Mutmacher Rudolf Schöning zeigt jungen Menschen mit Handicap im Westjordanland sein Handwerk. Sein Ziel ist es, vor Ort eine funktionierende Werkstatt aufzubauen, in der die Menschen arbeiten können.

Die Bilder bedrücken ihn. Wenn Rudolf Schöning dieser Tage die Nachrichten aus dem Westjordanland sieht, fühlt es sich für ihn an, als träfen ihn die Bomben persönlich. Der Orthopädieschuhmacher aus Eppendorf macht sich große Sorgen um seine Freunde im palästinensischen Beit Dschala. Erst im Frühjahr war er dort, um im Rahmen der Organisation Lifegate Rehabilitation Jugendlichen mit Behinderung sein Handwerk zu lehren. Sein Ziel ist es, vor Ort eine funktionierende Werkstatt aufzubauen, in der die Menschen mit Handicap eigenständig arbeiten und Geld verdienen können. Den Ausbruch des Krieges hatte er nicht eingeplant.

Dabei fing alles so gut an. Vor zwei Jahren stieß Rudolf Schöning, der 43 Jahre lang eine Werkstatt in der Löwenstraße in Eppendorf betrieben hat, in einer Fachzeitschrift zufällig auf einen Bericht, in dem Ausbilder für Palästina gesucht wurden. Das Land und die Menschen interessierten ihn. Also schrieb er eine kurze Bewerbung, fragte an, ob auch ältere Herren gebraucht würden. Im Mai 2013 reiste er das erste Mal für 14 Tage ins Westjordanland. Was er vorfand, war eine große Werkstatt, aber kein Material. Der heute 71-Jährige schuf zunächst die Arbeitsvoraussetzungen. Dann begann er, dem Kollegen vor Ort die Theorie und Praxis der Einlagenherstellung in der Orthopädie zu erklären.

Während jener Wochen war die Lage rund um Jerusalem relativ entspannt. Nur ein einziges Mal war sie da, die Angst. Er hatte den Bus verpasst, der ihn von Beit Dschala zurück nach Jerusalem bringen sollte. Also ging er zu Fuß. Als er sich dem Checkpoint näherte, richteten die Grenzsoldaten die Maschinenpistolen auf ihn, den Orthopädieschuhmacher aus Hamburg. Der ins Westjordanland gekommen war, um zu helfen. Schließlich ließen ihn die Männer gehen. In seiner kleinen Wohnung oberhalb der Haas Promenade von Jerusalem angekommen, spürte er, wie ihm die Beine zitterten. Und dennoch hat Rudolf Schöning keine Minute daran gezweifelt weiterzumachen. Er reiste im November erneut ins Westjordanland, im Frühjahr machte er sich ein drittes Mal auf den Weg. Diesmal blieb er fast zwei Monate.

Die christliche Organisation Lifegate unterstützt Kinder und Jugendliche mit körperlicher oder geistiger Behinderung, in dem sie diesen in der Werkstatt Arbeit vermittelt. Darüber hinaus geht es um medizinische Rehabilitation und Frühförderung sowie mobile Hilfe vor Ort. Es sind junge Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben. Denn im Westjordanland gibt es kaum Fördermaßnahmen und Bildungsprogramme von öffentlicher Seite, die diesen Menschen eine Chance für ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Ein gesetzliches Sozialversicherungssystem fehlt ebenso wie eine spezielle finanzielle Unterstützung.

Das Team von Lifegate besteht aus palästinensischen und deutschen Mitarbeitern. Ihr Ziel ist es, den Betroffenen zu helfen, ein gesundes Selbstwertgefühl und Vertrauen aufzubauen und ihnen trotz ihrer Behinderung eine Ausbildung zu ermöglichen. Das Zentrum dieses weit verzweigten Rehabilitationsnetzwerkes liegt in Beit Dschala. Dort befinden sich Werkstätten, medizinische Rehabilitation und Verwaltung. Sein Ansprechpartner vor Ort ist Munther, ein Palästinenser, circa 35 Jahre alt, so genau weiß der Hamburger das nicht. Munther ist körperlich eingeschränkt, aber wissbegierig und geschickt. Und er will das Handwerk von Grund auf lernen.

Schöning hat sich vorgenommen, ihm alle Tricks und Kniffe zu zeigen. Und damit die Kommunikation künftig besser klappt, hat er sich sogar für einen Arabischkursus an der Volkshochschule angemeldet. Sobald sich die Lage im Westjordanland beruhigt hat, will er in den Flieger steigen und bleiben. Drei Monate vielleicht. Es zieht ihn dorthin. Aber noch ist das Risiko zu groß.

Informationen im Internet: www.lifegate-reha.de