Seit 20 Jahren gibt es in Hamburg Kinderbischöfe, die sich für die Rechte ihrer Gruppe und für besondere Projekte einsetzen. Dieses Jahr sammeln sie für den Spielplatz einer Flüchtlingsunterkunft.

Eine Flüchtlingsunterkunft kennen Marie, 10, Zoe, 11, und Felix, 10, bisher nur aus dem Fernsehen. Deshalb sind die Fünftklässler der Wichern-Schule auch schon ganz schön aufgeregt, denn diesen Sonnabend werden sie Flüchtlingskinder in der Billstedter Unterkunft im Mattkamp besuchen. Rund 420 Menschen aus 50 Nationen mit den unterschiedlichsten Schicksalen leben dort im Pavillondorf am Öjendorfer Park.

Marie, Zoe und Felix kommen in besonderer Mission: Sie sind für die nächsten vier Wochen die neuen Kinderbischöfe Hamburgs. Am Donnerstag wurden sie in einem Gottesdienst in der Hauptkirche St. Nikolai in ihr Amt eingeführt. Seit 20 Jahren treten Kinder der Wichern-Schule in dieser Funktion öffentlich für die Rechte der Kinder in der Stadt ein. Und das in vollem Ornat, mit Mitra und Bischofsstab, weißem Gewand und rotem Bischofsmantel, begleitet von ihrem Gefolge und ihrem Volk – alles Mitschüler, die an diesem Projekt genauso großen Anteil haben wie die Kinderbischöfe selbst.

Süßigkeiten und kleine Geschenke werden die Wichern-Schüler an diesem Tag in den Mattkamp mitbringen, schließlich ist Nikolaustag. Vor allem aber wollen sie zuhören und verstehen lernen, was es heißt, auf der Flucht zu sein. Wie geht das mit der fremden Sprache, wie kommen die Kinder in der Schule mit? Dürfen die Familien hierbleiben? Was haben sie auf der Flucht erlebt? „Wir sind ein bisschen nervös, wie wir mit den Kindern umgehen sollen“, sagt Zoe, aber sie möchten gern mit ihnen über ihr Leben sprechen – was sie sich wünschen und was sie brauchen.

Schulpastorin Katharina Gralla erklärt, dass die Unterkunft im Mattkamp schon seit mehr als 20 Jahren besteht und dass einige Familien schon lange dort leben, „manche Kinder sind sechs bis acht Jahre da, sie gehen in deutsche Kindergärten und Schulen“. Damit ist die Sprache beim Besuch wohl kein Problem. Viele Familien hätten schon seit Jahren ein Anrecht auf eine Wohnung, aber es gebe nur wenige bezahlbare auf dem angespannten Hamburger Wohnungsmarkt, erläutert sie. „Die Kinder hoffen doch bestimmt jeden Tag auf ein besseres Zuhause“, überlegt Zoe laut.

In der Schule haben sich die drei neuen Kinderbischöfe (KiBis) mit dem Thema Flüchtlinge schon ausführlich beschäftigt, denn an der Stadtteilschule und dem Gymnasium der Wichern-Schule ist das Kinderbischofsprojekt im Unterricht fest verankert. Wie ihre Vorgänger haben sich auch Marie, Zoe und Felix um das Amt beworben und sind gewählt worden. Unterstützung bekommen die drei KiBis von ihren Assistenten – Priestern, Diakonen, Mönchen und Ministranten, alle im Ornat unterwegs. Sie helfen beim Verfassen von Reden und Predigten, entwickeln Ideen, wie man Spenden einwerben kann, schreiben Briefe. Drei „Alt-KiBis“ stehen den drei neuen als Berater zur Seite. Sie haben Erfahrung damit, bei Politikern oder bei der Bischöfin Besuche zu machen und die Anliegen der Kinder zu vertreten. „Für uns ist das ganze Team wichtig, denn wir wollen ja wissen, was die anderen denken“, erklärt Neu-KiBi Zoe.

Für die selbstbewusste und zupackende Elfjährige war es ein Herzensanliegen, als Kinderbischöfin für die Rechte der Kinder eintreten zu können: „Ich will anderen das Gefühl geben, nicht allein zu sein.“ Felix, ein guter Beobachter und schnell im Kopf, sieht in seinem neuen Amt die Chance, spannende Erfahrungen zu machen und gleichzeitig anderen zu helfen. „Ich kann mir gar nicht vorstellen wie das wäre, selbst auf der Flucht zu sein“, sagt der blonde Junge. Marie, ein schmales sensibles Mädchen, hat viel Mitgefühl mit Kindern, die flüchten müssen.

Möglich ist ein solches Projekt an der Wichern-Schule nur, weil ein engagiertes und erfahrenes Schulteam rund um Schulpastorin Katharina Gralla die Kinderbischöfe jedes Jahr begleitet. Die drei Lehrerinnen Claudia Schmidt, Maica Horwege und Nicola Greiser bereiten vor und organisieren, sie binden Eltern und Kinder ein und begleiten die Kinder durch das ganze Projekt. Sie sind auch in der Jury dabei, die die Kinderbischöfe aus den Bewerbern aussucht. „Kritische Kinder, die neugierig und an ihrer Umwelt interessiert sind, kommen in die engere Auswahl“, erklärt Claudia Schmidt.

Die schönen mittelalterlichen Kostüme hat Kostümbildnerin Elisabeth Schwarz neu gestaltet. „Praktisch müssen sie sein, schnell an- und auszuziehen und gut zu reinigen“, sagt sie. Wenn die Kinder zum ersten Mal den Ornat tragen, verändere sich ihre Haltung: „Sie realisieren zum ersten Mal, dass sie nun im Mittelpunkt stehen.“

Viele Problemfelder haben die Kinderbischöfe in den vergangenen 20 Jahren angepackt: Gewalt unter Kindern, Kinder mit Behinderungen oder Kinderrechte haben sie thematisiert. Immer haben die Schüler der Wichern-Schule helfen wollen, auch in diesem Jahr. So sammeln sie nun für einen Spielplatz auf dem Gelände der Billstedter Flüchtlingsunterkunft. 22.000 Euro soll der Platz mit neuen Spielgeräten kosten; auch der Abendblatt-Verein „Kinder helfen Kindern“ unterstützt das Vorhaben mit einer großen Spende. Dass sie das Geld auf jeden Fall zusammenbringen werden, daran haben die drei Kinderbischöfe überhaupt keinen Zweifel, schließlich haben sie noch eine Menge Ideen. „Vielleicht können wir auch einen Flohmarkt machen oder Kuchen verkaufen“, überlegt Marie. Die anderen nicken eifrig und stecken die Köpfe zusammen. Es gibt noch viel zu tun.