Das Kinder-Hospiz Sternenbrücke wird zehn Jahre alt. Wer dort arbeitet, braucht viel Kraft. Ute Nerge und Peer Gent haben für sich einen Leitspruch entwickelt: „Geht nicht, gibt’s nicht.“

Es ist ein Ort, an dem unheilbar erkrankte Kinder liebevoll betreut werden. Vor zehn Jahren, am 17. Mai 2003, wurde das Kinder-Hospiz Sternenbrücke in Rissen eröffnet, ein Modellprojekt für Deutschland. Es wurde mit Bundesgeldern gefördert, mit Spenden vieler Tausender Hamburger seither unterstützt. Zwölf Kinder und junge Erwachsene können auf dem waldgesäumten Gelände mit der schönen Villa gemeinsam mit ihren Familien eine Auszeit nehmen oder erleben hier ihre letzte Lebensphase. Aus einer Idee, die die Kinderkrankenschwester Ute Nerge hatte, ist in Zusammenarbeit mit dem Sozialpädagogen Peer Gent ein Großprojekt geworden, das neben der stationären Kinderpflege noch ein Jugendhospiz, einen ambulanten Kinder-Hospiz Pflegedienst sowie eine Fort- und Weiterbildungs-Akademie unterhält.

Hamburger Abendblatt: Zehn Jahre Kinder-Hospiz… Haben Sie erreicht, was Sie sich vorgenommen haben? Sind Sie zufrieden, wie es läuft?

Ute Nerge: Ja, sehr. Es begann mit dem Wunsch zu helfen, weil ich aus meiner Erfahrung als Kinderkrankenschwester wusste, dass der Bedarf nach einem Kinderhospiz da war. Die Mitwirkung des Hamburger Abendblatts ganz zu Beginn war eine große Hilfe. Und nach zehn Jahren kann ich sagen, es ist alles so, wie wir es uns immer gewünscht haben. Die Eltern nehmen unsere Unterstützung an, wir sind bis Ende 2014 fast ausgebucht.

Gab es einen Schlüsselmoment, bei dem Sie wussten, es ist richtig, was Sie tun?

Ute Nerge: Es waren eher viele Situationen, die das bestätigt haben. Ich denke an die Familie mit den zwei kranken kleinen Mädchen, die wir betreuten. Dann bekam die Mutter Krebs, da mussten wir vor allem auch den Vater unterstützen. Ich erinnere mich an einen todkranken 16-Jährigen, der mich aus Flensburg anrief und sagte: „Ute, komm’ mich holen, Papa ist ausgezogen. Vielleicht kommt er wieder, wenn ich nicht mehr da bin“. Berührend war, als eine hochschwangere Mutter hier ein Baby entbunden hat, während ihr älteres Kind kurz darauf bei uns an Krebs starb. Es waren viele Notsituationen, bei denen wir schnell und unbürokratisch helfen konnten.

Wie hält man es aus, immer von sterbenden Kindern umgeben zu sein?

Ute Nerge: Man braucht viel innere Stabilität. Wenn ein Kind stirbt, das ich lange begleitet habe, dann weine ich auch, lebe die Trauer. Aber ich kenne meine Grenzen. Wenn ich schlecht schlafe und keine innere Ruhe mehr habe, dann schaffe ich mir Verschnaufpausen, gehe zum Beispiel tanzen. Aber ich ziehe auch Energie daraus, dass wir einer erschöpften Familie sichtbar neue Kraft geben können, dass krampfende Kinder hier entspannen können, dass wir sie oft mit weniger Schmerzen und Medikamenten entlassen können. Es gibt mir Energie, dass wir hier aus verbleibenden Tagen gute Tage machen können. Wir bekommen von den Familie ganz viel Dankbarkeit zurück – das trägt mich. Aber ich komme durchaus bei intensiven Momenten an meine Grenze, dann gehe ich Fahrrad fahren, das hilft.

Welches Gefühl, wollen Sie dem Kind und der Familie geben, wenn sie hier im Kinder-Hospiz sind?

Ute Nerge: Dass sie aufgefangen und aufgehoben sind. Dass sie liebevoll und professionell betreut und nicht allein gelassen sind.

Sie waren ein Modellprojekt, wurden vom Bund gefördert. Was hat sich seither in der Kinderhospiz-Bewegung getan?

Peer Gent: Wir haben damals gehofft, dass wir ansteckend sind. Das ist uns gelungen. Inzwischen gibt es zwölf Kinderhospize bundesweit, die meisten waren vorher hier und haben sich informiert. Wir hatten Besuch aus dem Ausland: aus Schweden, Norwegen, sogar Japan. Aber auch in Hamburg hat sich viel bewegt. Es gibt den ambulanten Kinderhospiz-Dienst Familienhafen und das Palliativteam Kinderpact, auch den Neuen Kupferhof für schwerstbehinderte Kinder haben wir eng beraten.

Was macht ein gutes Kinderhospiz aus?

Ute Nerge: Dass man den Zugang zu den Eltern nie verliert. Ich veranstalte einmal pro Woche ein „Kamingeflüster“, wo ich mit allen Eltern zusammensitze und nach ihren Wünschen und Problemen frage. Wir können nur wachsen und die Spenden sinnvoll einsetzen, wenn wir uns ganz eng an den Bedürfnissen der Familien orientieren. Wir haben einen Leitspruch entwickelt: Geht nicht, gibt’s nicht. Wir versuchen, für die Betroffenen alles möglich zu machen. Man braucht viel Einfühlungsvermögen und Improvisationstalent.

Kinder backen, Prominente kochen und kicken für Sie, in Supermärkten hängen Spendenbehälter. Wie bekommen Sie alle diese Menschen dazu, sich für Sie einzusetzen?

Peer Gent: Viele Spender werben andere Spender, es gibt eine Art Mund-zu-Mund-Propaganda. Allerdings sind 75 Prozent unserer Spenden Beträge unter 100 Euro. Deswegen brauchen wir eine große Verbreitung, um das für unsere Arbeit notwendige Geld zusammenzubekommen.

Es gibt durchaus kritische Stimmen, die sagen, das Ganze sei ein Luxushotel. Warum braucht man 892 Euro pro Tag pro Familie? Ginge es nicht auch auch mit weniger Aufwand und Geld?

Peer Gent: Nein, das ginge nicht. Etwa die Hälfte wird von der Krankenkasse für das Kind bezahlt, den Rest von rund 450 Euro zahlen wir aus den Spenden für die Angehörigenaufenthalte, für die Investitionskosten und die zusätzlichen Pflegekräfte. Wir haben 33 Pflege-Vollzeitstellen, es werden aber von den Kassen nur 14 anerkannt. Damit kommen wir nicht aus, weil wir hier schwerkranke Kinder haben, die zum Teil dauerbeatmet oder in der Finalphase sind. Im Vergleich liegen die Tagessätze auf der Kinderintensivstation bei bis zu 2000 Euro, deswegen verlegen Kliniken gern chronisch erkrankte Kinder zu uns. Die Kinderhospizarbeit ist ständig unterfinanziert. Wir brauchen die Größe des Hauses, weil es unser Anspruch ist, dass jedes Kind auch im Bett überall mit dabei sein kann – sei es im Speisesaal, Kaminzimmer oder Spielraum – und nicht allein in seinem Zimmer bleiben muss.