Rund um Humboldtstraße und Komponistenviertel wird viel gebaut und saniert. Können sich die Alteingesessenen das noch leisten?

Fiete, der spanische Kötermix, trabt schnüffelnd voraus, Anneke Luwald und Janek Wulff schlendern hinterher, die Abendluft ist mild. Drüben, vor den Mozart-Stuben, sitzt an diesem lauen Freitagabend ein Dutzend halbwegs fröhlicher Zecher, auch in der Eckkneipe „Zum guten Tropfen“, knapp 100 Meter weiter die Mozartstraße runter, klingen unüberhörbar die Gläser. Den Stimmlagen nach zu urteilen – das lang gedehnte, kehlige „Hamburger A“ ist unüberhörbar – handelt es sich bei den Gästen ausschließlich um waschechte Barmbeker, diejenigen mit den alten, langjährigen Mietverträgen. Von Gentrifizierung haben sie noch nichts gehört: „Was soll ’n das sein?“ – „So eine Art Verdrängungsprozess, wenn ein Viertel plötzlich interessant für Investoren wird, wenn neu gebaut und saniert wird und die Ureinwohner quasi durch Besserverdienende vertrieben werden ...“ – „Aber ist doch schön, wenn hier was passiert“, sagt einer und deutet auf die gegenüber liegende Straßenseite.

Dort hat, in einem der gelb geklinkerten Pavillons aus den 50er-Jahren, bis vor Kurzem noch ein chinesisches Lokal residiert, aber das Xiao Xiang ist jetzt fort, umgezogen an den Lehmweg nach Hoheluft. Der Bäcker daneben hat schon länger dichtgemacht, der Kiosk, das Modegeschäft sowie die Geflügelhandlung auch, denn die Pavillons werden bald abgerissen. „Da kommt jetzt was Hohes hin“, weiß Anneke, die seit knapp fünf Jahren um die Ecke an der Humboldtstraße in Barmbek-Süd wohnt, im „alten Teil, der von den Weltkriegsbomben einigermaßen verschont wurde“ – dem „Blankenese“ von Barmbek, wie es der Hamburger Sänger Stefan Gwildis bereits vor sieben Jahren süffisant formulierte. Und seiner Zeit damit sicherlich weit voraus war.

Fiete hat an dieser Ecke ordentlich was zu schnüffeln: Abfall und Sperrmüll türmen sich mannshoch, und wenn man ehrlich ist, dann wäre diese Ladenzeile auch ohne die nun blinden Fenster tatsächlich nicht gerade ein architektonisches Highlight. Allerdings hat sie über Jahrzehnte zumindest ihre Funktion in diesem bürgerlichen Stadtteil erfüllt, der mitten im Umbruch steckt. Der sich den feineren Quartieren Uhlenhorst, Winterhude und Eppendorf mit Riesenschritten annähert. „Wir wohnen in der Humboldtstraße“, sagen Anneke und Janek, „dort ist gerade das wohl vorerst letzte Baugerüst verschwunden.“ Die Aufwertung, die Barmbek-Süd zurzeit erfährt, machten beide jetzt unter anderem an der wachsenden Anzahl der Kinderwagen aus, die durchs Viertel geschoben werden. „Und auch alle alten Läden sind im Grunde weg. Dafür gibt es seit ein paar Monaten einen großen Biomarkt und bei uns gegenüber eine Spielhalle.“

Fängt so die gefürchtete Gentrifizierung an? Mit einem Biomarkt und einem Automatenkasino? „Nee, mit einer Erhöhung der Mieten und Immobilienpreise“, sagt Janek. „Einer unserer Hausnachbarn hat seine Zweizimmerwohnung vor drei Jahren für 80.000 Euro gekauft und jetzt für 110.000 wieder verschrubbt, in unrenoviertem Zustand.“ Anneke und er wissen, dass sie unverschämtes Glück haben, denn sie wohnten „superzentral zu äußerst geringen Belastungen“, in einer Eigentumswohnung, die Annekes Eltern gehört, seit vielen Jahren schon. Und beide wissen auch, dass es noch viel krassere Beispiele für astronomische Wertsteigerungen im Quartier gibt.

Das besagte, wohl nur vorerst letzte Baugerüst stand vor der Hausnummer 133. Dieses Mehrfamilienhaus besitzt nun eine prächtig renovierte Fassade. Der Mieter, der die Eingangstür aufschließt, bleibt wortkarg. „Tja, das Haus ist schon schick geworden“, sagt er, aber es habe ja auch lange genug gedauert, das Leben auf der Baustelle, mit Staub und Lärm. Und jetzt müsse er erst einmal die Mieterhöhung abwarten. Er sei sowieso schon am oberen Ende des Mietenspiegels angesiedelt, „knapp unter 10 Euro kalt.“ Es hört sich resigniert an, jedenfalls nicht nach Freude.

Der Hamburger Publizist Maximilian Buddenbohm, der in seinem viel beachteten Internetblog „Herzdamengeschichten“ ordentlich Platz für andere Blogger und Autoren reserviert hat, die authentisch über ihre Stadtteile schreiben sollen („Der Rest von Hamburg“), hat sich so inzwischen auch eine dezidierte Meinung über diesen Stadtteil bilden können, der sich in Nord und Süd teilt und vermutlich doch in seiner Gesamtheit beurteilt werden muss: Denn auch in dem von ursprünglichen Backsteinbauten dominierten Barmbek-Nord wird zurzeit gebaut. „Ich mache gerne Späße über Barmbek als Nicht-Szene-Stadtteil“, sagt Buddenbohm, „vor allem weil die Bewohner sich so berechenbar niedlich darüber aufregen, wenn man das anspricht. Wobei doch außer Frage steht, dass Barmbek in Kürze in sein wird, mit allen Folgen, die das so mit sich bringt – steigende Mieten, Änderung des Ladenmixes, Änderung der sozialen Struktur.“

Das kann man am besten dem offiziellen Immobilienmarktbericht 2013 entnehmen. Demnach ist in Barmbek-Nord und in Barmbek-Süd vor allem der Wohnungsmarkt besonders quirlig: Im Jahr 2012 wechselten 29 Mehrfamilienhäuser die Besitzer, und mit 243 respektive 282 Verkäufen von Eigentumswohnungen nehmen die beiden Stadtteile längst eine Spitzenposition in Hamburg ein, haben mit Ottensen und Eimsbüttel vergleichbar gleichgezogen. Der mittlere Kaufpreis pro Quadratmeter Wohnfläche (ohne die Einbeziehung von Neubauten!) stieg dabei im Vergleich zu 2011 um bis zu zehn Prozent – unter Berücksichtigung der Lage, der Wohnungsgröße und der Ausstattung. Er beträgt jetzt 1877 Euro (Barmbek-Nord) und 2401 Euro (Barmbek-Süd). Aber oftmals werden Preise von über 4000 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche gefordert – und auch bezahlt.