Die Loge unterhält im Schanzenviertel eine Residenz für Senioren und Pflegebedürftige. Die Villa im Park ziert das geheimnisvolle Wappen mit den drei Rosen.

Hamburg. Die alte Dame sieht recht zufrieden aus, wie sie da auf der Gartenbank unter dem Ahorn sitzt. Es ist noch früh am Morgen. Herta hat die Gelegenheit zwischen zwei Schauern ergriffen und ist den gewohnten Weg aus der alten Villa über die hölzerne Brücke vorbei an dem Schilf und den Seerosen spaziert. Wenn sie es sich hätte aussuchen können – sie wäre vermutlich gar nicht hier. Und würde sich auch keine Gedanken darüber machen, ob die Kaninchen besser nicht mit Bananen gefüttert werden sollten. Die 81-Jährige würde sich nicht mit einem prüfenden Blick auf die Armbanduhr auf die bevorstehende Partie Billard mit Stephan und Inge freuen.

Es war ein Paukenschlag, der sie vor drei Jahren in die alte Villa mit dem Park und dem geheimnisvollen Wappen mit den drei Rosen katapultiert hatte – mitten ins Schanzenviertel, in das Elisabeth Alten- und Pflegeheim der Freimaurer von 1795.

Herta war nicht aus freien Stücken gekommen. Man hatte ihr ganz plötzlich die Eigenständigkeit entrissen. Vor drei Jahren im Krankenhaus, nach Operationen und einem Herzinfarkt, als man dort mit Hertas gesetzlicher Betreuerin die Entscheidung traf, dass die Seniorin nicht mehr in ihre Wohnung auf der Uhlenhorst zurückkehren solle. Weil sie in einem Altersheim besser aufgehoben sei.

Dass man sie dann ausgerechnet zu den Freimaurern in die alte Villa am Kleinen Schäferkamp brachte, darüber ist Herta heute „von Herzen dankbar“. Aber das hatte sie nicht ahnen können, als man sie vor drei Jahren im Rollstuhl in ihr Einzimmerappartement mit den hohen Decken, dem Stuck und dem Balkon mit Blick in den Park rollte. Ihren Ohrensessel, den Tisch mit der braunen Marmorplatte, ein paar Bilder, Bücher, persönliche Dinge hatte sie mitnehmen dürfen. Gelitten habe sie. Allzu bewusst sei ihr gewesen, dass dies ihre „letzte Station im Leben“ sei. Hinzu kam „diese mysteriöse Sache mit den Freimaurern“, sagt sie, „mit denen hatte ich doch gar nichts am Hut.“

Tempelritter, geheime Rituale, Symbole und Erkennungszeichen. Schlagworte, die Herta in den Sinn kamen. Heute lacht sie darüber, dass sie gar an eine Sekte dachte. Neulich, da hat es in der alten Villa eine Ausstellung der Freimaurer gegeben: Bilder, Texte zur Geschichte. Die Freimaurerei ist keine Religion. Den Logenbrüdern ist Missionieren fremd. Sie haben sich einer auf Toleranz und Verschwiegenheit beruhenden Geisteshaltung verpflichtet. Die Liste berühmter Freimaurer ist lang. Friedrich der Große war einer, Johann Wolfgang von Goethe auch und viele amerikanische Präsidenten. Der junge Dramatiker Wolfgang Borchert verbrachte 1945 als Patient ein halbes Jahr in der alten Villa im Schanzenviertel.

Für Herta und die anderen spielt es im Alltag keine Rolle, welcher der 173 Bewohner Freimaurer ist und wer nicht. Nach Angaben des Geschäftsführers Hans-Jürgen Wilhelm sind es aktuell nur drei. Zählt man die Ehefrau eines verstorbenen Logenbruders hinzu, käme man auf vier Freimaurer. Das Elisabeth Alten- und Pflegeheim sei eine Einrichtung für Menschen aller Schichten, Anschauungen und Religionen, die im Alter einen Platz brauchten, an dem man ihnen mit Respekt, Gemeinschaft, Menschlichkeit begegne. „Wir sind kein Hotel“, stellt Wilhelm klar. Wer wolle schon lebenslang im Hotel wohnen? „Wir sind Gast beim Bewohner. Er hat ja keine andere Heimat mehr. Vielleicht klingt es profan, aber es geht darum, Normalität zu schaffen.“

Herta berichtet davon, wie schnell sie sich nach ihrem Einzug wohl gefühlt habe. „Die Stimmen der Pflegerinnen und Betreuer waren anders als zuvor im Krankenhaus.“ Freundlich seien sie gewesen. „Sie gaben mir das Gefühl, nicht lästig zu sein.“ Für die Seniorin ist es vor allem die gelebte Maxime aus dem Jahr 1795, die zählt: „Humanität zu üben, ist die oberste Pflicht eines Freimaurers.“

Beinahe hektisch beginnt sie zu winken, die hellblauen Augen hinter der Goldrandbrille sind auf eine sehr kleine Frau und einen jungen Mann im Rollstuhl gerichtet. Das ungleiche Paar bewegt sich langsam auf Herta zu. Inge und Stephan. Billardpartner. Freunde.

Inge, gerade 1,50 Meter groß, ist 90Jahre alt. Ihr Begleiter Stephan gibt seinem Gefährt mit nur einem Arm und einem Bein mühevoll Schwung. „Die Krankenkasse hat leider immer noch keinen Elektrorolli bewilligt“, sagt er, als wolle er sich für das geringe Tempo entschuldigen. Stephan ist 44 Jahre alt. Ein Schlaganfall während eines Dänemark-Urlaubs hatte vor einem Jahr sein Leben zertrümmert. Als der ehemalige H&M-Teamleiter in einem Krankenhaus aus dem Koma erwachte, hatte er die Sprache verloren. Stephan ist bis heute halbseitig gelähmt. Was folgte, war eine Odyssee an schlechten Erfahrungen. Schließlich habe seine Mutter den Platz bei den Freimaurern für ihn gefunden.

„Hier ist es tatsächlich anders“, sagt er und spricht dabei klar und deutlich. Überhaupt mache er große Fortschritte, „Mein Ziel ist es, hier rauszukommen und wieder in eine eigene, richtige Wohnung zu ziehen.“ Inge bringt es auf den Punkt: „Das ist der Unterschied zu uns Alten.“ Inge, „die gute Seele“, wie Stephan sie nennt, sie habe für alle ein offenes Ohr. Für Herta hat er auch einen Namen: „unsere Sportskanone“. Ob Billard oder Gymnastik, Herta schneide so gut wie immer als Beste ab. „Ich spiele so gerne“, sagt die ehemalige Handballerin. Einsam auf dem Zimmer zu hocken, für alle drei unvorstellbar.