Die Hamburgische Brücke e. V. startet einen Hunde-Besuchsdienst für Demenzkranke in Hamburg. Denn besonders Senioren erfahren durch den Umgang mit den Tieren neue Lebensqualität. Ab August bildet Hundetherapeutin Angela Harms Halter und Tiere zu ehrenamtlichen Helfern aus. Von Hanna Kastendieck

Er sitzt dort wie versteinert. Das Gesicht des 69-Jährigen ist ohne Mimik. Der Rücken ist gerade, die Augen schauen ins Leere. Seine faltigen Hände hat Herr H. in seinen Schoß gelegt. Sie zittern ununterbrochen. Dann kommt Bani. Sanft drückt die Golden-Retriever-Hündin ihren Kopf an die spitzen Knie des kranken Mannes, schiebt ihre feuchte Schnauze in die zitternde Hand.

Es ist Montagmorgen, 11 Uhr, die Stunde vor dem Mittagessen. Heute wird im Seniorentagestreff Reinbek nicht wie üblich gemalt, gebastelt oder gekocht. Heute kommen Bani und Lizzy. Und natürlich Frau Harms. Sie ist Hundetherapeutin und einmal im Monat mit ihren Tieren in Reinbek zu Gast. Es ist eine besondere Stunde. 60 Minuten, in denen bei den alten, zumeist an Demenz erkrankten Tagesgästen, der Schleier des Vergessens fällt. Wenn die Hunde kommen, kehren die Erinnerungen zurück, das hat Angela Harms schon häufig erlebt.

„Manchmal ist das Tier dem Menschen einfach überlegen, kann Stimmungen wahrnehmen, kann dort Trost spenden und Freude bringen, wo Worte niemanden mehr erreichen“, sagt sie. „Gerade ältere Menschen, die unter Demenz leiden, erfahren durch den Umgang mit Tieren – und ganz speziell mit Hunden – einen Zuwachs an Lebensqualität.“

Herr P. zum Beispiel, der vor zwei Jahren seine Frau verloren hat und dreimal pro Woche in die Tagespflege kommt. Er erzählt, dass er schon als Kind einen Hund hatte. „Eine Promenadenmischung. Er hieß Schuftl.“ Stundenlang hätten sie auf der Wiese am Wasser getobt. Der Vater habe Blumenzwiebeln eingegraben, die der Hund wieder ausbuddelte. Herr W., der vor vielen Jahren an Kinderlähmung erkrankt ist, erinnert sich, wie sehr er sich immer einen Vierbeiner gewünscht hat. „Wir hatten aber nur einen Wellensittich, weil wir in einer Wohnung gelebt haben.“ Um so schöner sei es, dass jetzt gleich zwei Hunde zu Gast sind. Reihum werden die Tiere gestreichelt, es werden Befehle gerufen, Leckerlis verteilt, Bälle geworfen. Es wird geplaudert in einer Runde, die üblicherweise die meiste Zeit schweigt. „Die Hunde sind für die Senioren ein schöner Moment in ihrer eher tristen Alltagswoche“, sagt Angela Harms.

Die 53-Jährige engagiert sich seit sieben Jahren in Sachen tiergestützter Therapie. Zunächst war es mehr ein Ausbruch aus der Routine. Nach 20 Jahren Bürotätigkeit wollte sie endlich etwas machen, was ihr wirklich wichtig erschien. Sie kaufte sich eine Hündin, machte eine Therapiehundeausbildung, arbeitete mit einem Hundetrainer und machte beim Kuratorium Deutsche Altenpflege einen Kursus zum fachgerechten Einsatz von Tieren in der Seniorenhilfe. Seitdem geht sie regelmäßig mit ihren Tieren in die Heime. Sie weiß, wie bereichernd und beglückend ein solcher Besuch ist. Und dass sie am liebsten viel mehr an Demenz erkrankte Menschen, auch im häuslichen Bereich, besuchen würde. Um so begeisterter war sie, als sie erfuhr, dass Hamburgs erster Hunde-Besuchsdienst an den Start gehen wird. „Helfer auf vier Pfoten – für an Demenz Erkrankte“ heißt das Projekt, das bereits seit 2009 in Köln läuft und nun von der Hamburgischen Brücke e. V. mit Unterstützung des Lions Club Hamburg-Waterkant auch hier an den Start gehen soll. Ende Mai wurde der Kooperationsvertrag zwischen dem Hamburger Verein, den Lions und dem Kölner Projekt unterzeichnet. Den Service sollen Ehrenamtliche leisten. Auch Hundehalter, die bisher keine Erfahrungen mit an Demenz Erkrankten haben, sich aber in diesem Bereich gern engagieren möchten.

Ab August sollen die ersten Eignungstests für Hunde beginnen. Jeder Hund, der einen guten Charakter besitzt, ist geeignet, um beim Hundebesuchsdienst mitzumachen. Von Mops, über Dackel bis zur Dogge. „Es kommt nicht auf die Rasse an“, sagt Angela Harms, „es kommt auf das Wesen an. Es muss ein ganz normaler, freundlicher, menschenbezogener Hund sein, der Freude an Unternehmungen hat.“ Die Hunde müssten gelassen sein, eine hohe Toleranzschwelle haben, so Harms weiter, da es immer mal zu ungewöhnlichen Situationen, Bewegungen und Geräuschen kommen könne.

Bevor der erste Besuch stattfindet, werden Mensch wie Hund entsprechend qualifiziert. So müssen Frauchen oder Herrchen einen 40-stündigen Kursus besuchen, die Hunde werden von einer zertifizierten Hundeschule auf ihre Eignung geprüft und auf ihren neuen Einsatz vorbereitet. Am Ende steht der sogenannte Hundeführerschein mit dem Zusatzmodul für den Einsatz im sozialen Dienst. Im kommenden Jahr sollen dann die ersten Besuchsdienste starten. Die Erfahrungen, die bisher in Köln gemacht wurden, seien ermutigend, berichtet Kirsten Arthecker, Geschäftsführerin der Hamburgischen Brücke. Erkrankte könnten sich beispielsweise an die Tage erinnern, als sie selbst noch einen Hund hatten. Und weil ein Besuch mitunter einige Stunden dauern kann, werden für die Zeit auch die Angehörigen entlastet. Oft seien gemeinsame Spaziergänge der Erkrankten mit den ehrenamtlichen Helfern und ihren Vierbeinern möglich. Die Leistungen können als sogenanntes niederschwelliges Betreuungsangebot direkt mit der Krankenkasse abgerechnet werden. Der Halter bekommt als Aufwandsentschädigung elf Euro pro Besuch.

Zwei bis drei Stunden pro Einsatz sollten die Helfer einplanen. Letztendlich aber entscheidet der Hund über die Dauer des Kontaktes. Wenn das Tier keine Lust mehr hat, wird eine Pause gemacht. „Die Erfahrung aber hat gezeigt, dass ein Besuch allen Beteiligten Spaß macht“, sagt Angela Harms. Sie erlebt das täglich bei ihrer Arbeit in den Heimen. Die Menschen blühen förmlich auf. Und die Hunde bekommen viel Zuneigung und Ansprache.

Am Ende der Besuchszeit in der Reinbeker Tagespflege darf jeder Gast den beiden Hündinnen ein Leckerli geben. Herr P. klopft noch in gewohnter Hundekennermanier auf Lizzys Rücken. Herr W. wirft sein Leckerli voll Übermut hoch in die Luft. Und Herr H. sitzt noch immer ohne Mimik auf seinem Stuhl, in der zitternden, knochigen Hand den Hundebonbon. Als Bani zum Abschied versucht, das Leckerei aus seiner Hand zu nehmen, hört das Zittern auf. Die Miene von Herrn H. entspannt sich. Sein Blick richtet sich auf das Tier. Und plötzlich strahlt der alte Mann über das ganze Gesicht.

Die Vorbereitung und Schulung startet am 9.August und geht bis zum 17.Dezember. Die Kosten für den Hundeführerschein liegen pro Person und Hund bei 120 Euro. Anmeldung bei der Beratungsstelle für ältere Menschen unter Tel. 4602158 oder per E-Mail: bst@hamburgische-bruecke.de