Kommt eines Tages ein Wanderer des Weges, desselbigen unsicher, und so ruft er zu einem geöffneten Fenster hinauf um Hilfe: Wo denn hier der Markt sei? Oben steht eine junge Frau, und so erblicken sie einander zum ersten Male, im thüringischen Rudolstadt, es ist Frühling, man schreibt das Jahr 1788: Charlotte von Lengefeld und Friedrich Schiller, da noch ohne von und bettelarm, trotz des frühen Ruhms, den ihm „Kabale und Liebe“ bereits beschert hat.

Es flirrt etwas in diesen ersten Blicken, die sie einander zuwerfen, die 21-jährige Charlotte und der 28 Jahre alte Friedrich, sie werden sich ineinander verlieben, werden heiraten, und doch: Es wird kompliziert werden, weil Charlotte eine drei Jahre ältere Schwester hat, Caroline. Zwischen der und Schiller wird auch noch was geschehen, obwohl sie verheiratet ist.

Die Fensterszene also steht am Anfang des Films „Die geliebten Schwestern“, und sie liefert schon ein erstes Indiz dafür, dass Dominik Graf keines dieser im Zweifel immer öden Biopics mit dem Anspruch auf historische Detailwahrheit drehen wollte. Denn zumindest Caroline wird sich viel später einmal anders erinnern, in ihrer Biografie von 1830. In „Schillers Leben“ datiert sie das erste Kennenlernen von Charlotte und Friedrich auf das Jahr 1784, da erwähnt er sie in einem Brief tatsächlich erstmals, man traf sich in Mannheim. Und die Fensterszene in Rudolstadt lief wohl auch etwas anders ab.

Die trug sich laut „Schillers Leben“ im Dezember 1787 zu, Schiller ging nicht zu Fuß, er ritt in die Stadt ein, und nicht allein, an seiner Seite war Wilhelm von Wolzogen. Den sollte die ältere Charlotte nach ihrer Scheidung 1794 heiraten, und aus welchem Grund sie das getan haben möge, das wird den Film „Die geliebten Schwestern“ später noch beschäftigen. Doch von Wolzogen wäre dem Drehbuchautor und Regisseur Graf zu diesem Zeitpunkt der Handlung wohl im Weg gestanden für das, was er zeigen möchte. Erzählt wird in diesem Film von der Liebe, im zärtlichen wie pathetischen Sinne des Wortes. Zwei Frauen, die Schwestern Caroline und Charlotte, lieben denselben Mann, und der liebt die beiden Frauen. Ein Liebesdreieck: Wie geht das, fragt der Film. Und wie ging die Liebe über Standesgrenzen hinweg unter den gesellschaftlichen Bedingungen von revolutionären Zeiten? Die schönen (und sehr schön spielenden) Hauptdarsteller Hannah Herzsprung, Henriette Confurius und Florian Stetter umkreisen einander beinahe schwebend, ihre Figuren sind erfüllt von Sehnsucht: Die Freiheit, jenseits der Konventionen zu lieben, scheint möglich.

„Die geliebten Schwestern“ ist ein Brieffilm, wenn es denn so etwas analog zum Briefroman geben kann. Briefe sind das historische Material, auf dem das Grundgerüst des Films basiert, und da, wo keine Korrespondenz (mehr) existiert, die Beziehung der drei Protagonisten im einst wahren Leben zu rekonstruieren, schreibt im Film die Fiktion die Geschichte fort: So könnte es gewesen sein.

Neben die Beschränkungen der gesellschaftlichen Konventionen ist da längst eine andere Beschränkung getreten, eine biologische: Schiller ist 1790 an Tuberkulose erkrankt. Die Liebenden wissen nicht bloß um die Endlichkeit, sie ahnen, dass das Leben jederzeit und sehr plötzlich vorbei sein kann.

„Die geliebten Schwestern“ Deutschland/Österreich 2013, 139 Min., ab 6 J., R: Dominik Graf, D: Hannah Herzsprung, Henriette Confurius, Florian Stetter, täglich im Abaton, Holi, Koralle, Passage; www.senator.de/movie/die-geliebten-schwestern