Jeder Stadtteil hat seine eigene Geschichte. Der Historiker und Abendblatt-Redakteur Dr. Matthias Schmoock hat sich auf eine Zeitreise begeben

Harvestehude ist so etwas wie das Glückskind unter Hamburgs Stadtteilen. Im Zweiten Weltkrieg nur relativ wenig zerstört, können sich Spaziergänger hier heute noch ohne Mühe in die Zeit versetzen, als die Dienstmädchen für die „Herrschaften“ zum Einkaufen eilten oder Kinderfräulein Hamburgs wohlbehüteten Oberschicht-Nachwuchs an der Alster entlangschoben. Während die Stadtväter manche anderen Ecken Hamburgs entweder ignorierten oder mit Wohnhöfen und Gewerbebetrieben zubauen ließen, wurde Harvestehude geradezu verwöhnt. Das war schon so, als 1866 ein Klosterlandkonsortium das ehemalige Gelände vom Kloster St. Johannis kaufte. Die „Klosterlandbedingungen“, die nach der Übergabe an die Stadt (1882) in Kraft traten, sorgten dafür, dass in Harvestehude keine Kleinwohnungen und keine Gewerbebetriebe entstanden.

1871 wurde Harvestehude zusammen mit Rotherbaum Vorort, 1894 machte man beide zu Stadtteilen. Ein rasanter Aufstieg. Denn das kleine „Herwardeshuthe“ war ursprünglich ein elbnahes Dorf gewesen, das seinen Namen sozusagen mitbrachte, als die Nonnen eines 1245 gegründeten Zisterzienserklosters im Jahr 1295 von dort an die Alster zogen. Hamburg wurde lutherisch, und die Nonnen weigerten sich strikt, den neuen Glauben anzunehmen. Ihr Pech. Das Kloster wurde abgebrochen. Das Klosterland verkam zur (schönen) Wildnis, aus der allerdings einige viel besuchte Gasthöfe herausguckten, die dafür sorgten, dass die Gegend bekannt und beliebt wurde.

Der landschaftliche Reiz mit der Nähe zu Stadt und Alster war wohlhabenden Hamburgern übrigens schon im ausgehenden 18. Jahrhundert aufgefallen, und bereits zu dieser Zeit hatte es hier vereinzelt schmucke Landhäuser in Alsternähe gegeben. Im Zuge der Franzosenzeit war alles zerstört worden, aber der Wiederaufbau ließ nicht lange auf sich warten. Die Straßen in Harvestehude wurden schließlich schachbrettartig angelegt und zum überwiegenden Teil mit Villen und feudalen Stadthäusern bebaut. Nur an der Isestraße und in einigen Bereichen von Eppendorfer Baum und Hochallee war auf ehemaligem Klosterlandgebiet der Geschosswohnungsbau erlaubt – im großen Stil, versteht sich. Der Oberingenieur der Baudeputation, Franz Andreas Meyer, der selbst an der Alten Rabenstraße wohnte, hatte unter anderem den Innocentiapark und die Moorweide als Grünflächen gesichert.

Seit 1835 pendelte im Sommer ein Pferdeomnibus zwischen Eppendorf und der Stadt. Von 1840 an gab es regelmäßige Linienbetriebe vom Jungfernstieg nach Pöseldorf, zwei Jahre später fuhr der Omnibus zweimal täglich – einmal über Rotherbaum, einmal über den Mittelweg. Die imposantesten Häuser standen am Harvestehuder Weg, wo auch die reichsten Hamburger wohnten. Die Adressbücher von damals lesen sich wie ein Who’s who – Laeisz, Sloman, Predöhl, um nur einige zu nennen. Die Hälfte der Hamburger Millionäre lebte um 1912 in Harvestehude. Dass die Stadt im Jahr 1906 die Straße Alsterufer bis zum Harvestehuder Weg durchbrechen ließ, sorgte bei den Anwohnern für erhebliche Verstimmung. Ihre Gärten hatten hier einst bis zum Wasser gereicht, nun durfte „man“ dort vorbeifahren.

Die Pläne aber, das Alstervorland zur öffentlichen Promenieranlage zu machen, die es damals schon gab, begrub man für lange Zeit sang- und klanglos. Erst 1953 wurde das Vorland im Rahmen der Internationalen Gartenbauausstellung zum Park für alle.

Westlich davon, im heutigen Stadtteil Rotherbaum, lagen zwischen Alsterchaussee, Mittelweg, Böhmersweg und Milchstraße Remisen und Gärtnereien unterschiedlicher Größe, die mit der Zeit zu einem Konglomerat aus Kleinstbetrieben wurden. Die Pächter und Besitzer reparierten die Kutschen der hohen Herrschaften, verkauften Pflanzen oder „pöselten“ (pusselten) vor sich hin – ein Pöseldorf eben. Die Einwohnerzahl der gesamten ehemaligen „Gegend vor dem Dammtor“ stieg innerhalb von 60 Jahren geradezu gigantisch: Zwischen der Aufhebung der Torsperre (1860/61) und 1920 von 8000 auf 59.000 Menschen. Seit 1900 hatten die Straßenbahnen, die über Mittelweg und Rothenbaumchaussee fuhren, Nummern: 18 und 19. Die 1912 in Betrieb genommene Ringstrecke der Hochbahn hält nach wie vor am Eppendorfer Baum, seit 1934 verbindet eine andere U-Bahn-Linie den Klosterstern unterirdisch mit der Innenstadt.

Die Straßen in Harvestehude wurden schachbrettartig angelegt und mit Villen und feudalen Stadthäusern bebaut.