Der Ex-Häftling Henry-Oliver Jakobs zeigt kriminellen Jugendlichen den Gefängnis-Alltag. Ein wirkungsvolles Präventionsprojekt

Schlüsselrasseln. Rums! Die Türen sind zu. Und bleiben es auch für die nächsten fünf Minuten. Drei straffällig gewordene Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren sind probeweise hinter Gittern in „Santa Fu“, der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel, einem Gefängnis für Schwerverbrecher. Die Jungen sollen spüren, wie es in Haft ist, und sich vorstellen, 23 Stunden täglich in einer Zelle eingesperrt zu sein. Sie sind froh, als sich die Türen wieder öffnen.

Es ist ein beklemmendes Gefühl, im Gefängnis zu sein. Henry-Oliver Jakobs vom Verein „Gefangene helfen Jugendlichen“ will genau das erreichen. Er organisiert regelmäßig diese Treffen zwischen Strafgefangenen im Vollzug und kriminell auffälligen Jugendlichen, die auf dem besten Weg sind, abzurutschen und aus dem Netz der Gesellschaft zu fallen. Die cool sein wollen in ihrer Clique, denen das schnelle Geld imponiert und die natürlich glauben, sie seien schlauer als alle anderen. Da werden sie an diesem Vormittag eines Besseren belehrt.

Jakobs organisiert die Besuche über den Verein „Gefangene helfen Jugendlichen“

Henry-Oliver Jakobs saß hier selber 19 Jahre im Gefängnis. Wegen Mordes. Das bittere Ende einer kriminellen Laufbahn, die schon im jugendlichen Alter anfing. „Mein Opfer hatte seine Schulden nicht zahlen wollen. Sein Pech, dachte ich damals. Ich hatte überhaupt kein Unrechtsbewusstsein“, sagt Jakobs. Doch fünf Jahre nach Haftbeginn regte sich endlich sein Gewissen. Er hielt von da an die Gefängnisregeln ein, machte während der Haft eine Ausbildung zum Maler und Lackierer. Und er hörte von der Initiative „Gefangene helfen Jugendlichen“, die vom Abendblatt-Verein „Kinder helfen Kindern“ finanziell unterstützt wird. 1996 hatten drei Inhaftierte in „Santa Fu“ die Idee, Jugendliche vor einer kriminellen Laufbahn zu warnen, indem sie aus ihrem Leben erzählen. Inzwischen sind diese Gefängnisbesuche das Kernprojekt des Vereins.

Henry-Oliver Jakobs ließ sich zum Anti-Gewalttrainer ausbilden und arbeitet seit 2014 – nach seiner Entlassung – in der Gewalt- und Drogen-Prävention des Vereins. Er klärt auf, berichtet von seinem Leben als „Knacki“ und beantwortet Fragen – auch in Schulklassen, im Rahmen von Projekten und im Präventionsunterricht.

Dadurch wird der 46-Jährige immer wieder mit seiner Tat konfrontiert. Es hilft ihm, sein Verbrechen zu verarbeiten, aber er macht den jungen Zuhörern auch klar: Er wird das Geschehene nie wieder los. „Kein Verbrechen der Welt lohnt sich. Früher oder später landet man garantiert hinter Schloss und Riegel. Knast ist echt nicht cool“, sagt Henry-Oliver Jakobs.

Der ehemalige Häftling lenkt die Gruppe mit strengen Worten und knackigen Befehlen, die Jugendlichen parieren und wiederholen respektvoll seine Worte auf Nachfrage. Er lässt so keinen Zweifel daran, dass sie hier an einem Ort sind, wo unbedingter Gehorsam gefragt ist, hier hat jedes Missachten oder Unterlassen harte Konsequenzen. So gehen die drei delinquenten Jugendlichen, die von einer Pädagogin aus dem Rauhen Haus begleitet werden, in einen riesigen Vielzweckraum der Justizvollzugsanstalt (JVA). Dort erfahren sie, wie Besuche von Freunden und Angehörigen im Gefängnis ablaufen, welche strengen Regeln herrschen und wie schnell der ersehnte Besuch enden kann, weil der Gefangene zum Beispiel seine Hände verbotenerweise kurz unter dem Tisch hatte.

Dann wird die Gruppe von zwei Inhaftierten zu einer Gesprächsrunde erwartet. Die Jungen sind überrascht, dass die Häftlinge so gepflegt und ordentlich gekleidet sind. „Ich dachte, es gibt hier dunkelblaue Einheitskleidung“, sagt einer. Doch schnell wird ihnen klar, dass es sonst wenig individuelle Freiheiten gibt.

Markus (Namen der Häftlinge geändert) ist wegen Diebstahls und Raubes verurteilt. Er berichtet darüber, wie er Schritt für Schritt krimineller wurde, bis er am Ende 13 Jahre Haft plus Sicherheitsverwahrung kassierte. Das bedeutet, dass Markus auch nach der abgesessenen Strafe noch viele weitere Jahre im Gefängnis bleiben muss. „Du bist immer der Verlierer“, sagt auch Yunis, der wegen Drogenhandels seit 40 Monaten einsitzt. Elf Jahre hinter Gittern hat ihm seine kriminelle Energie eingebracht. Dem jungen Mann laufen beim Erzählen die Tränen über das Gesicht. Die Zuhörer schweigen betroffen. Es wird deutlich, da sitzt ein Mensch, der zutiefst bereut, was er getan hat. Das ist auch eine Voraussetzung für die Teilnahme der Häftlinge am Vereinsprogramm.

Nur 2,30 Euro stehen pro Tag für drei Essensrationen zur Verfügung

„Du schadest nicht nur dir selbst“, sagt Yunis an die Jugendlichen gerichtet. „Am schlimmsten ist, was du damit deiner Familie antust, deiner Mutter, dem Vater, deinen Geschwistern, deiner Frau und deinen Kindern.“

Jakobs fordert die drei Jugendlichen, die alle schon mit Drogen, Waffen, Diebstählen oder Körperverletzung zu tun hatten, auf, Fragen zu stellen. Erst zögerlich, dann immer mutiger wollen sie mehr wissen, vom Gefängnisalltag, ob es Gangs gibt unter den Häftlingen – und wie das Essen schmeckt. „Kriegt ihr auch mal einen Döner?“, fragt Justin. „Nein, niemals, für unser Essen sind pro Tag 2,30 Euro eingeplant – dafür gibt’s Frühstück, Mittagessen und Abendbrot, da sind keine Leckerbissen drin“, antwortet Yunis.

Schwer beeindruckt verlässt die Gruppe nach einem halben Tag das Gefängnis und geht in die Freiheit, in einen sonnigen Tag mit blauem Himmel. Die beiden Häftlinge müssen zurück in ihre Zellen. „Da möchte ich nicht landen“, sagt Sammy. Und fügt noch hinzu: „Der eine kam aus dem gleichen Stadtteil wie ich.“

Weitere Infos zum Verein unter www.gefangene-helfen-jugendlichen.de, Tel. 38 61 43 90. Außer den Gefängnisbesuchen gibt es Projekte mit Schulklassen, Anti-Gewalttraining und Suchtprävention.