Agu Ijeoma vom Verein Verwaiste Eltern und Geschwister Hamburg begleitet Mädchen und Jungen, die ein Familienmitglied verloren haben. Sie erklärt, wie Eltern auf die Traurigkeit des Nachwuchses reagieren können. Von Hanna Kastendieck

Agu Ijeoma ist Trauerberaterin beim Verein Verwaiste Eltern und Geschwister Hamburg. Sie bietet Gruppen für Kinder im Alter von sechs bis zehn und von zehn bis 14 Jahren an und hilft ihnen, mit dem Verlust eines nahestehenden Menschen umzugehen.

Hamburger Abendblatt:

Jemand, der dem Kind nahestand, ist gestorben. Wie können Eltern die Situation erklären? Und sollten sie dabei die eigene Trauer verbergen?

Agu Ijeoma:

Ich halte es für falsch, die eigene Trauer zu verbergen. Auch wenn es für die Kinder schwer auszuhalten ist, wenn die Eltern traurig sind, so lernen sie doch, dass diese schmerzlichen Empfindungen zugelassen werden dürfen. Und sie erfahren, dass auch sie ihre eigenen Gefühle nicht verbergen müssen. Grundsätzlich gilt, dass Kinder erst mit etwa zehn Jahren die Bedeutung und die Endgültigkeit des Todes wirklich verstanden haben. Bis dahin ist es wichtig, den Kindern das Thema und die damit verbundenen Konsequenzen zu erläutern. Als Gesprächspartner der Kinder ist es unverzichtbar, offen und ehrlich mit den Kindern umzugehen.

Wie reagieren Kinder auf den Verlust eines geliebten Menschen?

Ijeoma:

Häufig versuchen Kinder in der Familie Belastungen zu minimieren, indem sie ihre eigenen Sorgen unterdrücken und so tun, als wäre alles in Ordnung. Umso wichtiger ist es, sie in den Trauerprozess mit einzubeziehen. Grundsätzlich gilt: Jedes Kind trauert anders. Die Bandbreite der Gefühle reichen von Fassungslosigkeit, Aggression bis zu Hilflosigkeit und Angst. Die Trauer kann sich in Gelächter oder in Weinen ausdrücken, in Schweigen oder Leugnen. Trotzen, Anklammern an die Bezugspersonen oder völlig untypisches Verhalten für das Kind sind nicht ungewöhnlich oder besorgniserregend.

Wann müssen sich Eltern Sorgen um ihr Kind machen?

Ijeoma:

Wenn sich ein Kind besonders negativ verändert, ist professionelle Trauerhilfe angebracht. Wenn es sich zurückzieht, Kontakte zu Freunden abbricht und das Interesse an allem, was ihm wichtig war, verliert, gibt es Anlass zur Sorge. Auch kann es zu Schlafstörungen, Albträumen, Rückgang von Schulleistungen, Gereiztheit und Launenhaftigkeit, Trennungsängsten und Rückkehr von bereits abgelegten Verhaltensweisen wie Daumenlutschen oder Bettnässen kommen. Dauern diese Veränderungen an, sollten sich Eltern professionelle Hilfe suchen.

Wie können Kinder Trauer verarbeiten?

Ijeoma:

Zunächst ist es wichtig, Kindern das Gefühl zu nehmen, sie hätten etwas mit dem Verlust des Menschen zu tun. Denn Kinder glauben schnell, sie hätten Schuld an den Ereignissen. Unsere Arbeit erleichtert diesen Prozess, denn bei uns finden sie einen Raum, wo sie Gefühle und Gedanken äußern dürfen, die sie in Gegenwart ihrer Eltern lieber für sich behalten.

Warum sind neutrale Ansprechpartner, wie es sie in den Kindergruppen des Vereins Verwaiste Eltern gibt, so wichtig?

Ijeoma:

Ältere Kinder vertrauen sich sehr oft Freunden an, nicht unbedingt den Eltern. Unbeteiligten Menschen gegenüber können sie sich öffnen, ohne vor den Eltern als schwach zu erscheinen. In den Trauergruppen sind sie unter Gleichbetroffenen. Und diese Gemeinschaft bedeutet: Normalität. Die Kinder, die zu uns kommen, erfahren, dass sie nicht allein sind mit ihrer Erfahrung. Gemeinsam erfahren sie, dass es neben der Trauer auch gute Gefühle gibt. Und letztendlich, dass das Leben weitergeht.

Kann man Kindern den Tod erklären?

Ijeoma:

Kinder brauchen Informationen. Sie haben das Recht zu erfahren, was passiert ist. Man unterschätzt Kinder, wenn man ihnen das Gefühl gibt, es sei doch nicht schlimm. Sie brauchen einen Erwachsenen, der sagt: Ich weiß, es ist schlimm. Du darfst traurig sein. Ich halte es für wichtig, den Kindern immer wieder zu erklären, was die nächsten Schritte sind.

Wie lange dauert der Trauerprozess?

Ijeoma:

Das lässt sich nicht bestimmen. Die Gruppen der Kleinen trifft sich bei uns über einen Zeitraum von zwei Jahren, die Älteren kommen bis eineinhalb Jahre. Klar ist: Trauer hört nicht von einem auf den anderen Tag auf – sie verändert sich. Es gibt Tage, da verblasst sie. Und dann ist sie plötzlich wieder da, so, als wäre es gerade erst geschehen.