Tag für Tag fährt Thea Dienelt mit ihren 86 Jahren in ihren geliebten kleinen Frisiersalon. Sie hofft noch auf ein Wunder, denn sonst droht ihr die Kündigung des Ladens.

Thea Dienelt (86) hat in ihrem langen Leben viel gearbeitet. Sehr viel. Seit nunmehr 57 Jahren führt sie ihren Friseursalon am Berliner Tor (U-Bahn), Beim Strohhause 18. Spätestens um 9 Uhr steht die alte Dame jeden Morgen in dem urigen 50er-Jahre-Laden und wartet auf Kundschaft. Wie aus dem Ei gepellt sieht sie dabei stets aus: die sorgfältig getönten Haare wohl frisiert, die Kleidung geschmackvoll. "Früher hatte ich zehn Mitarbeiter und täglich bis zu 100 Kunden, manchmal sogar mehr", erinnert sich Thea Dienelt mit Stolz in der Stimme und zeigt Fotos aus vergangenen Tagen. Doch die guten Zeiten sind vorbei. Ihr Terminkalender bleibt jetzt oft leer - nur vor Wochenenden und Feiertagen gibt es ein paar Einträge. "Meine Stammkunden sind mit mir alt geworden", sagt sie und seufzt. Denn während sie gesund und munter ist - nur ihres guten Arztes wegen, wie sie beteuert -, sind viele ihrer früheren Kundinnen im Pflegeheim, krank oder gestorben.

Nach und nach musste Thea Dienelt ihr ganzes Personal entlassen. Waschen, schneiden, färben, putzen, aufräumen - heute macht sie alles allein.

Mit den Kunden bleiben auch die Einnahmen aus. Das ist schlimm. Denn ihre 900-Euro-Rente reicht nicht für die Mieten von Friseursalon und ihrer Wohnung am Hofweg, in der Thea Dienelt seit 60 Jahren lebt. Dort möchte sie bleiben. Doch das ist nicht der einzige Grund, der sie antreibt: "Auch wenn meine Wohnung hübsch eingerichtet ist, möchte ich nicht den ganzen Tag dort sitzen." Sie steht lieber früh auf und macht sich mit Bus und Bahn auf den Weg in ihren Salon. So, wie sie es seit fünfeinhalb Jahrzehnten tut - Tag für Tag. In ihrem ganzen Arbeitsleben war Thea Dienelt nur vier- oder fünfmal im Urlaub, das ist aber schon ein halbes Leben her. Wegen Krankheit hat sie nur gefehlt, wenn es sich nicht vermeiden ließ, und das auch nur bei einem Blinddarmdurchbruch und einem Oberschenkelhalsbruch.

Seit ihr Mann vor fünf Jahren gestorben ist, wird Thea Dienelt von vielen unterstützt. Die Bäckersfrau von nebenan bringt ihr mittags belegte Brötchen in den Salon, die Hofweg-Nachbarn helfen bei Alltagsproblemen, ihre Steuerberaterin berechnet ihr kein Honorar. Nur die Bank, bei der Thea Dienelt seit über 50 Jahren Kundin ist, macht nicht mehr mit - sie hat ihr gerade die Überziehungskredite gestrichen. Seitdem werden ihre Überweisungen nicht mehr ausgeführt, und Thea Dienelt ist dem Vermieter ihres Ladens zwei Monatsmieten schuldig. "Jetzt habe ich jeden Tag Angst vor der Kündigung", sagt sie sorgenvoll.

Sie hängt an dem von ihr 1952 eröffneten Salon, in dem die Zeit stehen geblieben zu sein scheint: an der Wand eingerahmt der Meisterbrief von 1949, in den Frisierkabinen nierenförmige Waschtische und überdimensionale Trockenhauben, mit Nieten beschlagene Kunstledersessel und runde Spiegel, vor dem Fenster frisch gewaschene Spitzengardinen. Ihr ist bewusst, dass sie den Salon alleine nicht mehr lange halten kann. Doch sie hofft, jemanden zu finden, der den Friseurladen übernimmt und das 50er-Jahre-Ambiente erhält. Vielleicht überlässt ihr derjenige noch einen der altmodischen Frisiersessel, damit sie ihre Kunden weiter bedienen kann. Denn die, die sie noch hat, bleiben ihr treu. "Schließlich", sagt Thea Dienelt selbstbewusst, "leiste ich seit fast 60 Jahren erstklassige Arbeit." Friederike Ulrich

Liebe Leser, wer gibt Thea Dienelt noch die Chance, weiterzuarbeiten in ihrem kleinen Laden - ihrem Lebenswerk - Beim Strohhause 18 (U-Bahn Berliner Tor). "Vielleicht verirren sich doch wieder neue Kundinnen zu mir, Tel. 24 74 39", hofft sie. "Mit jedem Euro, den ich einnehme, will ich die Miete abzahlen. Vielleicht findet sich sogar jemand, der den Laden übernimmt und mir einen Platz zum Arbeiten einräumt? Ja, vielleicht geschieht das kleine Wunder", sagt sie leise.