Schulen lehnen 633 Kinder ab, weil sie ausgelastet sind. Jetzt müssen die Kleinen lange Wege in Kauf nehmen.

Hamburg. Bis vor wenigen Tagen hatte sich Familie Rohweder in Marienthal auf den Sommer gefreut: Sohn Felix wird im August eingeschult. Die nahe Schule Bovestraße kennt der Knirps schon ziemlich gut. Sie hatte ihn zum obligatorischen Sprachtest und zum Schnuppertag eingeladen. Felix war Feuer und Flamme, die Eltern Thorsten und Heike Rohweder waren zufrieden beim Blick in die Zukunft. Der Junge würde sich morgens im Trupp mit den Nachbarskindern auf den Weg in die nahe Schule machen und mittags mit von Nachbarn organisierten Fahrdiensten in den Hort gebracht.

Jetzt hat sich der Traum vom unkomplizierten Schulstart erledigt. Felix hat keinen Platz an seiner Wunschschule in der Bovestraße bekommen. Die Schule hat nur 69 Plätze für Erstklässler, allerdings 108 Anmeldungen. Felix wurde an die vom Elternhaus knapp drei Kilometer entfernte Schule Schimmelmannstraße verwiesen.

So wie Felix wird es in diesem Jahr laut Hamburger Schulbehörde 633 Erstklässlern in der Hansestadt ergehen. Allein an der Schule Wesperloh in Osdorf soll es laut Walter Scheuerl von der Initiative "Wir wollen lernen" elf Familien und ihre Erstklässler getroffen haben. Wie Felix in Marienthal müssten die Osdorfer Kinder teils erheblich längere und gefährlichere Schulwege zurücklegen, "weil die Schulbehörde nicht die zusätzlichen Lehrkräfte für einen vierten Klassenzug zur Verfügung stellt", sagt Scheuerl. Er führt das auf "den mit heißer Nadel gestrickten Primarschul-Pakt" zurück.

"Wir verstehen die Aufregung. Jedes Jahr gibt es enttäuschte Eltern", sagt Behördensprecherin Brigitte Köhnlein. Die Schulreform habe das jährlich auftretende Problem durch die Vorgabe von maximal 23 statt 25 Kindern pro Klasse "allenfalls etwas verstärkt". Dass nicht alle Schulwünsche erfüllt werden könnten, liege auf keinen Fall an der Zahl der Lehrkräfte. "Das ist falsch", sagt Brigitte Köhnlein. "Dieses Jahr konnten wir 95 Prozent der Wünsche von 12 784 Kindern erfüllen. Das heißt, nur fünf Prozent der Kinder wurden an eine andere Schule des Anmeldeverbundes weitergeleitet. Die Quote der erfüllten Elternwünsche liege damit fast so hoch wie im Vorjahr. "2009 konnten von 12 450 Schülern 96,6 Prozent an der Wunschschule anfangen."

Wie allen 633 betroffenen Hamburger Familien hilft den Rohweders die Kenntnis der Zahlen wenig. Das Quartett aus Vater, Mutter und den Söhnen Felix und Titus grübelt in diesen Tagen, wie sich künftig der Familiealltag organisieren lässt. "Wir hatten gerade mit beiden Jungs die Kita gewechselt, damit Felix und später auch Titus dort nach der Schule mit Freunden von der Boveschule den Hort besuchen können. Jetzt müssen wir erst mal sehen, wie Felix morgens allein zur Schule Schimmelmannstraße und mittags von dort in den Hort am Husarendenkmal kommt."

Thorsten Rohweder ist als selbstständiger Unternehmensberater deutschlandweit im Einsatz. Heike Rohweder arbeitet Teilzeit als Softwareentwicklerin, kümmert sich häufig alleine um die Kinder. Die Mutter hat schon ausgerechnet, ob sie es schafft, täglich in ihrer Mittagspause zur Schule zu fahren, dort den Sohn abzuholen und zum Hort zu begleiten. Der Vater überlegt, ob er eine Weile aus dem Beruf aussteigen soll. Heike Rohweder würde dann Vollzeit arbeiten. "Ich könnte die Fahrdienste erledigen. Wir würden eine Weile von unseren Ersparnissen leben." Noch ein Gedanke: Ein Taxi könnte den Jungen mittags von der Schule in den Hort fahren. "Das kostet im Monat an die 200 Euro. Das können wir uns nicht leisten." Die Rohweders haben Einspruch gegen den Bescheid eingelegt, Familien im Freundeskreis in ähnlichen Situationen hätten ihre Kinder inzwischen an Privatschulen angemeldet. Das kommt für die Rohweders nicht infrage. Eine Hoffnung hat die Familie seit Donnerstag: Mutter Heike hat erfahren, dass sich die Leiter der Schulen Bovestraße und Schimmelmannstraße mit der Schulbehörde zusammensetzen wollen, um nach Lösungen für die Familien zu suchen, die wie die Rohweders vor einem Problem stehen.