In der Hamburger Verbrennungsambulanz des Kinderkrankenhauses Wilhelmstift werden täglich bis zu 15 Kinder versorgt. Damit das Projekt reibungslos läuft, finanziert der Verein „Hamburg macht Kinder gesund e.V.“ die Stelle einer spezialisierten Kinderkrankenschwester.

Die Tickets hat Nilifer Degerli vor sechs Monaten gebucht. Drei Tage noch, dann will die Familie in die Türkei fliegen. Die Koffer sind gepackt. In der Wohnung in Hamburg-Horn herrscht Urlaubsstimmung. Die Reise soll der Höhepunkt des Jahres werden.

Es sind Sekundenbruchteile. Ein Wimpernschlag, vielleicht zwei. Sie hat sich nur eben umgedreht, um etwas aus dem Kühlschrank zu holen. Noch während sie das tut, ist der Gedanke bereits da, das etwas passieren könnte. Und doch kommt er einen Augenblick zu spät. Jenen Augenblick, an dem Leyla die kleine Hand ausstreckt und am Beutel mit der Aufschrift Kamillentee zieht. Das kochend heiße Teewasser ergießt sich über Gesicht und Brust des 18 Monate alten Mädchens. Auf der verbrühten Hautoberfläche von Leyla bilden sich Bläschen.

Verzweifelt kühlt die Mutter die Wunde mit Wasser. Gleichzeitig versucht sie, ihren Mann zu erreichen. Metin Degerli ist Lagerarbeiter. Er hat Sonntagsschicht. Es ist die letzte vor dem geplanten Türkeiurlaub. Er geht nicht ans Telefon. In ihrer Verzweiflung wählt sie die Nummer ihres Bruders. Er alarmiert den Krankenwagen. Kurze Zeit später wird Leyla ins Wilhelmstift eingeliefert. Das Kinderkrankenhaus ist eins von 20 Zentren in Deutschland für die Behandlung von Schwerstbrandverletzten.

30.000 thermische Verletzungen bei Kindern werden pro Jahr gezählt

Dr. Christoph Beckmann ist der leitende Oberarzt der Abteilung für Neonatologie, pädiatrische Intensivmedizin und Schwerbrandverletzte. Seit mehr als 20 Jahren ist der Kinderarzt hier tätig. Er kennt sich aus wie kaum ein zweiter, wenn es um Brandverletzungen bei Kindern geht. „Man schätzt, dass es in Deutschland jährlich 30.000 thermische Verletzungen bei Kindern gibt“, sagt er. „6000 davon werden in Kliniken behandelt, 2000 in Zentren wie diesem.“ Die meisten seiner Patienten sind jung, im Schnitt ein bis zwei Jahre alt. Es sind Kleinkinder, deren Eltern für einen Moment nicht aufgepasst haben.

So wie bei Leyla. Sie ist ein aufgewecktes Mädchen mit langen dunklen Haaren und großen, dunkelbraunen Augen. Sie liebt es, Zeit mit ihren großen Geschwistern zu verbringen. Die Älteste ist 13. Sie ist es auch, die sich an dem besagten Sonntag einen Kamillentee kocht. Sie weiß, dass sie den Becher mit dem heißen Tee außer Reichweite von Leyla stellen muss. Sie dreht ihn mit dem Henkel so, dass die Kleine nicht heranreichen kann. Was sie nicht merkt, dass sie den Becher auf der Kante zwischen Spüle und Arbeitsplatte abgestellt hat. So wackelig, dass der Zug am Teebeutel reicht, um ihn zum Umfallen zu bringen. Wenn Nilifer Degerli von diesem Tag erzählt, bricht ihr die Stimme weg. Sie fühlt sich schuldig, weil sie ihr Kind nicht hat beschützen können. Zehn Tage liegt der Unfall zurück. Doch von der schweren Verbrühung ist bis auf die gerötete Haut an Brust und Stirn kaum noch etwas zu sehen. Während ihre Mutter mit Vorwürfen kämpft, geht es Leyla inzwischen wieder gut, auch, weil sie medizinisch optimal versorgt wurde.

Noch vor wenigen Jahren wäre eine Patientin wie Leyla fünf Tage beatmet worden. Man hätte das Kind aufgrund der Schmerzen durch die Gabe von Opiaten dauerhaft ruhig stellen müssen. Die Belastung für die Betroffenen sei damals enorm gewesen. Inzwischen sei alles viel einfacher, sagt Dr. Christoph Beckmann. „Wir arbeiten mit einer Folie, die wir unter Vollnarkose auf die gereinigte Wundfläche auftragen, und die sich fest mit dem Wundgrund verbindet. Unter der Folie kann die Wunde dann in Ruhe heilen.“ Oft können die Patienten nach wenigen Tagen auf die Normalstation verlegt werden.

Doch es gibt auch Fälle, in denen die Heilung länger dauert. Oder jene, in denen eine stationäre Behandlung nicht notwendig ist, eine fachmännische ambulante jedoch unumgänglich. Für diese gibt es im Wilhelmstift die Verbrennungsambulanz. Jeden Tag zwischen elf und 13 Uhr empfängt dort Schwester Katrin die kleinen Patienten. Die 38-Jährige ist Kinderkrankenschwester und spezialisiert auf Anästhesie und Intensivmedizin. Seit 17 Jahren arbeitet sie mit Schwerbrandverletzten. Das Thema ist ihr Steckenpferd. Es gibt keine Verletzung, die ihr fremd ist. Dass sie seit Jahresbeginn täglich fest in der Ambulanz tätig sein kann, verdankt sie der besonderen Unterstützung des Vereins „Hamburg macht Kinder gesund e.V.“.

Die Stiftung „Hamburg macht Kinder gesund e.V.“ fördert das Projekt

Dieser will die Kindermedizin in Hamburg weiter stärken und deren Besonderheiten ins Blickfeld rücken. Gefördert werden innovative und nachhaltige Projekte, die unter Berücksichtigung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses möglichst vielen kranken Kindern und Jugendlichen zugutekommen. Sie sind überwiegend an den drei großen Kinderkliniken – im UKE, Altonaer Kinderkrankenhaus und Wilhelmstift – angesiedelt.

Der Verein unterstützt unter anderem Musiktherapien bei Früh- und Neugeborenen, ein mobiles Malatelier und das Projekt „STOPP“, Übergewicht und Diabetes bei Mutter und Kind. Durch die Spende des Vereins wird außerdem die Stelle von Katrin Scherwatzky finanziert. „Sie ist unglaublich kompetent und man fühlt sich gut versorgt“, sagt Leonie Altmann. Es sei ein gutes Gefühl zu wissen, dass hier jemand auf einen wartet, der einen kennt. Leonie ist zwölf Jahre alt und innerhalb von acht Tagen bereits zum fünften Mal in der Ambulanz. Sie hat sich beim Kochen in der Schule mit heißem Fett im Gesicht und an den Händen verbrüht. Nebenan im Sprechzimmer wartet Lasse, 15 Monate. Der kleine Junge hat sich beim barfuß laufen auf einer metallenen Rollstuhlrampe die Fußsohlen verbrannt. „Wir sind sofort ins UKE gefahren“, erzählt seine Mutter. Die Ärzte dort schickten sie zur besseren Versorgung ins Wilhelmstift. Auch Marike ist hier gelandet. Die Zweijährige hatte vor 14 Tagen beim Kochen mit ihrer Mutter auf die heißen Herdplatten gegriffen. Drei Tage musste sie in der Klinik verbringen. Seitdem kommt sie alle drei Tage zur Nachbehandlung in die Ambulanz. Bereitwillig streckt sie Schwester Katrin ihre Hände hin. Sie hat keine Angst, weil sie mit der Behandlung in der Ambulanz nur gute Momente verbindet.

Auch Leyla verlässt die Klinik mit einem Lächeln. Zwar hat sie ihre langen Haare dort zurücklassen müssen. Die Ärzte haben sie abrasiert, um die Verletzungen im Gesicht behandeln zu können. Doch geht sie mit narbenloser Haut und guten Prognosen. „Leyla ist wieder völlig gesund“, sagt Dr. Beckmann. Für die Eltern ist das ein Wunder. Für den Arzt eine Selbstverständlichkeit.