Der Projektkünstler Stefan Weiller hat Bewohner des Hamburger Leuchtfeuer Hospizes nach den Songs ihres Lebens befragt. Daraus ist ein berührendes Benefiz-Konzert entstanden, das am 15. Oktober im Michel aufgeführt wird. Von Sabine Tesche

Überall sind Häschen, große und kleine Kuscheltiere, auf dem Stuhl, auf dem Bett, den Fensterbänken. Und Bilder – Fotos von der Tochter, dem Mann, den Patenkindern. Eine helle Orchidee und frische Schnittblumen in Orange stehen auf dem Sideboard, farblich abgestimmt auf die Bettwäsche. Elke Piper hat es sich gemütlich eingerichtet in ihrem Zimmer. Die 69-Jährige streicht sich noch mal über ihre Haare. „Die Frisur muss immer gut aussehen, auch wenn man stirbt“, sagt sie lachend. Elke Piper hat ihren Humor nicht verloren, auch wenn sie zum Sterben ins Hamburg Leuchtfeuer Hospiz gekommen ist. Lungenkrebs – Endstadium.

Auf ihrem Bettrand sitzt ein schmaler Mann in Lederjacke und lacht mit ihr. Stefan Weiller besucht Sterbende, seit fünf Jahren schon, deutschlandweit in Hospizen. Und hört sich ihre Geschichten an und ihre Lieder. Songs, die Menschen ein Leben lang begleitet oder die sie im letzen Moment lieb gewonnen haben.

Der 44-Jährige nennt es Kunstprojekt, doch es scheint für ihn viel mehr als das zu sein. Eher eine Art Lebensprojekt, ohne absehbares Ende. Weil es eben noch so viele spannende Begegnungen gibt, so viele Geschichten über letzte Lieder und Gedanken. Wenn der Frankfurter Glück hat, spricht er drei Stunden mit Hospiz-Bewohnern, manchmal reicht deren Kraft nur für 30 Minuten. Daraus entsteht dann ein Benefiz-Konzert, wie das, das am 15. Oktober zugunsten des Hospizes Hamburg Leuchtfeuer im Michel aufgeführt wird – bereits zum zweiten Mal.

Besucher werden eine Mischung aus vorgelesenen Texten und Liedern hören. Der Franz-Schubert-Chor Hamburg, der Posaunenchor St. Michaelis und 20 weitere Musiker und Sänger werden Schlager, Popsongs aber auch plattdeutsche Liederwünsche der Hamburger Hospizbewohner interpretieren. Sie werden Udo Lindenbergs „Stark wie zwei“ singen, „Satisfaction“ von den Rolling Stones, genauso wie „Space Oddity“ von David Bowie oder das Lied vom „...Jung mit´n Tüddelband“. Die Schauspieler Gustav Peter Wöhler und Marion Martienzen lesen die Geschichten dieser anonymisierten Menschen vor und gehen dabei gedanklich von einem Hospizzimmer ins andere. Sie treffen dort auf wütende Menschen, meistens sind es die Männer, wie Weiller festgestellt hat, die ihr ganzes Leid und Elend verbittert beklagen und „Musik scheiße finden und feige Ärzte zum Kotzen“, aber auch auf Frauen, wie Elke Piper, die sich einen Twist wünscht „weil ich dazu früher mit meiner Tochter immer im Flur abgerockt habe“. Die krebskranke Frau aus Zimmer acht will noch eine schöne Piña Colada trinken „bevor ich drüben mit meinem verstorbenen Mann tanze“ und die aus Zimmer 14 schwärmt von Hamburg: „mit dem Wind, den Schiffen, der Großen Freiheit“. Es sind Geschichten zum Weinen und zum Lachen, aber immer voller Leben – und genau das will Projektkünstler Weiller rüberbringen.

Eine Reportage über eine Sterbende im Hospiz Advena in Wiesbaden war vor fünf Jahren Auslöser für sein Kunstprojekt. Damals arbeitete der studierte Sozialpädagoge noch als freier Journalist. „Ich hatte im Kopf, dass Hospize düster und bedrückend sind. Orte voller Tränen und Trauer“, sagt Weiller. Doch als er das Hospiz Advena betrat, empfingen ihn helle Farben und dröhnende Schlagermusik, die aus dem weit geöffneten Zimmer der Frau kam, die er interviewen sollte.

„Sie spielte das Lied ,Immer wieder sonntags‘ von Cindy und Bert, nicht wirklich mein Geschmack. Aber die Frau war so lebendig, lustig und eine absolute Schlagerexpertin. Wir haben viel gelacht“, erinnert er sich. Er wollte diese Erfahrung mit anderen teilen, in Frankfurt, Hamburg, Wiesbaden – dort waren die ersten Benefiz-Konzerte, inzwischen sind weitere Orte hinzugekommen. Als Aufführungsort wählt Stefan Weiller immer Kirchen, „damit die Gefühle der Besucher einen Ort finden, wo sie sich gehalten fühlen“.

Mareike Fuchs, Leiterin des Hospizes Leuchtfeuer, freut sich, dass Stefan Weiller ihre Einrichtung für die Interviews gewählt hat. „Für uns ist das eine schöne Gelegenheit, das Haus zu öffnen und die Geschichten, die hier passieren, weiterzuerzählen.“

Für Schauspieler Gustav Peter Wöhler, der ehrenamtlich bei dem Projekt mitmacht, ist es ein „großes Bedürfnis dabei zu sein“. Er ist begeistert von den „sehr persönlichen Texten“, die Stefan Weiller zusammengestellt hat. Wöhler ist sich sicher, „dass die Besucher nach dem Konzert berührt, aber auch mit neuer Kraft“ aus dem Michel gehen werden.

Das Benefiz-Konzert „Und die Welt steht still...“ von Stefan Weiller zugunsten von Hamburg Leuchtfeuer findet am 15. Oktober um 19.30 Uhr in der Hauptkirche St. Michaelis, Englische Planke 1, statt. Der Eintritt ist frei, Spenden sind erwünscht. Weitere Infos zum Projekt unter www.letzte-lieder.de