Nicht immer reicht ein „grüner Daumen“, um das gärtnerische Dasein erfolgreich zu gestalten. Es gehört manchmal auch eine Portion Fortune dazu

Es gibt im Leben eines Gärtners wunderbare Glücksmomente. Einen habe ich gerade erlebt. Im vergangenen Jahr hatte ich einen schon 15 Jahren alten, mehrstämmigen Weißdorn (Crataegus laevigata) verpflanzt. Reichlich spät schon, erst gegen Mitte April. Ihn hatte ich wie einen zweiten Strauch im Lauf der Jahre zu einer Kugel geschnitten. Eines meiner ersten gärtnerischen Experimente. Auf einer Gartenschau hätte ich damit kaum einen Preis erzielt. Aber mir gefiel es.

Es hätte mir noch besser gefallen, wenn beide Gehölze nicht auf einer Seite eines Weges gestanden hätten, sondern hübsch auf jeder Seite der Sichtachse, die den hinteren Teil unseres kleinen Mühlenparks teilt. Schon wegen der Symmetrie. Der Umpflanzplan hatte mich schon drei, vier Jahre umgetrieben. Nur getraut hatte ich mich nicht. Wahrscheinlich auch deswegen, weil eine Bäuerin aus dem Dorf zweifelnd den Kopf geschüttelt hatte, als ich ihr von meiner Idee erzählte. Letztes Jahr habe ich also kurzentschlossen zum Spaten gegriffen. Wahrscheinlich hatte ich sogar den Wurzelballen zu klein abgestochen – wohl auch, weil niemand da war, der mir beim Transport hätte helfen können. Dafür war das Pflanzloch sehr üppig ausgefallen. Mit einem Meter Durchmesser mehr als doppelt so groß wie der Ballen. Als Pflanzerde hatte ich den Aushub, also gute Gartenerde, zur Hälfte mit Kompost gemischt und zur Sicherheit noch mehrere Handvoll Hornspäne beigegeben. Alles bio, ein supersanfter Langzeitdünger und echter Wurzelturbo.

Selten hat ein Gehölz so viel tätige Zuneigung erfahren wie dieser Weißdorn. Mindestens jeden dritten Tag, im Hochsommer auch öfter, habe ich gegossen. Nicht ohne Angstgefühle. Weil zu viel Wasser die frischen Wurzeln hätte verfaulen lassen, habe ich immer wieder die Fingerprobe gemacht, um die Bodenfeuchtigkeit zu testen. Was soll ich sagen? Die wenigen Blütenansätze wurden schnell schwarz. Der Blattaustrieb stockte. Das waren kaum Blättchen, so mickrig waren sie. Als wir im Spätsommer für 14 Tage verreisten, war nach der Rückkehr der Pflanzboden trocken, die Mini-Blättchen fühlten sich auch so an. Als sie im September braun wurden, dachte ich schon: Das war´s. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Ich habe die Weißdornkugel nicht herausgerissen, obwohl ich einen Moment daran gedacht hatte. Im Winter habe ich in frostfreien Zeiten gelegentlich sogar ein wenig das Pflanzloch gewässert.

Die letzten Tage habe ich mich kaum in den hinteren Teil unseres kleinen Mühlenparks getraut. Die Weißdornbüsche in unserer Wildhecke zum Feld hatten schon ausgetrieben. Und meine umgepflanzte Kugel an der Sichtachse? Sie hatte die größten Blätter von allen! Ich stürmte ins Haus, umarmte meine Frau Anke, gab ihr einen ganz dicken Kuss. „Ist was?“, fragte sie – und ich erzählte ihr von dem Glück mit dem umgepflanzten Weißdorn. „Du hast halt einen grünen Daumen“, sagte sie dann noch.

Ich hätte es zu gern geglaubt. Aber mir war schon klar, dass ich auf jeden Fall viel Glück gehabt hatte. Ich habe später, sozusagen zur Sicherheit, im berühmten Wörterbuch der Brüder Grimm nachgeschlagen. Es ist das größte und umfassendste Wörterbuch zur deutsche Sprache seit dem 16.Jahrhundert mit Wortbedeutungen und Belegstellen. Die Märchensammler und Sprachkundler Jacob (1785–1863) und Wilhelm (1786–1859) hatten 1838 mit dem Deutschen Wörterbuch(DWB) begonnen. Erst 1961, nach 123 Jahren, wurde es beendet. Insgesamt entstanden 32 Bände. Gleich mit dem Abschluss der Arbeit wurde mit der Neubearbeitung begonnen.

Mehr als ein Dutzend Seiten sind darin dem Wort Glück und seinen Komposita gewidmet. Vom Liebesglück ist da natürlich die Rede und von dem auf dem Rücken der Pferde, sogar vom Glück im Osnabrückischen, wo die Menschen Menuett tanzten – damals vor vierhundert Jahren. Die Brüder Grimm, die nicht nur Sagen und Märchen sammelten, sondern auch berühmte Sprachforscher und sozusagen die Väter der Germanistik waren, hatten wohl nicht mit Gärtnern, die Weißdorn-Kugeln verpflanzen, gesprochen.

Der Gärtner weiß natürlich, dass Glück dazu gehört. Wie oft habe ich ein Gehölz oder eine Staude nach allen Regeln der Kunst gepflanzt. Den richtigen Standort ausgesucht, die Sonnendauer gemessen, gewässert und beschnitten. Und trotzdem war das Ergebnis eher ernüchternd. Brennender Busch (Dictamnus alba), der als extrem langlebig gilt, kam erst gar nicht richtig in die Gänge an seinem zugedachten Platz. Die wunderbar nach Zitrone duftende Staude hatte sich aber an einem anderen Standort ausgesamt – und gedieh prächtig. Gegen alle Regeln der Kunst.

Bis zum nächsten Wochenende, herzlichst Ihr Karl Günther Barth