“Ich habe Geld gespart, mir fehlt nichts, aber ein gutes Gespräch kann man nicht kaufen“, das empfindet nicht nur Ursula Fricke, sondern viele alte Menschen.

Seit dem frühen Morgen hat sie sich darauf gefreut. Einmal in der Woche bekommt die alte Dame Besuch von Gertrud Kirsch. Dann sprechen die beiden über das Leben, über Politik, über Erinnerungen. Manches Mal liest Gertrud Kirsch der 86-Jährigen aus der Zeitung vor. "Wir sprechen nicht über Schmerzen oder missratene Kinder", sagt Ursula Fricke, und es klingt wie ein Scherz, doch sie meint es ernst. Seit einem Schlaganfall vor zwölf Jahren wohnt die seitdem stark sehbehinderte alte Dame im "Hospital zum Heiligen Geist" in Poppenbüttel, einem Senioren-Wohnheim im Norden Hamburgs.

Wenn die Zeitspenderin erwartet wird, öffnet Ursula Fricke die Tür ihres hellen, freundlichen Zimmers mit Balkon und Ausblick ins Grüne. Hell, das ist so wichtig für sie, weil sie kaum noch sehen kann. "Man muss es hoch anrechnen, dass die freiwilligen Helfer uns ihre Zeit spenden - es gibt nichts Besseres", sagt sie. "Ich habe Geld gespart, mir fehlt nichts, aber Zeit und ein gutes Gespräch kann man eben nicht kaufen ..."

Die Zeitspender am "Hospital zum Heiligen Geist" sind derzeit 25 Frauen und drei Männer. Sie betreuen in dem Senioren-Wohnheim ehrenamtlich Bewohner, die einsam sind und für die eine Stunde Zuwendung ein Maß an Glück bedeutet, das sich Außenstehende kaum vorstellen können.

Bis Anfang des Jahres hatte Ursula Fricke noch drei Mitbewohnerinnen, mit denen sie gern redete. Dann war sie allein und verlor alle Lebensfreude. "Neue Kontakte zu finden", sagt sie, "ist nicht mehr so einfach."

Dazu kommt ihr waches Interesse, ihr Bedürfnis nach Themen, die außerhalb ihres Lebenskreises liegen: "Mit Gleichaltrigen hat man nicht so den Austausch", sagt sie. Irgendwann an diesem Nachmittag fällt das Stichwort "Reise". Ursula Fricke ist immer gern gereist: Einige Male als Passagierin auf Frachtschiffen - mit einem Containerschiff war sie sechs Wochen unterwegs nach Australien, hat mit der philippinischen Crew ihren 72. Geburtstag an Deck mit Grillsteaks und Cuba Libre gefeiert. Hat mit dem raubeinigen Kapitän auf der Brücke gestanden, der plötzlich eine ganz weiche Stimme bekam, mit der Hand auf das Meer zeigte und sagte: "Können Sie jetzt verstehen, warum ich diesen Beruf gewählt habe?" - "Es ist nicht beschreibbar, wie glücklich man da sein kann", sagt sie fast mehr zu sich selbst. Sie erzählt noch viel von ihrer Reise, anrührend, urkomisch und witzig, nachdenklich.

Annegret von Freyberg, Koordinatorin des Zeitspender-Teams und selbst auch ehrenamtliche Wegbegleiterin, sagt über die ehrenamtliche Arbeit: "Die Zeitspender geben nicht nur, sie bekommen auch etwas zurück." Es stimmt.

Die Zeitspender verstehen ihre Arbeit als Langzeit-Begleitung für einen Menschen. Bis zu seinem Tod. Aber eben auch lange vorher schon. "Man muss bereit sein, eine Beziehung einzugehen", erklärt Annegret von Freyberg. Es entstehen Gefühle. Das ist bereichernd, oft beglückend, aber manchmal eben auch traurig oder belastend. "Darüber muss man mit Gleichgesinnten reden können, sonst wird die Arbeit zu einer einsamen Sache", sagt Gertrud Kirsch.

Dafür gibt es die Supervision - einmal im Monat treffen sich die Zeitspender und sprechen über die Begegnungen, über mögliche Unsicherheit im Umgang mit Problemen, Krankheit oder Tod. Jede und jeder von ihnen hat eine Ausbildung über acht Monate gemacht. Diese Vorbereitung zum Wegbegleiten ist notwendig. "Man muss zuhören und trösten lernen, Gesprächspartner sein, Fragen ertragen und gemeinsam nach Antworten suchen", sagt Gertrud Kirsch.

"Und man muss sich selbst zurücknehmen." Mehr als eine Stunde in der Woche für einen Schützling können die Helfer selten aufbringen, einige von ihnen haben drei oder mehr Menschen, die sie begleiten. "Aber diese eine Stunde ist schon viel, so empfinden es die Besuchten. "Bedenkt man die Vorfreude und die Gedanken, die anschließend noch nachklingen, ist es fast ein ganzer Tag."