieler der Welt. Aber kein Mensch weiß, wie Sie aussehen.

Andy Serkis: Das ist in der Tat ein außergewöhnlicher Zustand. Ich denke da normalerweise nicht mehr groß drüber nach. Es ist ja nicht so, dass ich mit dem Performance-Capture-Verfahren immer weiter gemacht habe, weil ich die Technologie so genießen würde. Es kam alles über die Rollen. Man hat mir fantastische Rollen angeboten. Gollum war der Wendepunkt.

Ich erinnere mich ans Ende der Dreharbeiten von „Die Rückkehr des Königs“, dem letzten Teil der „Ringe“-Saga. Eines Tages fragte mich Peter (Jackson, Anm. d. Red.), ob ich Lust hätte, King Kong zu spielen. Ich hatte eigentlich gedacht, dass ich wieder mehr traditionelle Rollen spielen würde. Und plötzlich sollst du eine acht Meter große Figur spielen. Wie zum Teufel, fragte ich mich, soll ich denn da einen Bezug herstellen? Diese neue Technik bedeutet: Casting nach Typen ist tot. Man kann alles spielen. Es ist ein befreiendes Instrument, das spannendste, was das 21. Jahrhundert bislang für Schauspieler hervorgebracht hat.

Die Welt: Erkennen Sie sich überhaupt auf der Leinwand wieder?

Serkis: Ich erkenne mich anhand der Entscheidungen, die ich als Schauspieler getroffen habe, der Betonung einer Dialogzeile, der Stimmung – oder im Fall von „Planet der Affen“ der ganzen Evolution, die Caesars Charakter durchläuft. Aber natürlich auch in den Gesichtsausdrücken. Was in letzter Zeit unglaublich viel besser geworden ist, ist die Arbeit in der Postproduktion. Die Techniker sind inzwischen in der Lage, kleinste mimische Veränderungen exakt wiederzugeben. Das Level, das der neue Film erreicht, ist beispiellos.

Die Welt: Die Affen im Film besetzen eine ebenfalls beispiellose Position zwischen Instinkt und Intelligenz. Sie sind keine Tiere mehr, aber auch noch nicht ganz Menschen. Wie legt man so eine Rolle an?

Serkis: Genau das repräsentiert Caesar. Er ist das Emblem des Konflikts zwischen Affe und Mensch, das ist die Funktion der Figur. Weil er unter Menschen aufwuchs, versteht er sie. Sein Ziehvater war ein Mensch, im ersten Film gespielt von James Franco. Ich habe mir Caesar immer als Menschen in der Haut eines Affen vorgestellt. Die Evolution von Affe zu Mensch spiegelt sich im Plot der beiden Filme.

Die Welt: Der kürzlich gestorbene Schauspieler Gert Voss war dafür berühmt, seine Rollen im Geheimen als Tierrollen anzulegen. Einen Bankdirektor stellte er sich zum Beispiel als Bernhardiner vor. Wie ist es, von vornherein ein Tier zu spielen?

Serkis: Ich kann den Ansatz total nachvollziehen. Ein Avatarcharakter ist nicht mehr erkenntlich. Es gibt eine unterschwellige Welt des Verstehens, in die sich das Publikum hineinarbeiten muss. Wir lesen ganz buchstäblich menschliche Gesichter und Empfindungen. Tiergesichter haben bereits etwas Undurchdringliches, Rätselhaftes. Diese Rollen basieren auf der Darstellung des Schauspielers und den Projektionen der Zuschauer. Das fasziniert mich sehr.

Zwischen Caesar und Kong gibt es einen großen Unterschied, auch abgesehen davon, dass der eine acht Meter groß ist. Ich habe ihn als reinrassigen Silberrücken-Gorilla angelegt und diese Tiere sehr genau studiert. Ich war viel im Londoner Zoo und später in Ruanda, um zu sehen, wie sie sich in Freiheit und in Gefangenschaft verhalten. Caesar hingegen ist eine Figur, in der sich, wie ich sagte, die Evolution in Windeseile abspielt.

Matt Reeves, der Regisseur, wollte die Geschichte absichtlich nicht zu weit in die Zukunft verlegen, um das zeigen zu können. Die Sprachfindung, den Aufbau einer Gesellschaft. Caesars Mimik ist stark von menschlicher abgeschaut. Und die Sprache der Affen ist am Anfang sehr von starken Emotionen und kurzen Aussagen geprägt, wie „Los!“ oder „Menschenwerk“. Später wird sie analytischer und philosophischer. Es kommt der Punkt, an dem Caesar sagt: „Ich dachte, Affen seien besser als Menschen, aber jetzt verstehe ich, wie ähnlich wir einander sind.“

Die Welt: Der Film will im wesentlichen die Trennung anhand der Rassen durch eine moralische Trennung in Gut und Böse ersetzen.

Serkis: Ja, es sollte weder ein Pro-Menschen-, noch ein Pro-Affen-Film werden.

Die Welt: Ist das eine praktische Begleiterscheinung Ihrer Karriere als Topschauspieler im Bereich Motion Capturing, dass Sie abwechselnd gute und böse Figuren spielen dürfen? Gollum war ein Superschurke, Caesar ist ein weiser, edler Held, und King Kong war das wilde, moralisch unempfängliche Biest in der Mitte.

Serkis: … Und Kapitän Haddock in Spielbergs „Tim und Struppi“: ein schrecklicher Säufer. Genau deshalb mag ich diese Art der Schauspielerei so – es ist eine wahrhaft essenzielle Arbeit. Paradoxerweise gibt es da nichts mehr, hinter dem man sich verstecken kann, keine Maske. Man trägt kein Make-up. Die Wahrheit der Figur schlägt ungehindert, unbeschwert durch. Man könnte es den „nackten Schauspieler“ nennen.

Die Welt: Interessant. Gleichzeitig sträubt sich die Academy, entsprechende Darstellungen mit einem Oscar zu prämieren. Finden Sie das unfair?

Serkis: Ich glaube, das Verfahren muss erst richtig verstanden werden. Preise sind Preise und haben ihre eigenen Regeln. Mir geht es darum, dass die Leute nicht mystifizieren, was Performance Capture eigentlich ist. Nämlich ein zweites Set von Kameras, die die Darstellung eines Schauspielers filmen, und keine andere Art der Schauspielerei. Es ist die wahrste, grundlegendste, ungeschützteste Form der Schauspieler.

Die Welt: In den ursprünglichen „Planet der Affen“-Filmen steckten die Darsteller ja hinter dicken Gummimasken. Das wird schon schwieriger gewesen sein.

Serkis: Ich habe eine Dokumentation gesehen, in der Roddy McDowall und Kim Hunter, die die Affen gespielt haben, sagen: „Das einzige, was wir machen konnten, war, ununterbrochen das Gesicht zu verziehen.“ Wir hingegen konnten nuanciert und subtil sein.

Es geht nicht länger darum, die Figur zu demonstrieren. Man kann sie jetzt sein. Sollte es deshalb also eine eigene Kategorie für Motion-Capture-Rollen geben, wie das einige vorschlagen? Ich finde, das ist Quatsch. Schauspielerei ist Schauspielerei.

Die Welt: Hat die lange Beschäftigung mit Tieren bei Ihnen anderweitig Spuren hinterlassen? Ich habe gehört, Sie seien Pescetarier, äßen also kein Fleisch, nur Fisch. Haben Sie sich das womöglich von Gollum abgeschaut?

Serkis: Ich war kompletter Vegetarier. Und es war Zufall. Wir waren in Neuseeland und aßen jede Menge Soja-Eiweiß. Plötzlich gab es eine Riesenaufregung um Soja-Proteine, die seien krebserregend, etc. Oh Mann, dachte ich, ich muss doch was essen, gerade bei dem großen Energieverbrauch, den das Spiel von Gollum mit sich brachte. Also habe ich angefangen, Fisch zu essen. Tatsächlich fing das also zur selben Zeit an.

Die Welt: Und wie sieht es mit Tierrechten aus?

Serkis: Absolut, als ich in Ruanda war, um die Gorillas zu studieren, wurde ich Botschafter des Dian-Fossey-Funds. Und als Student habe ich mich gegen Tierversuche eingesetzt. Ich finde das immer noch sehr grausam. „Planet der Affen“ lenkt die Aufmerksamkeit sehr darauf, wie Affen behandelt werden.

Daraus entsteht ja der gesamte Konflikt, die Seuche, die beinahe die ganze Menschheit ausrottet. Vor ein paar Wochen haben wir einen Affenforscher getroffen, der seit Jahrzehnten mit den Tieren lebt und der sich sehr dafür einsetzt, dass die Menschenrechte auf die Primaten ausgeweitet werden. Damit wäre Wilderei dann Mord.

Die Welt: Von Gollum heißt es, dass Sie seine Stimme nach Ihren Katzen modelliert hätten, wenn sie Fellknäuel auskotzen. Gab es bei Caesar eine vergleichbare Inspiration?

Serkis: Ich habe mich nur mit Evolutionsforschern unterhalten, die mir versicherten, dass Affen eines Tages in der Lage sein werden, so exakte Klänge zu produzieren wie wir Menschen. Bislang geht das aber nicht, was an der Luftröhre liegt und an unserem Talent, die Zunge gezielt an unsere Zähne stoßen zu lassen. Affen können das nicht. Deshalb habe ich die ganze Zeit lang einen Mundschutz getragen.

Die Welt: Ich schätze, wenn man mit Ihnen über den kommenden „Star Wars“-Film sprechen will, greifen Sie auch zum Mundschutz, oder?

Serkis: Absolut. Ich könnte Ihnen aber verraten, dass ich im Imaginarium, meinem Performance-Capture-Studio in London, demnächst Kiplings „Dschungelbuch“ neu verfilme.

Die Welt: Ach? Balu kann ich mir ja noch vorstellen, aber Bagheera, eine vierbeinige Raubkatze im Performance-Capture-Verfahren? Spielen Sie auch mit?

Serkis: Mal sehen. Und ja, Bagheera auch. Das machen wir wahrscheinlich ganz old school: Es hat auf der Bühne und im Zirkus eine lange Tradition, Vierfüßler durch mehrere Schau- oder Puppenspieler darzustellen, die sich vollkommen synchron bewegen.