Genossenschaft will zum ersten Mal ein Haus abreißen und neu bauen. Bewohner sorgen sich um ihre Siedlung und fühlen sich überrumpelt.

Hamburg. 540 Doppelhaushälften auf 580.000 Quadratmetern - eine Fläche größer als der Stadtteil Sternschanze (470.000 Quadratmeter). In kleinen Häusern mit nahezu paradiesisch großen Gärten leben die Bewohner der 1920 entstandenen Siedlung Berne im Nordosten der Hansestadt. Das ehemalige Gut gehört zur Wohnungsgenossenschaft Gartenstadt Hamburg. Rund 1000 Mitglieder wohnen hier in einem Dorf in der Großstadt. Doch mit dem Frieden ist es seit wenigen Wochen vorbei. Es rumort in der Gartenstadt. Die Berner sorgen sich um die Zukunft ihrer Siedlung.

Auslöser des Aufruhrs war die Abstimmung über einen möglichen Abriss des Doppelhauses am Berner Heerweg 476 und die Aussagen des Gartenstadt-Vorstands Sönke Witt im Abendblatt vor neun Wochen. Darin räumte Witt ein, erstmals in der Geschichte der Siedlung ein Haus abreißen zu wollen und durch einen modernen Neubau zu ersetzen. Die Siedlung steht zwar seit 1978 unter Milieuschutz und wurde 2007 als Ensemble in die Liste der erkannten Hamburger Denkmäler eingetragen. Doch Denkmalschutz besteht deswegen noch nicht, ein Abriss der zum Teil sanierungsbedürftigen Häuser wäre unter Umständen möglich.

Die Aussagen von Sönke Witt haben die Mitglieder der Gartenstadt Hamburg in Aufregung versetzt. Sie gründeten jetzt die Initiative Siedlung Berne zum Erhalt der Häuser. Ziel: die Abstimmung der Vertreterversammlung über den Abriss am Berner Heerweg zu verschieben. Doch der Antrag der Initiative auf Vertagung wurde mehrheitlich abgelehnt. Begründung: Der Abriss eines Siedlungshauses sei keine wesentliche Veränderung des Ensembles.

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Die Bewohner der Siedlung sehen das anders: "Die Entscheidung ist ein Einfallstor. Langfristig werden die Preise bei Neubebauung steigen, die Klientel der Siedlung wird sich verändern", sagt Initiativensprecherin Anne Dingkuhn. Sie wohnt seit 20 Jahren in der Siedlung, ihre Großeltern gehörten zur Gründergeneration. Seit einem Jahr ist Dingkuhn Vertreterin des Wahlkreises 1 in der Gartenstadt Hamburg. Eine Wohnungsgenossenschaft mit festen demokratischen Strukturen. Doch genau hier setzt die Kritik der Initiative an. "Die Basis wird in diese wichtigen Entscheidungen der Gartenstadt nicht eingebunden. Das Selbstverständnis der gewählten Organe stimmt nicht", sagt Dingkuhn. "Das haben rund 300 Mitglieder in einer Unterschriftenliste zum Ausdruck gebracht."

Von den Plänen über das Haus am Berner Heerweg hätten viele Mieter aus dem Abendblatt erfahren. Ihr Vorwurf: fehlende Transparenz der Gartenstadt. Vorstand Sönke Witt wehrt sich: "Unsere Vertreter sind das Parlament. Sie werden in die Entscheidungen eingebunden und fühlen sich gut informiert." Das Votum der Vertreter für einen Neubau sei ein "klarer Auftrag" zu einer weiteren Planung. "Die Zeit bleibt nicht stehen. Alle Häuser werden nicht 100 weitere Jahre halten", sagt Witt.

Der Vorstand bemüht sich, die aufgebrachten Mitglieder zu beruhigen. "Es gibt keine Abrissanträge und keinen Plan für eine Nachverdichtung der Siedlung. Wir reden hier über ein einziges Haus. Primäres Ziel ist der langfristige Erhalt der Siedlung", sagt Witt. Die marode Doppelhaushälfte am Berner Heerweg will die Genossenschaft durch einen modernen und seniorengerechten Neubau ersetzen. "Dann werden andere Häuser frei für junge Familien", sagt Witt. Für das Haus gebe es in dem aktuellen Zustand keine Interessenten. Zudem sei eine Sanierung nahezu genauso teuer wie ein Neubau. "Ich kann doch nicht das Geld der anderen Mitglieder verbrennen", sagt Witt. Die Mitglieder der Initiative überzeugt diese Darstellung nicht. "Es ist unsinnig, bei der Haushälfte von einem Einzelfall zu sprechen, wenn die anderen Häuser in absehbarer Zeit in ähnlichem Zustand sind", sagt Dingkuhn.

Die Zukunft der Siedlung Berne hat sich im Bezirk Wandsbek zu einem Streitfall entwickelt. Während die SPD das Vorhaben der Gartenstadt verteidigt, haben sich die Grünen auf die Seite der Initiative gestellt. "Hier wird eine Gartenstadt dem Verfall preisgegeben und bezahlbarer Wohnraum vernichtet", sagt Olaf Duge aus der Grünen-Fraktion. Er forderte den Senat in einer Anfrage auf, in der Siedlung Berne ein Sanierungsgebiet zu errichten, um die städtebaulichen Maßnahmen mit öffentlichen Geldern zu fördern. Die SPD hält dagegen: "Man muss hinterfragen, ob die geringen Flächen der Häuser auf den großen Grundstücken zeitgemäß und auch für eine Genossenschaft wirtschaftlich sind und ob und wo neben Grundsanierungen auch Neu- und Zubauten möglich sind", sagt der Bezirksabgeordnete Rainer Schünemann. Die SPD hat die Forderung der Grünen in der Bürgerschaft bereits zurückgewiesen. Olaf Duge ist fassungslos: "Die SPD erklärt, dass Denkmalschutz und Sanierungsverfahren nicht zusammen funktionieren würden. Wenn dem so wäre, müsste ab sofort auch das Verfahren für das Gängeviertel gestoppt werden."

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Richtungsweisend für die Zukunft der Siedlung könnte nun ein neues Gesetz für den Denkmalschutz werden, an dem der Senat derzeit arbeitet. Das sogenannte Ipsa-lege-Prinzip soll alle 3000 erkannten Denkmäler in Hamburg automatisch unter Denkmalschutz stellen. "Die Siedlung Berne ist ein Ensemble und würde daher auch geschlossen behandelt werden", sagt Stefan Nowicki, Sprecher der Kulturbehörde. Das Gesetz sei noch in Arbeit. "Bis Ende des Jahres soll der Entwurf stehen", so Nowicki.

Für die Gartenstadt Hamburg hätte das Gesetz zum Denkmalschutz erhebliche finanzielle Folgen. Die sanierungsbedürftigen Häuser der Siedlung Berne wären vor einem Abriss geschützt und könnten nur mit viel Aufwand modernisiert werden. Dagegen fürchten die Bewohner, dass der Vorstand am Berner Heerweg schnell Fakten schaffen will, um den ersten Abriss in der Siedlung noch vor Einführung des Gesetzes zu manifestieren.