Ein Grundsatzstreit hat sich entzündet. Wohnungsunternehmen wie in der Gartenstadt Berne fürchten neues Gesetz als Bremse für Sanierungen.

Hamburg. Der Stein des Anstoßes ist eine kleine Doppelhaushälfte, 56 Quadratmeter, viel Grün, gelegen im Nordosten Hamburgs, in der Gartenstadt Siedlung Berne. Die Wohnungsgenossenschaft Gartenstadt Hamburg hat hier in den 20er-Jahren ein Musterquartier der Gartenstadt-Bewegung geschaffen: kleine Häuschen mit großen Gärten, nur rund 73 Quadratmeter Wohnfläche kommen im Schnitt auf 1000 Quadratmeter Grundstück. 540 Doppelhaushälften entstanden auf einer Fläche von 55 Hektar, im westlichen Bereich Klinker, im östlichen Putz. Das Ensemble ist als Denkmal anerkannt.

Auch die Doppelhaushälfte am Berner Heerweg gehört dazu, doch im Innern sind die Räume leer, die Tapeten abgerissen, der Beton ist stark geschädigt. "An die 55 000 Euro würde uns allein eine Grundsanierung kosten", sagt Sönke Witt, Geschäftsführer der Gartenstadt Hamburg eG. "Mit Küche, Bad, Heizung sind wir schon fast bei Neubaukosten." Zwar gebe es keine festen Pläne. "Aber für das Geld könnten wir besser, größer, energetischer bauen."

+++ Denkmäler in Hamburg +++

Genau das fürchten aber andere. Als Teil des Ensembles Gartenstadt ist auch die Doppelhaushälfte Denkmal - und gehört als solches geschützt, finden die GAL-Bürgerschaftsabgeordneten Christa Goetsch und Olaf Duge. "Wir befürchten, dass das Ensemble zerstört wird und noch weitere Abrisse folgen werden", sagt Goetsch. "Der Senat braucht zu lange für die notwendige Novellierung des Denkmalschutzes."

Am Häuschen in Farmsen-Berne hat sich ein Grundsatzstreit entzündet, der in den kommenden Jahren viel mehr Gebäude in Hamburg betreffen könnte als bisher. Denn im Senat ist ein Gesetzentwurf in Vorbereitung, bei dessen Verabschiedung mit einem Schlag 4900 statt bisher 1900 Denkmäler auch rechtlich unter Denkmalschutz stünden. Für längst überfällig halten Kulturschützer und viele Politiker das Gesetz. Übertriebener Denkmalschutz, sagen dagegen die Wohnungsunternehmen, verhindere auf Jahrzehnte hin Wohnungsbau und Weiterentwicklung in der Stadt.

Konkret geht es um das "ipsa-lege"-Prinzip, das auch in den meisten anderen Bundesländern gilt: Demnach steht ein Denkmal, sobald als solches erkannt, automatisch rechtlich unter Schutz. In Hamburg gilt dagegen: Nur die Denkmäler, die zusätzlich auf der Denkmalliste stehen, sind auch gesetzlich geschützt. Noch für diesen Sommer rechnet die Kulturbehörde mit einem Gesetzentwurf. "Das Prinzip schafft eine größere Rechtssicherheit für alle", sagt Sprecher Enno Isermann. Außerdem können dann alle Eigentümer eines erkannten Denkmals Erhaltungsarbeiten steuerlich absetzen. Bisher war das nur bei eingetragenen Denkmälern möglich.

"Für uns wäre das existenzbedrohend", sagt dagegen Sönke Witt. Die Siedlung macht mehr als 70 Prozent der Grundstücke der Genossenschaft aus, dort könne dann überall nur mit hohen Auflagen und teuer saniert werden. "Wir kommen aus der Gemeinnützigkeit und können nichts abschreiben", sagt Witt. Energetische Sanierungsmaßnahmen und etwa Solaranlagen könne man sich dann kaum noch leisten, wenn sie überhaupt genehmigt würden. Neubaupläne in der Gartenstadt gebe es zwar keine. "Aber was ist in zehn Jahren, bei der Wohnungsnot? Mit dem neuen Denkmalschutz würde der jetzige Zustand auf Jahrzehnte hinweg zementiert."

Auch andere Wohnungsunternehmen beobachten den Gesetzentwurf mit Sorge. Der Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW), dem fast alle Hamburger Genossenschaften angehören und dessen Unternehmen 40 Prozent aller Mietwohnungen der Stadt besitzen, wandte sich vergangene Woche gemeinsam mit anderen Immobilienverbänden in einem Brief an Kultursenatorin Barbara Kisseler. Die Verbände fordern darin eine Anhörung beim Abstimmungsverfahren und wenden sich gegen das "ipsa-lege"-Prinzip überhaupt.

"Zu sicherem und bezahlbarem Wohnen gehört auch die Weiter-entwicklung", sagt Joachim Wege, Verbandsdirektor des VNW. "Das heißt Sanierung, altersgerechtes Bauen und Barrierefreiheit." Gerade bei den Nachkriegsbauten, die schnell hochgezo-gen wurden, gebe es oft bauliche Mängel. "Bedingungsloser Denkmalschutz könnte notwendige Modernisierungsmaßnahmen und Wohnungsbau auf Dauer verhindern." In Schleswig-Holstein konnten die Wohnungsunternehmen im vergangenen Jahr die geplante Einführung des Prinzips abwenden.

Die Unterschutzstellung der Gartenstadt war im Bezirk Wandsbek bereits 2010 diskutiert, dann aber abgelehnt worden. Die Genossenschaft hatte anhand eines Gutachtens den Vorschlag eingebracht, nur 30 Prozent des Grundstücks unter Schutz zu stellen, um alle vorhandenen Haustypen und Bauabschnitte zu erhalten. Ein Gutachten der Kulturbehörde dagegen kam zu dem Schluss, dass man das Ensemble, wenn, dann im Ganzen schützen müsse. "Für uns wäre das wie Enteignung", sagt Witt. "Nur weil wir über die Jahre so gut auf unsere Häuser geachtet haben, sind wir doch überhaupt Denkmal."

Die Kulturschützer fordern mit Blick auf die Gartenstadt nun eine schnelle Einführung des Prinzips. "Wir befürchten, dass das Gesetz verzögert wird und die Hauseigentümer in dieser Zeit Fakten schaffen", sagt Goetsch. Umso schwieriger ist die Situation, als beide Seiten Verständnis füreinander zeigen. "Wohnungsbau ist natürlich wichtig", sagt Goetsch. "Aber da muss man eine Balance finden." Und Sönke Witt sagt: "Natürlich sind wir für Denkmalschutz. Aber eine komplette Siedlung? Man kann doch nicht einen ganzen Stadtteil zum Museum erklären."