Den Samen vom Keuschbaum wird triebhemmende Wirkung nachgesagt. Das Gehölz braucht viel Wasser und einen geschützten Standort

Als Doktor Martin Luther (1483-1546) einmal gefragt wurde, wie oft man denn nun dem, was man früher mal unter ehelichen Pflichten verstand, nachkommen sollte, soll der große Reformator etwa so geantwortet haben: „In der Woche zwier, schaden weder ihm noch ihr, macht im Jahr hundertvier.“ Nun weiß man aus den Briefwechseln zwischen seiner Frau Katharina von Bora, einer ehemaligen Nonne, und ihren Mann, einem Ex-Mönch, dass die beiden ein sehr liebevolles Verhältnis hatten. Aber trotzdem ist das eine ordentliche Frequenz, wie ein Sexualwissenschaftler heute sagen würde – und dann noch ohne Viagra, jener blauen Pille, die dem Mann im Bett auf die Sprünge hilft, und ohne die Lustpille für die Frau, die es neuerdings in den USA gibt.

Als Ordensleute hatten Luther und seine Frau, die im Kloster sogar Äbtissin gewesen war, mal Enthaltsamkeit gelobt. Was ja eine schwere Last sein kann, wie man an der anhaltenden Zölibats-Debatte in der katholischen Kirche sieht, wo die Priester noch immer zu sexueller Enthaltsamkeit verpflichtet sind.

Damit das den Ordensleuten leichter fallen sollte, gab es früher in jedem Klostergarten sogenannte Keuschbäume. Deren Samen schmeckte zwar nicht sonderlich gut, schwächte aber angeblich den Geschlechtstrieb. Weswegen er auch Mönchspfeffer genannt und unters Essen gemischt wurde. Ob das wirklich triebhemmende Wirkung hatte? Wissenschaftlich bewiesen ist das nicht. Aber der Glaube versetzt ja bekanntlich Berge – Stichwort Placebo-Effekt.

In der mittelalterlichen Medizin galt der Mönchspfeffer als wahres Wundermittel – nicht nur, weil es gegen „fleysches brunst unnd begirde“ helfen sollte, wie es in dem Straßburger „New Kreütterbuch“ von 1556 hieß. Es sollte auch gegen Blähungen, Wassersucht und Leberschmerzen helfen. Das Laub, mit Wein und Honig gesotten, sollte auch gut sein gegen „Mund unnd Zan geschwär“.

Tatsächlich spielt der Keuschbaum, der aus dem Mittelmeer-Raum stammt, schon in der griechischen Mythologie eine Rolle. Hera zeugte angeblich einmal im Jahr unter dem drei bis vier Meter hoch werdenden Gehölz mit Zeus kleine Götter und Helden. Dann badete sie in einem nahen Bach und erlangte so ihre Jungfräulichkeit wieder. Der Strauch braucht, und das ist keine Legende, viel Wasser und wächst bevorzugt in feuchten Niederungen oder an Bächen.

Der lateinische Name ist Vitex agnus-castus, wobei „agnus“ übersetzt Lamm und „castus“ keusch bedeutet. Um ihre Jungfräulichkeit zu schützen, sollen die Frauen in Athen Vitex-Blätter auf ihr Nachtlager gestreut haben. Tatsache aber ist, dass Tees und Tabletten aus Blättern und Früchten des Strauches in der Naturheilkunde bis heute für Frauen eine Rolle spielen, unter anderem Menstruationsbeschwerden wie etwa Unterleibsschmerzen oder Probleme mit gespannten Brüsten. Obwohl der Keuschbaum wegen der vermeintlichen Wirkung seiner Früchte in keinem Klostergarten des Mittelalters fehlte, ist er in unseren Parks und Gärten kaum heimisch geworden. Das hat weniger damit zu tun, dass er kein attraktives Gehölz ist. Seine Blätter sind ausgesprochen ansehnlich, fast hanfartig. Der Strauch blüht hübsch in dichten Blütenständen, manchmal sogar bis in den September hinein, was sonst nicht oft vorkommt. Die Farbskala reicht von Violett, Blau und Rosa bis Weiß.

Der Mönchspfeffer ist auch ausreichend winterhart bei uns, verträgt Minustemperaturen bis zu etwa 18 Grad. Das natürlich nicht wochenlang, aber das ist bei uns auch nicht zu befürchten – ganz ohne Klimawandel. Gibt es trotzdem Frostschäden, wachsen die Zweige problemlos nach, wenn man die verfrorenen Äste im zeitigen Frühjahr auslichtet.

Ein Problem ist der Standort. Den Keuschbaum sollte man nicht gerade kalten Ost-und Nordwinden aussetzen. Auch Pflanzen kennen das, was wir Menschen als gefühlte Temperatur bezeichnen. Geschützte Lagen, also etwa in Innenhöfen oder vor Mauern, wären ideal. Zusätzlich liebt der Strauch der Mönche einen frischen bis feuchten Boden, am besten an einem Teich oder Bachlauf. Den hat nicht jeder – aber das kann man durch regelmäßiges Gießen ausgleichen. Das kann doch einen passionierten Gärtner nicht erschüttern. Was in mittelalterlichen Klostergärten klappte, sollte auch unsereins gelingen.

Als ich meiner Frau Anke von meinen Überlegungen erzählte, in unserem kleinen Mühlenpark im Wendland einen Mönchspfeffer-Strauch zu pflanzen, überlegte sie kurz – und sagte dann nur: „Mönchspfeffer kommt mir nicht ins Haus.“

Bis zum nächsten Wochenende, herzlichst Ihr Karl Günther Barth