Die Neunjährige verlor wegen einer Meningokokken-Sepsis beide Unterschenkel und den rechten Arm. Doch sie ist eine Kämpferin

Sie ist schnell. Nimmt mit beiden Beinen Schwung, stützt sich mit einer Hand ab. Dann saust Michelle los, quer durch den Garten. Die Neunjährige ist geschickt auf dem Laufrad. Genauso wie im Klettern auf Bäume. Auf den ersten Blick wäre das nichts Besonderes. Aber wer genauer hinschaut, staunt. Michelle ist unterschenkelamputiert – an beiden Beinen. Ihr fehlt die rechte Hand. Das einzige Gliedmaß, das unversehrt ist, ist der linke Arm. Das kleine Mädchen kommt zurecht mit ihren Prothesen. Weil es die Welt nie anders kennengelernt hat. Mit einem Jahr und elf Monaten erkrankte das Kind an einer Meningokokken-Sepsis. Innerhalb weniger Stunden zerstörte die Krankheit einen Teil ihres zierlichen Körpers.

Michelles Mutter, Britta Quast, kann sich an jedes Detail erinnern. Daran, wie die Flecken auf Michelles Haut immer mehr wurden, wie aus kleinen roten Pünktchen große dunkle Flecken wurden, faustgroß. Daran, dass binnen weniger Stunden der ganze Körper fleckig war bis auf Stirn und Torso. Wenn Britta Quast von damals erzählt, treten ihr noch heute die Tränen in die Augen. Sie erzählt, wie plötzlich das hohe Fieber kam, ihre Tochter immer apathischer wurde und die Mutter beschloss, den Kinderarzt aufzusuchen. Dass Michelle heute lebt, verdankt sie dem professionellen Handeln ihres Arztes. Noch am gleichen Nachmittag wurde sie mit dem Notarztwagen ins UKE eingeliefert. Als die Mutter kurz darauf in die Klinik kam, war ihre Tochter am ganzen Körper schwarz. Die Ärzte versetzten sie in ein künstliches Koma, mussten sie wiederbeleben.

Michelle kämpfte. Und überlebte. Doch beide Unterschenkel mussten amputiert werden. Kurz darauf nahmen die Ärzte ihr auch die rechte Hand ab. Michelle sagte zu ihren Eltern: „Meine Beine putt, Papa heil machen.“ Doch dem Vater fehlten die Kräfte, um seiner Tochter Mut zuzusprechen. Anstatt dem Kind beim seelischen Aufbau eine Stütze zu sein, zerbrach er selbst. Die Eltern trennten sich. Michelle aber war stark. Sie ist dem Tod von der Schippe gesprungen. Jetzt wollte sie leben. Und nichts auslassen. Sie lernte, auf ihren Stümpfen zu laufen, mit einer Hand das Leben in den Griff zu kriegen. Weil die Mutter rund um die Uhr für das Kind da sein musste, häuften sich die finanziellen Probleme. Mehrfach unterstützte der Abendblatt-Verein „Kinder helfen Kindern“ sie mit Leserspenden, auch erst kürzlich wieder. Für diese großzügige Hilfe ist Britta Quast dankbar.

Auch wenn es immer wieder Probleme gibt, die Neunjährige regelmäßig ins UKE muss, weil die wachsenden Gliedmaßen erneut operiert werden müssen. Auch wenn die Prothesen drücken und die starken Medikamente die Zähne zerstört haben, lässt sich Michelle von den Folgen ihrer Krankheit nicht unterkriegen. „Ich fühle mich im UKE wohl“, sagt sie mit einem Grinsen. Die Mutter hofft, dass mit Ende des Wachstums auch die Operationen weniger werden. Und Michelle ein ganz normales Leben führen kann. Sie ist optimistisch, dass die Kleine es schaffen wird. Weil sie selbstbewusst ist. Freunde hat. In der Schule gut zurechtkommt. Sie ist ein fröhliches Kind, auch, weil ihre Mutter immer an ihrer Seite war. Dass sie selbst dafür viele Opfer bringen musste, wird ihr dann schmerzlich bewusst, wenn das Geld mal wieder nicht reicht. 14 Jahre war sie beim Steuerberater tätig. Dann kamen die Meningokokken. Seitdem lebt sie von HartzIV. Der Vater zahlt keinen Unterhalt. Aber darüber will Britta Quast vor ihrer Tochter nicht sprechen. Sie hat einen neuen Partner. Die beiden schauen in eine gemeinsame Zukunft. Michelle sagt „Papa“ zu ihm.