Daniela Möller hat Multiple Sklerose. Das hält die Parafechterin nicht davon ab, die Welt zu bereisen und Berge zu erklimmen.

En garde!“ Fechtmeister Aziz Ben Smida bringt den Degen in Stellung, Daniela Möller konzentriert sich. Bereit. Dann kreuzen sich die Klingen, Attacke und Parade. Es klirrt und klappert. Treffer. „Sehr gut“, lobt der Fechtmeister, „Daniela ist wirklich talentiert. Vor allem aber ist sie sehr motiviert. Sie hat Lust auf den Sport, sie möchte das unbedingt machen.“ Daniela Möller sitzt, wenn sie ficht. In einem speziellen Rollstuhl, mit einem Gestell fest auf dem Boden fixiert. Und auch ihr Partner oder Gegner oder Trainer sitzt natürlich. In einem genau ausgemessenen Abstand, sodass sich beide Sportler mit den Waffen messen können. Daniela Möller hat Multiple Sklerose, sie ist auf den Rollstuhl angewiesen. Und sie hat im Zuge ihres „neuen Lebens“ den Fechtsport für sich entdeckt.

Jetzt trainiert sie zweimal in der Woche in der barrierefreien Halle des Hamburger Fecht-Verbands (HFV) in Horn. „Ich lerne, mich zu fokussieren, es ist wie Schach im Kopf und von den Bewegungen des Rumpfes her ein wenig wie Ballett. Ich kann mit meinen Armen produktiv sein“, erzählt die 44-Jährige im Podcast „Von Mensch zu Mensch“.

Fechter mit und ohne Behinderung können miteinander trainieren

Der HFV hatte vor etwas mehr als einem Jahr sein Projekt Parafechten auf den Weg gebracht. Die Alexander Otto Sportstiftung hat das mit der Anschaffung von zwei Fechtgestellen unterstützt. Bei einer Demonstration im Rahmen der Rollstuhlbasketball-WM 2018 in Hamburg hatte HFV-Präsidentin Margit Budde-Cramer den Sport kennengelernt und war sofort begeistert. „Hier ist wirklich integrativer Sport möglich. Fechter mit und ohne Einschränkungen können miteinander fechten.“ Der Fußgänger setzt sich in das andere Gestell und schon sind die Voraussetzungen weitgehend gleich.

Den Podcast mit Daniela Möller gibt es unter www.abendblatt.de/podcast/Von-Mensch-Zu-Mensch
Den Podcast mit Daniela Möller gibt es unter www.abendblatt.de/podcast/Von-Mensch-Zu-Mensch © Hamburg | Podcast Von Mensch Zu Mensch

Auch Daniela Möller ficht in der Regel mit anderen Fechtern, die noch laufen können. Für diese ist das oft eine Herausforderung und Umstellung, denn das Zurückweichen auf der Planche, der Rückwärtsgang in der Verteidigung, geht natürlich nicht. Beim Degen zählen auch nicht wie sonst die Beine zur erlaubten Trefffläche, es können ja auch Amputierte fechten.

Hässlicher Scheidungskrieg

Dass Sport den Krankheitsverlauf zumindest verlangsamt, ist noch nicht bewiesen, es gibt aber Hinweise. „Ich muss fast alles aus dem Rumpf machen, die Reaktionsfähigkeit ist sehr wichtig und es erhöht meine Beweglichkeit“, erzählt Daniela Möller. „An meiner seitlichen Rumpfmuskulatur muss ich noch mehr arbeiten, die benutze ich sonst zu wenig.“ Die Hamburger Gruppe ist leider noch zu klein. Außer ihr ist nur noch eine andere Frau mit Behinderung dabei. Möglicherweise hat sich noch nicht genug herumgesprochen, welch toller Sport Fechten für Menschen mit motorischen Einschränkungen ist. „Wir wollen die Werbung verstärken, reden auch verstärkt mit dem BG Klinikum in Bergedorf, um den Verunfallten dort Fechten im Rahmen ihrer Reha näherzubringen“, sagt Budde-Cramer.

Dafür könnte Daniela Möller als Beispiel dienen, was alles möglich ist. Erst im vergangenen August hat sie mit dem Fechten begonnen, nachdem sie aus einem Dorf bei Wolfenbüttel nach Hamburg gezogen war. Das war der Schritt in ein völlig neues Leben. Und offenbar der richtige. Ein Schritt heraus aus einer fundamentalen Lebenskrise, die auch mit der vor 21 Jahren ausgebrochenen Erkrankung zu tun hatte. Aber nicht nur.

Daniela Möller mag es, in ihrem Rollstuhl Hamburg zu erobern.
Daniela Möller mag es, in ihrem Rollstuhl Hamburg zu erobern. © Michael Rauhe / FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Ihre Ehe scheiterte, es tobte ein hässlicher Scheidungskrieg. Den Job als Sozialarbeiterin musste sie aufgeben, seit 14 Jahren nutzt sie den Rollstuhl. „Erst kamen Schübe, jetzt ist die Krankheit progressiv, sie wird also immer schlechter“, erzählt sie. Sie durchlebte depressive, einsame Phasen. Und irgendwann hat sie sich wie eingesperrt gefühlt in ihrem Dorf – „da war ich immer nur die Kranke“.

Finanzielle Möglichkeit, neu in Hamburg zu starten

Als das einst gemeinsame Haus verkauft war, hatte sie die finanzielle Möglichkeit, neu zu starten. Ein Blick ins Internet verfestigte die Idee: Hamburg! Sie fand durch Glück und Initiative in dem Wohnprojekt Festland von Hamburg Leuchtfeuer in der HafenCity eine Wohnung. Und wer diese wuselige, lebensbejahende, aktive und manchmal überdrehte Frau erlebt, kann sich ihre dramatische Vergangenheit gar nicht vorstellen. „Hier bin ich so glücklich. In Hamburg fragt niemand, warum ich Rollstuhl fahre, und ich empfinde die Stadt als sehr inklusiv und an vielen Stellen barrierefrei.“

Der Rollstuhl ist für sie nicht Symbol einer Behinderung, sondern – im Gegenteil – Mittel zur Freiheit. Möller düst damit überall in der Welt herum, reist viel und gerne, ist um den Bodensee gefahren. „Das war eine Art Pilgerfahrt für mich, bei der ich zu mir selbst gefunden habe“, sagt sie im Podcast Sie war an der Arktis, auf dem kleinen Matterhorn, hat in ihrer neuen Heimatstadt fast alle Winkel erkundet. Sie zählt die Kilometer mit einer App und belohnt sich, wenn sie ein besonderes Ziel erreicht hat. Wie neulich, bei den 3000 Kilometern: „Ich war im Hotel Atlantik und habe mein Idol Udo Lindenberg getroffen. Der war total entspannt, das war super nett und schön.“

Ziel ist die Teilnahme an den deutschen Meisterschaften

Zum Fechten ist sie durch Google gekommen, wo sie auf die HFV-Gruppe aufmerksam wurde. „Ich habe es dann einfach mal ausprobiert.“ Ein Volltreffer – „touché“, wie sie beim Fechten sagen. Kürzlich hat sie im Paralympischen Zentrum in München mittrainieren dürfen, wo einige deutsche Topathleten im Parafechten trainieren. Sie sorgte dort für Erstaunen. Der Leiter Jürgen Zilinski-Lick nahm sie in sein Team auf und ermöglicht ihr wöchentlich eine Stunde Einzeltraining bei Fechtmeister Ben Smida. Bei einem ersten Turnier gelangen ihr gleich zwei Siege. „Läuft ja, dachte ich, und natürlich gewinnt man dadurch Selbstvertrauen.“

Die Teilnahme an den deutschen Meisterschaften in Böblingen vom 3. bis 5. Juni sind nun das große Ziel. Und dann der Start bei einem internationalen Turnier im September in Pisa. „Es tut einem auch wirklich gut, wenn jemand ein Talent sieht“, sagt Daniela Möller. Ihr Weg im Sport und dem Leben ist noch lange nicht zu Ende. Sie ist bereit – „En garde!“

Infos zum Parafechten in Hamburg: www.hamburger-fechtclub.de. Anmeldung bei Kerstin Werner, E-Mail: sportwart@hamburger-fechtclub.de

Den Podcast mit Daniela Möller gibt es unter www.abendblatt.de/podcast/Von-Mensch-Zu-Mensch