Zu sozialistisch oder zu bürgerlich: jedem nach seiner Fasson. Bart- und Alpennelken sind auch schön und pflegeleicht, und sie vermehren sich gut

Zu Weihnachten blühte die Zaubernuss. Okay, das ist normal für Hamamelis mollis, die ursprünglich aus China stammt. In unserem kleinen Mühlenpark im Wendland blühten bald darauf aber auch die ersten Marienblümchen, auch als Tausendschön oder Gänseblümchen bekannt. Das ist nicht so normal. Ostern war reichlich frisch. War ja auch ziemlich früh dieses Jahr. Aber irgendwie scheinen die Jahreszeiten ein bisschen durcheinandergeraten zu sein. Ich meine nicht den Kalender. Danach war Frühlingsanfang am 20 März. Das ist der Termin, an dem Tag und Nacht gleich lang sind.

Aber danach richtet sich das Wetter nicht. Deutschland hat gerade den zweitwärmsten Winter seit mehr als 100 Jahren hinter sich. Dezember, Januar und Februar waren 3,6 Grad wärmer als im Durchschnitt seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1881. 23 der letzten 25 Jahre fielen nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes zu warm aus, das wärmste war 2015. Und jetzt? Kam der Frühling nicht so recht in Gang. Für den Osterspaziergang habe ich die warme Jacke rausgeholt, die meine Frau Anke schon verpackt hatte.

„Normal ist das nicht“, sagt Anke. Vielleicht hat ja auch nur El Niño, die pazifische Meeresströmung, unser Wetter diesmal so durcheinandergebracht. Ich spreche lieber vom Klimawandel. Egal ob von Menschen verursacht oder nicht: Seit 1881 ist die Jahrestemperatur um durchschnittlich 1,4 Grad angestiegen. Die Eisheiligen mit ihren Spätfrösten im Mai fallen immer häufiger aus, die Vegetationsperiode, das freut uns Gärtner, ist um 14 Tage gewachsen. Meine Hochstammrose Ghislaine de Feligonde hat noch im Dezember Blüten getrieben, jetzt treibt sie schon wieder aus. Da ich sie erst im vorigen Jahr gepflanzt habe, verzichte ich noch ein, zwei Jahre auf den jetzt üblichen Schnitt – ich schneide nur Vertrocknetes heraus.

Gepflanzt habe ich allerdings schon. Stiefmütterchen, beispielsweise, in zwei Kübel. Wenn sie verblüht sind, müssen die Margeriten Platz machen, die dort fast schon traditionell blühen. Letztes Jahr auch recht lange, bis Anfang November. Ich hatte allerdings auch fleißig Verblühtes herausgeschnitten, sodass sie immer neue Blüten nachschieben konnten. Es hatte sich auch offenbar bewährt, dass ich Blähton unter die Pflanzerde gemischt hatte. Der speichert Wasser, im vergangenen Sommer haben die Pflanzen sogar eine ganze Woche ohne Gießen schadlos überstanden.

Das Stiefmütterchen gehört übrigens wie seine Verwandten, die Duftveilchen, zu den Garten-Klassikern, die ich für mich neu entdeckt habe. Begonnen habe ich schon vor einigen Jahren mit Vergissmeinnicht und Bartnelken. Beide haben sich gut etabliert bei uns und tauchen an immer neuen Plätzen in unserem Mini-Park auf, weil sie sich eifrig aussamen. Die Bartnelke, die traditionelle Bauerngartenpflanze, war der Einstieg in die Klassiker gewesen, vor der Gartennelke war ich noch zurückgeschreckt. Sie schien mir etwas zu bürgerlich zu sein, um es mal so zu sagen. „Lieber nicht“, hatte Anke auch zu Nelken gesagt. Sie ist in der DDR groß geworden und hatte in ihrer Jugend wohl zu oft zu Feiern des realen Sozialismus Nelken schwenken müssen.

Die waren 1890 das Symbol der Sozialistischen Internationale geworden, weil die Regierenden das Mitführen von roten Fahnen bei Kundgebungen zum Tag der Arbeit verboten hatten. Rote Nelken gab es im Osten auch zum Frauentag am 8. März, den unsere West-Feministin Alice Schwarzer mal den „sozialistischen Muttertag“ genannt hatte. Es gab zwar Kitas, fast alle Frauen konnten arbeiten. Führungspositionen waren ihnen wie auch im kapitalistischen Westen nicht vergönnt. Spätestens im allmächtigen Politbüro waren die Männer wieder unter sich. Im Westen wurden Nelken, daran erinnere ich mich noch, tatsächlich gern zum Muttertag verschenkt.

Für mich war die Nelke, die schon bei den alten Griechen zu den beliebten Schmuck- und Heilkräutern gehörte, stets auch das Symbol einer unblutigen Revolution. Soldaten steckten sie in die Gewehrläufe, als sie den Putsch feierten, mit dem sie 1974 in Lissabon das seit 1926 regierende faschistische Regime Portugals hinweggefegt hatten.

Ich habe mich für Wildarten wie Alpen- und Landnelken entschieden. Sie brauchen einen sonnigen Platz, sind winterhart und trockenheitsfest, müssen mithin kaum gegossen werden. Von zu viel Nässe werden sie krankheitsanfällig. Sie bevorzugen sandige, durchlässige Böden und brauchen so gut wie keinen Dünger. Schnecken verschmähen sie. Für Balkonkästen gibt es sogar hängende Formen. Ich werde regelmäßig Verblühtes rausschneiden, nur die letzten lasse ich stehen, damit die Nelken sich gut versamen können.

Bis zum nächsten Wochenende, herzlichst Ihr Karl Günther Barth