Die Kleiderkammer Wilhelmsburg feiert Jubiläum. Seit 30 Jahren beschäftigt das soziale Projekt Langzeitarbeitslose. Ein Erfolgsmodell in der Armutsbekämpfung. Seit Neuestem gibt es dort für Mitarbeiterinnen Kreativ-Kurse, in denen sie mit Textilien experimentieren.Von Sabine Tesche

Sabine K. ist ein Glücksfall für die Kleiderkammer Wilhelmsburg. Resolut aber gutherzig ist die 59-Jährige, pünktlich und zuverlässig. Und mit viel Leidenschaft und Spaß bei der Arbeit. Eigentlich eine Mitarbeiterin, die sich jeder wünscht. Doch Sabine K. ist seit zehn Jahren arbeitslos. Hunderte Bewerbungen hat die gelernte Steuerfachgehilfin geschrieben, einen Gabelstaplerschein gemacht. „Doch in meinem Alter will mich ja keiner mehr haben“, sagt die Wilhelmsburgerin. Sie arbeitet seit Jahren immer mal wieder bei der Kleiderkammer – vermittelt durch die Arbeitsagentur Arge als Fördermaßnahme.

Am Anfang hat Sabine K. Kleider im Lager sortiert. Doch inzwischen fährt sie mit dem Lkw zu den 18 Ausgabestellen in den Kirchengemeinden Hamburgs und verteilt dort die gut erhaltenen Stücke an bedürftige Familien, Flüchtlinge, Wohnungslose und Rentner. „Manchmal warten bis zu 100 Leute vor der Ausgabestelle. Wir nehmen zwischen 50 Cent und einem Euro pro Kleidungsstück als Spende“, sagt Sabine K. Sie sammelt das Geld ein. „Das ist ein großer Vertrauensbeweis des Chefs“, findet sie und ist sichtbar stolz. Häufig gibt sie vor Ort Klienten Tipps in Behördenfragen oder hört sich ihre Probleme an. Sie kennt Sorgen, denn sie hat vor acht Jahren ihren Sohn verloren. Er hatte einen Gehirntumor. Sie hörte auf zu arbeiten, um ihn zu pflegen. Vor vier Jahren starb ihr Mann. „Ich bin so froh über die Arbeit bei der Kleiderkammer. Zuhause fällt mir die Decke auf den Kopf. Und endlich verdiene ich wieder eigenes Geld“, sagt Sabine K., die eine der drei begehrten Vollzeitstellen bekommen hat, die auf ein Jahr befristet sind. 2000 Euro brutto verdient sie nun als Angestellte, statt einer Aufwandsentschädigung als Ein-Euro-Jobberin. So ist die Kleiderkammer Wilhelmsburg auch ein Glücksfall für Sabine K.

Derzeit arbeiten 35 Menschen – überwiegend Frauen – als Ein-Euro-Jobber bei der Kleiderkammer Am Veringhof. Das soziale Projekt beschäftigt und qualifiziert Langzeitarbeitslose, und das seit 30 Jahren. Nächste Woche gibt es eine große Jubiläumsfeier. „Die Kleiderkammer ist der Traditionsbetrieb und das Erfolgsmodell in Hamburg im Bereich der Armutsbekämpfung durch Arbeit“, sagt Gudrun Stefaniak, Geschäftsführerin der passage gGmbh, Betreiberin der Kleiderkammer. Bis zu 60 Tonnen Kleidung, Schuhe und Bettwäsche sammeln die drei Fahrer aus den 120 Spezialcontainern im Monat ein. Säckeweise sind sie im großen Lagerraum gestapelt und werden nach brauchbaren und recycelbaren Stücken sortiert. Etwa 15 Prozent der Kleider sind erste Wahl und kommen zu den Ausgabestellen. Der Rest geht an die Recycling-Firma Wenkhaus und wird dort unter anderem zu Putzlappen oder Dämmmaterial verarbeitet.

Initiiert hat die Kleiderkammer die Arbeitsloseninitiative Wilhelmsburg, ehemalige Werft- und Hafenarbeiter, die nach einer neuen Beschäftigung suchten und in dem Projekt zudem eine Möglichkeit sahen, arme Stadtteilbewohner mit gebrauchten Kleidungsstücken zu versorgen. Vor 19 Jahren übernahm die passage gGmbH, Mitglied bei der Diakonie Hamburg, das soziale Projekt. Als Norbert Meiburg 1996 als Betriebsleiter einstieg, gab es nur fünf Ausgabestellen und 15 Container. „Jetzt sind wir ein großer Betrieb, der pro Woche rund 1000 bedürftige Menschen erreicht. Vor zwei Jahren haben wir eine weitere Kleiderkammer in Wandsbek aufgemacht“, sagt Meiburg.

Er mag an seinem Job, „dass wir hier Langzeitarbeitslosen wieder eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen können. Sie bekommen wieder eine Tagesstruktur, werden gebraucht. Viele leben hier förmlich auf und sind traurig, wenn sie nach zwei Jahren gehen müssen.“

Seit Juni 2013 kooperiert die Kleiderkammer Wilhelmsburg mit einem neuen Projekt der passage gGmbh, das sich Am Veringhof angesiedelt hat, dem „Stoffdeck“. Dort wird frei arbeitenden Mode- und Textildesignern, Schneidern sowie Hobby-Kreativen ein mit Nähmaschinen, Spezialmaschinen als auch einer Siebdruckanlage ausgestattetes Atelier als „Ko-Working-Space“ angeboten. Zudem gibt es Kurse für Kleiderkammer-Mitarbeiterinnen, die dort lernen, aus alten Stoffen neue, hochwertige Textilien zu erstellen. Unter dem Motto „Upcycling“ werden aus alten Jeans schicke Taschen, Streifen eines T-Shirts bilden eine Halskette oder einen Korb. „Viele der Frauen sind handwerklich begabt und lernen hier zudem etwas über Materialkunde und kreatives Design“, sagt Gudrun Stefaniak.

Für Halime D., 32, ist der Kreativ-Kursus eine schöne Abwechslung zum täglichen Sortieren der Kleidung. Die Türkin lebt seit sieben Jahren in Hamburg, hat einen Sohn, vom Mann ist sie getrennt. Sie hat keine Ausbildung, die Arbeit bei der Kleiderkammer ist ihre erste Fördermaßnahme. Doch häkeln kann sie und so präsentiert sie stolz einen runden Teppich. „Das macht Spaß, hier will ich weiterarbeiten.“