Das schwungvolle Hamburg-Musical „Linie S1“ könnte nach der bejubelten Premiere zum Dauerbrenner im St. Pauli Theater werden

Ach ja, der Hauptstadt-Dünkel: „Musicals hamse“, berlinert ein mauliger Tourist auf Kieztour. „Det is aber och det einzje, womit se anjeben können!“ – „Die ham doch so ne Ruine!“, ätzt der andere. „Meinste den HSV?“ – „Nee, die Elbphilharmonie.“

Haha. In einem Punkt allerdings muss man diesem nöligen Bühnenberliner („Wär’n wa bloß in Wilmersdorf jeblieb’n!“) Recht geben: Es ist zwar bei Weitem nicht das Einzige, womit wir angeben können, aber: Jawollja, Musicals hamwa. Und eben nicht nur die internationalen Glamourproduktionen, sondern auch die kleinen, reizenden, manchmal schrägen, immer jedoch glühend lokalpatriotischen, die auf den Kiezbühnen am Spielbudenplatz ihre natürliche Heimat finden.

Nach dem Dauerbrenner „Heiße Ecke“ läuft nun „Die Königs vom Kiez“ im Schmidt, und das St. Pauli Theater legt mit „Linie S1“ selbstbewusst nach. Und schubst damit den guten alten Theater-Liederabend tatsächlich eine Umdrehung weiter Richtung Musical, mit Choreografien (Kim Duddy), Livemusik und der Erkenntnis: Wer in Hamburg noch nie S-Bahn gefahren ist, der hat was verpasst im Leben. Trotzdem gut natürlich, wenn das Leben bisweilen dramaturgisch leicht verdichtet wird, wie hier von Regisseur Ulrich Waller mithilfe seines Autors Markus Busch. Denn der Praxistest beweist: Auf dem Weg zum St. Pauli Theater, selbstverständlich stilecht mit der (wirklichen) Linie S1, die dem Abend ihren Titel gibt, passiert genau: gar nichts.

Der rote Faden ist schnell erzählt: Junge trifft Mädchen, man verliebt sich, man verliert sich, man findet sich. Happy End. Entscheidend ist der Weg zum Ziel und der ist entlang der grünen Route gepflastert mit so ziemlich allem, was einem in Hamburg so an Originalen vor die Füße fallen kann. Dem Hans-Albers-Wiedergänger, der in der Eckkneipe für die Besoffenen Quetschkommode spielt, den Champagner-Schicksen in beigeblonder „Elbletten“-Uniform, die erst Befruchtung, dann Scheidung planen, den unterschätzten Nutten, die „Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt“ auf dem iPod haben, den Pfeffersäcken und Senatoren, den Freiern und Feierwütigen, den Touristen und FC-St.-Pauli-Fans. Sie alle bilden das Personal für diese „Linie S1“ und sorgen dafür, dass das für ein kleines Theater aufwendig produzierte Musical (mit 15 Darstellern und sechs Musikern sind Bühne und Graben proppenvoll) geradezu zum Dauerbrenner werden muss.

Denn, wie praktisch: Kaum eine andere Stadt wurde so oft besungen wie diese. Nicht jedem Song hätte man bislang hanseatische Wurzeln unterstellt, aber wo sonst als in den Elbvororten muss Grönemeyer inspiriert worden sein, als er vom Austernschlürfen dichtete: „Luxus ist das, was uns zusammen hält (…) Wir feiern hier ’ne Party – und du bist nicht dabei!“ Bei anderen (Lassie Singers, Samy Deluxe, Element of Crime) ist schon der Songtitel „Hamburg“-Programm, und natürlich ist es Udo Lindenberg, dessen „Reeperbahn“ am nachgebauten Lucullus-Imbiss für den ersten Gänsehaut-Moment des Abends sorgt. Die Band um Matthias Stötzel ist klasse – und mit Ina Müller zum Hafensonnenaufgangsfinale kann ohnehin nichts mehr schiefgehen. Also – Theater, das könnse, die Hamburger.

Linie S1 im St. Pauli Theater, Vorstellungen bis November, z.B. am 15., 17. und 22. September. Karten u.a. in den Abendblatt-Ticket-Shops. Am 29.9. können Abendblatt-Abonnenten exklusiv mit einer historischen S-Bahn zur Vorstellung fahren, Karten (inkl. Sektempfang und Vorstellung) gibt es für 65 Euro: T. 30 30 98 98