Jelena ist eines von 924 Flüchtlingskindern, die zurzeit in Hamburg lernen – Deutsch und Lesen

Manchmal ist sie sehr müde, wenn sie morgens um 7 Uhr in die Schule zur Frühbetreuung kommt. Dann konnte Jelena erst um 5Uhr einschlafen, weil die Nachbarn im Container nebenan wieder so laut waren.

Jelena ist sieben Jahre alt und kommt aus Montenegro. Weil sie als Roma in ihrer Heimat diskriminiert wird und der Schulbesuch dort für sie nicht so ohne Weiteres möglich ist, sind ihre Eltern mit Jelena und ihren zwei kleinen Brüdern nach Deutschland gekommen. Sie wohnen im Containerdorf an der Lokstedter Höhe in Lokstedt.

Jelena ist eines von 924 Flüchtlingskindern, die in Hamburg zur Schule gehen, 227 von ihnen sind Grundschüler. Jelena und Madina gehen in reguläre Schulklassen, in denen sie neben Rechnen und Schreiben auch Deutsch lernen sollen.

Es ist noch dunkel, wenn Marianne Müller Jelena und Madina, die ebenfalls im Containerdorf lebt, in die Schule bringt. Marianne Müller engagiert sich ehrenamtlich für die Flüchtlinge. Die beiden Mädchen sind so früh schon in der Schule, damit sie hier in Ruhe frühstücken können. Der Verein „Hilfe für das Leben“ hat Geld für das Frühstück in der Schule bereitgestellt. „Ohne diese zusätzlichen Mittel könnten wir ihnen das gar nicht bieten“, sagt Schulleiterin Nina Löb. Auch die neuen Ranzen der Mädchen sind durch Spenden des Elternrats finanziert worden.

Während Jelena bereits vorher etwas Deutsch konnte, fängt die acht Jahre alte Madina aus Tschetschenien von vorne an. Seit etwa vier Wochen gehen sie in die Grundschule Vizelinstraße. War Madina in den ersten Tagen noch scheu, gewöhnt sie sich nun an den Schulalltag. „Ihr erstes deutsches Wort war aufräumen“, sagt Betreuerin Sabine Christiansen, und darüber muss sie schmunzeln. Das sei ja auch ein bisschen peinlich, ausgerechnet aufräumen. Auch wenn sie noch kein Deutsch spricht, sie mache gut mit, sagt Eva Boekhoff. Eine Stunde am Tag bekommen Madina und Jelena eine Extrastunde Deutschunterricht. Dort geht es darum, ihren Wortschatz zu verbessern, also Vokabeln zu lernen. Dass es daran noch hapert, zeigt sich im Deutschunterricht der Klasse 2b von Lena Ulrich.

Jelena hat in ihrem Arbeitsbuch Bilder von Gegenständen, die sie benennen und richtig aufschreiben soll. Zwar kann sie die Buchstaben schon, aber es ist schwierig, das Wort Muschel aufzuschreiben, wenn ihr die Vokabel nicht einfällt. Mithilfe ihrer Banknachbarin und Freundin Lisa klappt es besser. Genau wie Erstklässler arbeitet Jelena mit einer Anlauttabelle. Auf der steht dann zum Beispiel ein A und dazu das Bild einer Ameise. „Das Schöne ist, dass die Kinder sofort in der Klasse integriert sind“, sagt Lena Ulrich. „Die anderen Kinder kümmern sich toll um Jelena.“ Auch Nina Löb ist zufrieden. „Es läuft sehr gut, die beiden können sich schon gut orientieren. Aber aufgrund der Sprachdefizite können sie eben noch nicht in dem Maße am Unterricht teilnehmen wie ihre Klassenkameraden.“ Weil an der Vizelinstraße ohnehin Kinder aus vielen Nationen sind, findet sich fast immer ein Schüler, der den neu ankommenden Flüchtlingskindern auch als Dolmetscher dient.

Die zwölf Kinder von der Lokstedter Höhe wurden auf die umliegenden Grundschulen verteilt. Jede Schule hat zwei bis drei Flüchtlingskinder aufgenommen. Die Kinder bekommen eine zusätzliche tägliche Sprachförderung, die die Schulen aber selbst organisieren müssen. Dafür gibt es für die Schulen zusätzliche Wochenarbeitszeiten von der Behörde. „Wir setzen Paten, Erzieher und Lehrer dafür ein“, sagt Nina Löb. Dieser Aufwand müsse sein, um die Kinder schnell zu integrieren. Die Kinder sollen möglichst eine wohnortnahe Schule besuchen. Sogenannte Alphabetisierungsklassen (kurz Abc-Klassen) gibt es ab der Jahrgangsstufe 3, und 4. Alpha-Klassen sind für neu zugewanderte Schüler, die in ihrem Herkunftsland keine grundlegenden Kenntnisse im Lesen und Schreiben erworben haben oder in einem anderen Schriftsystem alphabetisiert worden sind. Internationale Vorbereitungsklassen sind für neu zugewanderte Schüler, die bereits in ihrem Herkunftsland grundlegende Kenntnisse im Lesen und Schreiben erworben haben, aber über keine ausreichenden Deutschkenntnisse verfügen, um in Regelklassen zu gehen.

Diese Klassen nehmen mit dem Zustrom an Flüchtlingen zu. Waren es im vergangenen Schuljahr 97 Abc-Klassen, stieg diese Zahl in diesem Schuljahr auf 104 Abc-Klassen an 24 Grundschulen und Stadtteilschulen hamburgweit an. Pastor Bernd Müller-Teichert von der Kirchengemeinde Lokstedt ist mit den Flüchtlingen in Kontakt. Er kritisiert, dass viele lange nicht zur Schule gehen können, so wie die 16-jährige Sonia aus Afghanistan. „Die sind seit fünf Monaten hier, das ist frech.“

„Wir haben einen starken Andrang an Flüchtlingskindern und eine Warteliste abzuarbeiten“, sagt Peter Albrecht, Sprecher der Schulbehörde. Die zuständige Stelle soll jetzt mehr Personal bekommen, um die Schüler schneller zu verteilen. So gut es an der Grundschule Vizelinstraße mit Jelena und Madina klappt, so unsicher ist die Perspektive der Mädchen. Sie könnten zurück in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden. Und das macht es allen Beteiligten so schwer, sich stets aufs Neue zu engagieren. „Wir haben große Sorge, dass sie plötzlich nicht mehr kommen. Man baut ja Beziehungen auf. Sie werden hier integriert und könnten von einem Tag auf den anderen wieder weg sein“, sagt Schulleiterin Nina Löb. Dann, sagt sie, fühlten sich alle wie amputiert.

Das Schöne ist, dass die Kinder sofort in der Klasse integriert sind. Die anderen kümmern sich toll um Jelena.