Bei Buchen zum Beispiel stieg das Tempo seit 1960 um 77 Prozent. Forscher führen das, wie nicht anders zu erwarten, auf das wärmere Klima zurück

Gibt es Menschen, die von Natur aus einfach keinen grünen Daumen haben? Meine Frau Anke behauptet das manchmal von sich. Meistens sagte sie das allerdings, wenn es um das Pflanzen von Bäumen in unserem kleinen Mühlenpark im Wendland ging. „Mach du das doch“, sagte sie dann. Es schmeichelte mir natürlich, wenn sie behauptete, ich hätte einen grünen Daumen. Komisch ist nur, dass ihre Gewürze auch ganz toll wachsen. Vielleicht hat das aber auch damit zu tun, dass die nicht so große Pflanzlöcher brauchen.

„Jeder Mensch hat einen grünen Daumen“, behauptet Silvia Appel. Die Würzburgerin ist Bloggerin („Garten Fräulein“) und Buch-Autorin „Mein kreativer Stadtbalkon“ – mit klugen Anleitungen für Kräuter und Blumen, die Wahl der richtigen Töpfe, Rezepten für Tees und Marmeladen inklusive Tipps für die Grillparty. Es gebe nur Menschen, die sich mit Pflanzen beschäftigen, und andere, die das nicht täten. So wie nicht jeder Mensch automatisch Gitarre spielen könne, was ich als junger Mann gerne beherrscht hätte. Ich hatte einen Freund, der konnte nur wenige Griffe und ein paar Lieder von Donovan – und hatte einen sagenhaften Schlag bei den Mädels.

Nun gut, ich habe ja meine Anke. Aber Gärtnern ist ein bisschen auch wie Gitarre spielen. Man braucht Geduld und Übung – und man muss sich an ein paar Regeln halten. So sollte man wissen, welche Ansprüche die verschiedenen Pflanzen an Sonne, Erde und Wasser haben. Dann gelingen auch Salbei und Fleißiges Lieschen, Funkien und Farne, egal ob auf Balkon, Terrasse oder im Garten.

Den größten grünen Daumen hat übrigens die Natur selber. Bäume wachsen heute deutlich schneller als früher. Dies zeigt eine Studie von Wissenschaftlern der Technischen Universität München (TUM). Sie basiert auf Langzeit-Daten von Versuchsflächen, die seit 1870 kontinuierlich beobachtet werden. Das heißt nun nicht, dass sie in den Himmel wachsen, sondern lediglich, dass sie ihre natürlichen Wuchs-Stadien schneller durchlaufen. Man könnte auch sagen, sie werden früher groß – das ist so, als ob ein Mensch mit 14 so groß wäre wie mit Mitte 20, wo das Wachstum erst abgeschlossen ist. Buchen und Fichten entwickelten sich nach den Beobachtungen der Forscher um 77 beziehungsweise 32 Prozent schneller als noch 1960.

Hat die Natur den Turbo eingeschaltet, nachdem wir vor drei Jahrzehnten unter dem Begriff „Waldsterben“ noch um das Überleben großflächiger Waldökosysteme fürchteten? Ich weiß es nicht. Dass schärfere Umweltgesetze zu weniger saurem Regen geführt haben, scheint mir so logisch wie der Klimawandel, der für wärmeres Wetter gesorgt hat. Eine in jeder Hinsicht kontroverse Diskussion, in die ich mich hier nicht einmischen will. Professor Hans Pretzsch vom TUM-Lehrstuhl für Wachstumskunde (auch so was gibt es) führt das rapide Wachstum auf das wärmere Klima zurück.

„Du hast trotzdem einen grünen Daumen“, tröstete mich Anke, als ich ihr von der Studie berichtete. In diesem Sommer, das war mir aber klar, war das Wachstum unserer Gehölze geradezu explodiert. Und das hatte nicht mit einer angeblich angeborenen Gabe zu tun, sondern mit dem Wetter. Mal heiß, mal wieder kühler mit viel Regen. „Gießen und genießen“ – diese Gärtner-Weisheit für die Sommerzeit galt nicht wirklich. Jetzt schon gar nicht mehr. Der Kirschbaum muss beschnitten werden. Nach der Ernte ist die beste Zeit, weil dann die Bäume am wenigsten „bluten“. Gerade noch schmeckten die Stachel- und Johannisbeeren frisch vom Strauch, da sind auch hier die Schere und der Mann oder die Frau gefordert. Auch das hat nix mit grünem Daumen zu tun, sondern mit ein paar Regeln, die man beherrschen muss.

Rote und Weiße Johannisbeeren zum Beispiel am besten jetzt, direkt nach der Ernte schneiden – im Frühjahr, wo das für die Auslichtung der Haupttriebe auch möglich wäre, hat man meistens genug zu tun. Einfach zwei bis drei der ältesten Triebe in Bodennähe kappen und die gleich Anzahl junger Triebe gleich mit. Das schafft Luft, fördert Wachstum und kontinuierliche Ernte. Denn nach drei bis vier Jahren lässt die Fruchtbildung deutlich nach. Der ideale Busch hat acht bis zwölf Haupttriebe. Alle Seitentriebe, die bereits getragen haben, ebenfalls bis auf einen Zapfen von etwa einem Zentimeter nach dem Abernten kappen. Frische Triebe stehen lassen für die Früchte in den folgenden Jahren.

Keine Regel ohne Ausnahme: Schwarze Johannisbeeren blühen – anders als die grünen und weißen – am einjährigen Trieb, man kann sie also mit einem Rundum-Schnitt gut in Form halten. Die Haupttriebe hier allerdings am besten erst im Frühjahr schneiden.

Bis zum nächsten Wochenende, herzlichst Ihr Karl Günther Barth