Wie eine Pastorin und eine Imamin Rahlstedter Erstklässler mit einem interreligiösen Gottesdienst begeistern. Inzwischen gibt es viele Formen interreligiöser Begegnungen in Hamburg.

Hamburg. Ausgerechnet heute ist Simon erkältet. Während 65 Erstklässler mit ihren Schülerpaten aus den vierten Klassen in die Dietrich-Bonhoeffer-Gemeinde Oldenfelde strömen, bleibt er ein bisschen müde in der letzten Reihe des Gotteshauses sitzen. Simon wurde vor sechs Jahren anonym geboren. Inzwischen ist er Adoptivkind von Angela Wackerhagen, die mit ihm zum interreligiösen Einschulungsgottesdienst gekommen ist. „Wir wissen nicht viel über seine Herkunftsfamilie“, sagt sie, als eine Pastorin und eine Imamin gemeinsam zum Altar schreiten. „Nur so viel: Sein Vater ist Türke und Muslim. Mit diesem Gottesdienst soll Simon den Glauben seiner Herkunftsfamilie erleben.“

Mehr als 120 Schülerinnen und Schüler feierten am Freitag in der evangelischen Bonhoeffer-Gemeinde den ersten interreligiösen Einschulungsgottesdienst in diesem Jahr. Seit gut zehn Jahren ist es in Oldenfelde Tradition, dass die Erstklässer mit dem Segen Gottes beziehungsweise Allahs in den neuen Lebensabschnitt starten. Diese Gemeinde gilt als Vorreiterin solche Gottesdienstmodelle, die für Schulleiterin Ellen Peters von der Grundschule Bekassinenau durchaus Sinn haben. „Denn rund 43 Prozent unserer Schüler haben Migrationshintergrund“, sagt sie. Und daher sei es gut, die Einschulung gemeinsam in diesem Rahmen zu feiern. Auch in der kommenden Woche stehen weitere interreligiöse Feiern für die Erstklässler im Kirchenkreis Hamburg-Ost auf dem Programm.

Mit „Psst!“ und einer deutlichen Fingerbewegung auf den Mund wendet sich Pastorin Maren Schack an die Kinder. Sie sitzen noch quasselnd auf den Kirchenbänken und nehmen kaum den Altar wahr, auf dem das Christus-Kreuz steht. Doch schnell tritt Ruhe ein. Der Gottesdienst „im Namen Gottes“ beginnt. Es tritt mit weißem Kopftuch und weißem Gewand die Imamin Halima Krausen vor die Schüler. Die islamische Theologin ist eine der wenigen Imaminnen in Deutschland und gilt als „Mutter Courage“ unter den rund 130.000 Hamburger Muslimen. Seit gut 18 Jahren ist sie Theologin in der blauen Hamburger Imam-Ali-Moschee an der Alster. „Christen und Muslime – beide denken zusammen an Gott“, sagt sie zu den Kindern. Und nimmt wieder Platz auf einem Stuhl in der Ecke. Das Knie. Es schmerzt ihr auch an diesem besonderen Tag.

Inzwischen gibt es viele Formen interreligiöser Begegnungen in Hamburg. Dazu gehört der interreligiöse Dialog auf höchster Ebene genauso wie gemeinsame Gebete. Das Gesprächsklima, heißt es sowohl auf christlicher als auch muslimischer Seite, sei bei aller Unterschiedlichkeit offen und konstruktiv. Schließlich geht es darum, dass Christen und Muslime ihren Glauben frei leben und bekennen können. Wie die Kinder beim interreligiösen Gottesdienst. Halima Krausen steht gerade vor dem Predigtpult der evangelischen Kirche und liest einige Suren aus dem Koran. Auf Arabisch. „Das klingt wie gesungen“, erklärt sie den Abc-Schützen, während die Kerzen der Paten aus den vierten Klassen auf dem Altar brennen. Der Korantext dreht sich um das Paradies. Er handelt von der Erschaffung der Welt durch Allah und eine schönen Garten und den Menschen, die in der Verantwortung stehen, diesen Garten zu erhalten. Auch die christliche Bibel kennt diesen Garten, sagt Pastorin Schack – und macht „Psst!“. Denn jetzt sind alle Kinder an der Reihe, diesen Garten selbst zu bauen.

Mit grünen Zweigen stellen sie sich vor den Altar. Es entstehen der „Baum des Lebens“ und ein Zaun aus Patenkindern, der sich schützend um dieses kleine Paradies schmiegt. Mit soviel kindgerechter Symbolik leiten die evangelische und islamische Theologin zum Ziel des interreligiösen Gottesdienstes über: Das Ritual des Segnens soll den Mädchen und Jungen helfen, die Schwelle in die erste Klasse zu überschreiten, und zwar in ihrem jeweiligen Glauben. Die Religion kann Kraft, Sicherheit und Vertrauen ins Leben schenken, das ist die Erfahrung von Muslimen genauso wie von Christen. „Nach zehnjähriger Kooperation bei den Einschulungsgottesdiensten stehen die Strukturen für solche Formen fest“, sagen Maren Schack und Halima Krausen.

Kurz vor Ende des Gottesdienstes gibt es einen Segenswunsch und Segenskarten mit einem Bibelvers. „Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen.“ Dann betet Halima Krausen die al-Fatiha, die erste Sure des Korans, und Maren Schack das Vaterunser, das Gebet Jesu Christi. Die Kinder und ihre Schulleiterin sind nach einer Stunde begeistert. „Das war ein sehr gelungener Gottesdienst. Er wurde Hand in Hand gefeiert“, sagt Schulleiterin Ellen Peters. Auch Simon, dem Adoptivkind, hat er gut gefallen. Jetzt aber will er erst einmal nach Hause vor den Fernseher und seinen Infekt auskurieren.