Sie waren nie ganz weg, galten aber lange Zeit als spießig. Dabei kann man an den bunten Blumen aus der Familie der Viola monatelang Freude haben

Beim ersten Mal war es noch peinlich. Na ja, ein bisschen. „Bloß keine Stiefmütterchen“, hatte ich gedacht, wenn ich als junger Mann meine Mutter zum Gärtner begleiten musste. Um ihr beim Tragen zu helfen. Ich tat dann ein wenig so, als ob ich nicht dazu gehörte. Stiefmütterchen waren für mich damals absolut spießig. Das Letzte, No go, wie man heute sagen würde. Allenfalls zur Grabbepflanzung geeignet.

Jetzt, einige Jahrzehnte später und mit eigenem Garten, wundere ich mich, dass sie noch kein Fall für Gender-, Gleichstellungs- oder Frauenbeauftragte sind. Die haben ja auch durchgesetzt, dass die Tiefs im Wetterbericht nicht mehr automatisch weibliche Namen tragen. Aber mal im Ernst, ist nicht schon das Wort Stiefmütterchen diskriminierend? In Sagen und Märchen waren Stiefmütter grundsätzlich böse. Stiefmütterlich behandeln gilt heute noch gern als Synonym für schlechte Behandlung. Wenn ich nicht grundsätzlich misstrauisch gegen Sprech- und Sprachverbote wäre, würde ich vielleicht sogar einen Shitstorm gegen den Namen begrüßen. Denn mittlerweile finde ich Stiefmütterchen richtig schön – wie andere Pflanzen aus dem Garten meiner Mutter. Etwa Tränende Herzen (Lamprocapnos spectabilis), von denen ich gar nicht genug kriegen kann – egal, ob rot oder weiß blühend. Sie sehen nicht nur hübsch aus, sondern gedeihen auch im Halbschatten. Manche sind schon fast einen Meter hoch.

Es müssen ja nicht gleich die sogenannten Garten-Stiefmütterchen sein, die man im Frühjahr kauft und gern in symmetrisch angelegten Beeten pflanzt, nach Farben geordnet. Es gibt auch schöne, natürliche Sorten, allesamt auch aus der großen Familie der Hornveilchen (Viola). Das Garten-Stiefmütterchen mit dem lateinischen Namen Viola wittrockiana, benannt nach dem schwedischen Botaniker Veit Wittrock (1839–1914), ist so etwas wie die Promenadenmischung unter den Stiefmütterchen, mit Genen von mindestens zwölf Müttern. Oder die großblumige, hochwachsende Sorte, die ich aus den Reihenhaus-Vorgärten meiner Jugend in Erinnerung hatte. „Schweizer Riesen“ heißt die Art. Man muss nur in die Vierlande im Hamburger Süden fahren, eines der größten Anbaugebiete für Stiefmütterchen in Deutschland: Dort ist die eidgenössische Züchtung seit Jahrzehnten der Renner.

Aber es gibt auch ganz andere und wunderbare Verwandte dieser Stiefmütterchen, die ich jetzt in unserem kleinen Mühlenpark im Wendland anzusiedeln versuche. Etwa das Sand-, das Felsen- oder das Gewöhnliche Wilde Stiefmütterchen, alles Geschwister von Viola tricolor, die widerstandsfähig genug sind für unsere Breitengrade. Mit verlockend schönen Züchtungen aus England habe ich nämlich keinen Erfolg gehabt. Die sind irgendwie nicht gekommen, bei uns. Entweder habe ich was falsch gemacht, sie nicht genügend gegossen oder auch zu viel. Bei zu viel Nässe verfaulen die Pflanzen schnell. Womöglich war die Erde nicht nährstoffreich genug oder mein Winterschutz nicht ausreichend. Vielleicht taugen sie auch einfach nur besser für das wärmere britische Klima mit seinem Golfstrom-Einfluss.

Ich habe das jedenfalls gegenüber meiner Frau Anke behauptet, die erwartungsvoll meine Pflanzversuche im letzten Jahr verfolgt hatte. Stiefmütterchen soll man nämlich im Sommer pflanzen, um im Frühjahr die Blüten bewundern zu können, oder im März, damit man ab September die Blüten genießen kann, die dann vielleicht noch bis in den November halten, womöglich noch bis in den Januar. Am besten, habe ich gelesen, soll das mit den sogenannten Eis-Stiefmütterchen gehen. Leider blühen Stiefmütterchen nur einmal – wenn auch manchmal monatelang. Knipst man die Blüten regelmäßig nach dem Verblühen aus, treiben sie nämlich wieder neu aus.

Anke möchte natürlich lieber, dass die Pflanzen Samen bilden, sich immer wieder aussäen und neue Standorte suchen. Sie hat das bei einer Nachbarin gesehen, wo Stiefmütterchen sogar in den Ritzen der Gehwege ihren Platz gefunden haben.

Ich hoffe das natürlich auch. Weil ich sonst immer neue Stiefmütterchen pflanzen müsste. Denn leider sind die Violas keine ausdauernd krautigen Pflanzen, wie das im Gärtner-Deutsch heißt. Im Gegensatz zum Vergissmeinnicht, auch einer meiner neuen Favoriten aus dem traditionellen Garten. Da gibt es sogar Arten, die sich durch kurze Rizome unterirdisch verbreiten und kleine Horste bilden. Die blauen Blüten von Myosotis waren schon im Mittelalter die Blumen der Verliebten und wurden als Treuebeweis verschenkt. Das hat meiner Anke gefallen, als ich ihr davon erzählte. „Wie romantisch“, fand sie – und ich kann seitdem nicht genug davon pflanzen.

Bis zum nächsten Wochenende, herzlichst Ihr Karl Günther Barth