Medikamentenrückstände in den Alster-Zuflüssen – Experten weisen 17 Wirkstoffe nach. Schmerzmittel, Betablocker, Antibiotika – Werte häufig doppelt so hoch wie die EU-Norm.

Hamburg. In der Alster und den kleinen Flüssen Ammersbek, Kollau und Osterbek schwimmen nicht nur Algen und Fische, sondern Reste von Schmerzmitteln, Betablockern, Antidepressiva und Antibiotika. Und das schon seit Jahren. Fast eine ganze Apotheke kommt da zusammen, wie Abendblatt-Recherchen jetzt ergeben haben. Allein in der Ammersbek hat das Institut für Hygiene und Gesundheit 17 Medikamenten-Wirkstoffe kontinuierlich nachgewiesen – vom Lipidsenker bis zum Röntgenkontrastmittel.

Verursacher ist der Mensch, der viele Medikamente schluckt, biologisch nicht aufgenommene Substanzen ausscheidet und darüber hinaus Pillen unsachgemäß in die Toilette kippt. Aus diesen Gründen liegt die über einen langen Zeitraum gemessene Arzneimittel-Konzentration im Einzugsgebiet der Alster über der EU-Qualitätsnorm. Besonders auffällig ist das beim Schmerzmittel Diclofenac. Während die EU-Umweltqualitätsnorm im Jahresdurchschnitt bei 0,1 Mikrogramm/Liter liegt, wurden bei der Einmündung der Ammersbek in die Alster 0,2 Mikrogramm gemessen. Zum Vergleich: In der Elbe bei Seemannshöft sinkt der Wert auf 0,05 Mikrogramm. Politiker und Naturschützer sind nun alarmiert. Nabu-Gewässerschutz-Experte Eike Schilling: „Die relativ hohen Konzentrationen können die Fische schädigen.“ Und der Alstertaler CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Thilo Kleinbauer fordert dringend weitere Sachinformationen. „Da schwimmt schließlich ein ganzer Medikamenten-Cocktail.“ Er sehe aber keinen Grund, in Panik zu verfallen.

Dass dieses Thema jetzt an Brisanz in der Politik gewinnt, hängt mit den Volksdorfer Teichwiesen zusammen. Seit einigen Jahren haben sie mit schlechter Wasserqualität zu kämpfen – zu viele Nährstoffe und zu viele Algen. Bei näheren Untersuchungen wurden nicht nur Nitrate, sondern offenbar auch Rückstände von Arzneimitteln entdeckt. Um der Sache auf den Grund zu gehen, befasst sich am Dienstag der Umweltausschuss der Wandsbeker Bezirksversammlung in öffentlicher Sitzung mit dem Thema „Arzneimittel im Alstereinzugsgebiet“. Ein Experte soll die Abgeordneten auf den neuesten Stand der Dinge bringen. „Zu diesem Thema sind wir aufgrund der Belastung der Volksdorfer Teichwiesen gekommen“, erklärt Claudia Simon (SPD), Vorsitzende des Umweltausschusses. „Dabei erfuhren wir nebenbei, dass hier auch Medikamente eine Rolle spielen.“

Tatsächlich sind bundesweit viele Gewässer mit den Rückständen von Arzneimitteln mehr oder weniger stark belastet. „Arzneimittel“, sagt Udo Rohweder vom Hamburger Institut für Hygiene und Umwelt, „treten in nahezu allen Fließgewässern auf.“ Und das mit Langzeitwirkung. So zeigte eine mehrjährige Untersuchung am Rhein, dass durchschnittlich 25 Prozent der jährlich verwendeten Durchschnittsmenge der 20 am häufigsten gemessenen Arznei- und Röntgenkontrastmittel die deutsch-niederländische Grenzmessstelle Lobith passiert.

Nabu-Gewässerschutz-Experte Eike Schilling steht am Ufer der Alster und zeigt sich besorgt. „Hier wurde gleich eine Reihe von Grenzwerten gerissen“, sagt er und verweist auf den Verstoß bei Diclofenac gegen eine Umweltqualitätsnorm der EU-Kommission vom Januar 2012. Gerade bei diesem Schmerzmittel hätten Experten nachgewiesen, dass bereits vergleichsweise geringe Konzentrationen wichtige Organe der Fische wie Leber, Niere und Kiemen teilweise stark schädigen können. „Auch wirken sich die Substanzen schädlich auf die Fortpflanzung von Organismen aus.“ Zudem könnten durch die ständigen Arzneimitteleinträge Wasserpflanzen-Arten dezimiert werden. Sechs Medikamentenwirkstoffe wurden in der Alster gemessen, darunter mehrere Röntgenkontrastmittel und Lipidsenker. Ob er denn noch Fische aus der Alster essen würde? „Ja“, sagt Schilling, „aber nicht jeden Tag.“ Was den Naturschützer besonders überrascht, ist die Tatsache, dass im Einzugsgebiet Klärwerke fehlen. Deshalb müsse jetzt genau nach der eigentlichen Ursache der Verunreinigungen gesucht werden.

Grundsätzlich sind die meisten Klärwerke in der Lage, das Abwasser in drei Stufen zu filtern. Dennoch lassen sich bundesweit rund 100 Arzneimittel im Abwasser nachweisen. Eine gesundheitliche Gefährdung für den Menschen sieht das Umweltbundesamt dennoch nicht. „Trinkwasserhygienisch sind diese Spuren zwar unerwünscht, für den Menschen besteht dadurch aber keine Gesundheitsgefahr.“ Auch in der Umweltbehörde heißt es, die seltenen Befunde von Arzneistoffen im Trinkwasser seien „sehr weit unter therapeutischen Dosen“. Welche kleinen Gewässer darüber hinaus mit Arzneimitteln belastet sind, ist öffentlich noch nicht bekannt. In der Umweltbehörde hieß es lediglich, das Alstereinzugsgebiet werde ebenso wie andere Oberflächengewässer in Hamburg auf Arzneistoffe untersucht.