Hamburger Begegnungen: Peter Tamm, Gründer des Internationalen Maritimen Museums, trifft Oliver Binikowski, Buddelschiff-Unternehmer. Hanseatischer konnte das Treffen nicht sein.

Hamburg. In Windeseile segelt das Schiff aus dem Hafen und geht mit strammer Fahrt auf Kurs – um im Bild zu bleiben. Als Beschleuniger offeriert der Hausherr kleine Flachmänner Marke Underberg. „Könnt ihr auch mitnehmen“, murmelt er. Ist besser so, bitte lieber Kaffee. Peter Tamm lässt sich in einem schweren Sessel nieder, entzündet eine fette Zigarre und bittet die plietsche Sekretärin um einen Manhattan-Cocktail: ein wenig kanadischer Whisky mit rotem, süßem Wermut und einem Berg Eiswürfel. Prosit. Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern. Der Chef des Internationalen Maritimen Museums ist früh in Hochform.

Gegenüber hat Oliver Binikowski Platz genommen. Mit 43 Lebensjahren bringt der Unternehmer aus dem Portugiesenviertel zwar nur halb so viel Erfahrung auf die Waagschale wie sein 86 Jahre alter Gesprächspartner, doch einen die maritime Seele und die Leidenschaft für alles, was mit Wasser und Schiffen zu tun hat. Wer diese Sprache spricht, braucht nicht viele Worte, um kraftvoll loszulegen.

Es geht um Buddelschiffe, inspiriert von einer Flotte davon steuerbords von Tamms Schreibtisch. Tamm lauscht interessiert, wie Binikowski von seinen Erfahrungen mit diesen filigranen Kunstwerken erzählt. Als Schüler erlernte er, was einstmals schon der Großvater beherrschte: Rumpf aus Balsaholz sägen, Masten basteln, vorsichtig in die Buddel einführen und an einem Hauptfaden aufrichten. Um eine mühselige Arbeit kurz zu schildern. Und wie groß sollte die Flasche am besten sein?

„Kommt drauf an, wie viel Whisky du gelenzt hast“, wirft Peter Tamm ein und freut sich des Lebens. Besonders gut geht das mit leicht dreieckigen Dimple-Pullen, da sind sich die beiden Experten einig. Um Nachschub für die heimische Buddelschiffwerft zu haben, orderte Binikowski früher Leergut direkt bei der Destillerie in Schottland. Wahrscheinlich aus Furcht vor Schwarzbrennerei verebbte dieser Kanal eines Tages. Kleinanzeigen („Eine leere Dimple-Buddel für eine D-Mark“) erbrachte geringe Beute. Bis ein Transporter mit vielen Hundert leeren Flaschen vor dem Laden hielt. Die Herkunft des Segens blieb geheim.

Das erste Stück der Sammlung von Peter Tamm gab es 1934

Diese Anekdote bringt Peter Tamm weiter in Schwung. Zwischen einer Armada unterschiedlichster Modellschiffe, die sein rustikales Kontor im zweiten Stock des Museums bis in den letzten Winkel füllen, fördert er eine Miniatur aus Eisenguss hervor, fünf Zentimeter lang und mit gelbem Schornstein. „Tamm 1“ steht darunter. Was hat das denn zu bedeuten?

„Das war mein erstes kleines Schiff“, antwortet der frühere Manager, der es vom Schifffahrtsredakteur des Hamburger Abendblatts zum Verlagsboss brachte. 1934 war das, ein Trost der Mutter für den kranken Peter, für 50 Pfennige im „Kinderparadies“ an der Eppendorfer Landstraße erstanden. Der sechs Jahre alte Buttje hielt das kleine Abbild eines 500 Bruttoregistertonnen schweren Kümos in Ehren und ließ sich von seiner Fantasie über die Weltmeere treiben. Auch in widrigen Zeiten wuchs die Flotte, weil es zu Weihnachten regelmäßig Nachschub gab. Und notfalls zerlegte Peter sein Sparschwein. Die handverlesene Sammlung fand in seinem Kinderzimmer in einer Glasvitrine würdige Unterkunft. Daraus sollte mehr werden. Sehr viel mehr.

Das Gespräch der beiden begeisterten Seebären braucht keinen Moderator; es läuft von selbst. So sollen sie sein, die Hamburger Begegnungen, deren siebter Teil nicht hanseatischer ausfallen könnte. Auf der einen Seite mit Peter Tamm eine Persönlichkeit, deren Sammlung ihresgleichen sucht – aber weltweit nicht findet. Sein Gegenüber, Oliver Binikowski, bietet in seinen beiden Ladengeschäften im Windschatten der Landungsbrücken Maritimes von A bis Z an. Tagtäglich hat er es mit besessenen Sammlern zu tun, die rastlos auf der Suche sind.

Auch wenn die Rahmenbedingungen der zwei Nordlichter extrem unterschiedlich sind, eint das Herzblut für die gemeinsame Sache. Fröhlich stellt das Duo unisono fest, „ein bisschen sehr verrückt“ zu sein. Und es begreift diese Einschätzung als Kompliment erster Klasse.

Peter Tamm beschäftigt in seinem Museum 28 Mitarbeiter. Binikowski managt die beiden Läden zusammen mit Lebensgefährtin Sigita und vier Verkäufern. Der 86-Jährige hat 12.000 Quadratmeter zur Verfügung, der halb so Alte 60 plus 20 Quadratmeter, also weniger als ein Prozent davon. Der eine zählt gut 100.000 Besucher pro Jahr, der andere in seinen Geschäften immerhin fast 40.000. „Leider nicht alles Käufer“, fügt Binikowski hinzu. Viele wollen nur reinschnuppern und gucken. „Nehmen Sie doch Eintritt“, rät Geschäftsmann Tamm schmunzelnd.

Tamms Sammlung wird gerade akkurat gezählt, weil sie reif ist fürs Rekordbuch. So in etwa umfasst sie Zehntausende Schiffbaupläne, mehr als 100.000 Bücher, mehr als eine Million Fotos sowie gut und gerne 47.000 Schiffsmodelle. In den beiden Elbufer-Läden plus Onlineshop zählen ungefähr 8000 Artikel zur Auswahl, darunter Dutzende Schiffsantiquitäten und rund 100 verschiedene Buddelschiffe. Einen Teil davon lässt der ältere Bruder Jochen alias „Buddel-Bini“ auf den Philippinen von familieneigenen Betrieben in Handarbeit fertigen. Just ist er wieder nach Fernost aufgebrochen.

Reisen und Entdecken gehören zur maritimen Hoffnung

Jetzt hört Peter Tamm gespannt zu. Reisen nach Übersee, das ist oder war auch seine Sache – vor allem, um sich in der maritimen Welt quasi als Trüffelschwein zu betätigen. Die Lust am Fahnden und Finden, stellen die beiden fest, sei ein starker Antriebsmotor für außerordentliche Anstrengungen. Während Binikowski von „Jagdfieber“ spricht, wirft Tamm den Traum eines jeden Flohmarktschnüfflers in die Runde: „Das ist, als entdecke man überraschend das wertvolle Gemälde eines vermeintlich unbekannten Malers.“ Die Hoffnung steht also immer Pate.

„So wie damals in London“, sagt Peter Tamm aufgeregt. Ein Schluck Manhattan, dann erzählt er die Geschichte vom verstaubten, zerfallenen Schiffsmodell hinter dem milchigen Schaufenster eines Hökers irgendwo im Souterrain. Zu haben war das Wrack „für ein Ei und ein Butterbrot“.

Tamms Riecher für nostalgische Schätze hatte ihn nicht getrogen. Das Schnäppchen entpuppte sich als aus einem riesigen Walknochen gefertigtes Modell der amerikanischen Fregatte „Chesapeake“, eines mit 46 Geschützen ausgestatteten Eindeckers, dessen Galionsfigur einen Adlerkopf darstellt. Das Originalschiff wurde im Juni 1813 von Briten gekapert. Die amerikanischen Seeleute kamen in englische Gefängnisse und hatten, so heißt es, das zweifelhafte Vergnügen, in Haft und in mühevollster Feinarbeit ihre ursprüngliche Fregatte aus dem Walknochen zu schnitzen.

Tamms Museum beinhaltet die weltweit größte Sammlung solcher Knochenschiffe aus der Zeit der napoleonischen Kriege. „Jedes von ihnen schreibt Geschichte“, weiß der stolze Besitzer der kostbaren Exponate.

„Es gibt eben Liebhaberstücke, die verkaufst du nicht“, stellt Oliver Binikowski fest, „ganz gleich, was dir andere dafür bieten.“ Eben weil Leidenschaft unbezahlbar ist. Er berichtet von seinem Faible für antikes Schiffsgeschirr und speziell handbemalte Kapitänstassen. Einige Exemplare gab er in St. Petersburg bei einem Künstler in Auftrag. Das erste Modell steht jetzt daheim in der Neustadt. Es ist fast zu schade, um benutzt zu werden. Tamm nickt verständnisvoll.

Schließlich wissen beide nur zu gut, was Sammelleidenschaft und Jagdfieber sind. Nicht jeder muss dafür Sinn haben, warum auch? „Leider haben viele Menschen kein Gefühl mehr für Geschichte“, sagt Tamm. „Und viele wissen nicht mehr den Wert wahrhaftiger Originale zu schätzen“, fügt Binikowski hinzu. Ihre Erfahrung: Oft haben Erben keinen Respekt vor in Jahrzehnten liebevoll zusammengetragenen Hinterlassenschaften. Sie wissen nicht, wohin damit, und verramschen die guten Stücke. Auch wenn dies für heutige Sammler wegen manchmal günstiger Angebote Vorteile bringen könne, sei es eine bedauerliche Einstellung, die dem Zeitgeist entspräche.

Das Interessen an ausgewählten Schätzen hat Bestand

Ein Wort gibt das andere, sodass der vereinbarte Zeitraum für diese Hamburger Begegnung weit überschritten wird. Dafür ist es ein Genuss, diesen beiden Menschen mit großen maritimen Herzen zuzuhören. Stichworte der Unterhaltung sind die am 16. Oktober im Maritimen Museum anlaufende Sonderausstellung „Tief unten“ mit Erinnerungen an den U-Boot-Krieg vor einem Jahrhundert, der Hafengeburtstag, ein Leben praktisch unter Segeln, Marinemalerei und Tamms früherer Besuch auf der Yacht „Christina“ des mittlerweile verstorbenen Reeders Aristoteles Onassis aus Griechenland. Der Museumschef kramt alte SchwarzWeiß-Fotos hervor.

Auch wenn der Sinn für den Nachlass historischer Sammlungen ihrer Meinung nach abnimmt, so wachse das Interesse an ausgewählten Schätzen aus der Seefahrt. „Die Leute gieren geradezu nach Maritimem“, weiß Binikowski. Forschungsmöglichkeiten via Internet, Antiquitätenhändler, Auktionen oder internationale Kataloge sorgen für eine weltweite Vernetzung sammelnder Leidenschaften. Binikowski wie Tamm genießen die Zusammenarbeit mit „positiv Verrückten“, mit schillernden Typen und Paradiesvögeln von Format.

Zum Ausklang einer faszinierenden Unterhaltung gibt Peter Tamm Kindheitserinnerungen wieder. Wie er als Zehnjähriger als Jungmann in Büsum an Bord der „Elsa“ in See stach. Und wie er als Kind sogar zu Hause in Eppendorf das Klappern und Tuten aus dem Hafen hörte. Es waren Geräusche, die sein Leben prägten.

Und Oliver Binikowski berichtet von einem originalen Lounge-Sessel erster Klasse aus dem Inventar der „Queen Elizabeth II.“, der sein Wohnzimmer schmückt. Weiter wogt die Diskussion, welche Schiffs-Oldtimer wie viele Schornsteine haben. Da hält sich der Laie lieber diskret zurück.

Apropos Rauch: Peter Tamms fette Zigarre ist bis auf einen Stumpen abgebrannt. „Los, Männer!“, rät er – und bittet zum Rundgang durchs Museum. Schlussstation ist ein gewaltig großes Modell der „Wappen von Hamburg“, das im Treppenhaus hängt und alle Blicke auf sich zieht. Ein Vorfahr Peter Tamms stand einst als Kommandant am Steuer. Zum Vergleich hält Oliver Binikowski ein Buddelschiff aus eigener Produktion davor.

Kontraste beleben eben. Gut so.