Dagmar Sturm mag ihren Job. Es ist eine Arbeit, die sie täglich fordert, die sie aber manchmal über ihre Kräfte strapaziert.

Hamburg. Seit mehr als 30 Jahren gibt ihr die Arbeit aber auch viel Erfüllung, wie sie sagt. Die 59-Jährige könnte sich nichts anderes vorstellen, als Lehrerin zu sein.Und dennoch will sie heute gemeinsam mit der Lehrer-Gewerkschaft für eine Stunde weniger Arbeit in der Woche streiken - wenn ihr Gewissen es zulässt.

Sie hat sich noch nicht entschieden, ob sie wirklich protestieren geht. Denn eigentlich wollte Dagmar Sturm heute ihre sechste Klasse der Gesamtschule Öjendorf auf den morgigen Crosslauf vorbereiten. "Es fällt mir schwer, die Kinder für meine eigenen Interessen im Stich zu lassen. Aber ich brauche dringend Entlastung von meiner Arbeit. Sie ist einfach unglaublich kräftezehrend", sagt sie.

Dagmar Sturm unterrichtet Deutsch, Biologie, Englisch, Gesellschaft und Religion. In ihrer Klasse sitzen 25 Schüler, 18 davon haben einen Migrationshintergrund. Sie kommen aus Billstedt und Öjendorf. Die Schule gilt als sozialer Brennpunkt. "Etliche kommen aus problembelasteten Elternhäusern. Die Eltern sind arbeitslos, geschieden, manche Kinder werden geschlagen", sagt Dagmar Sturm, die zwei erwachsene Kinder hat.

Diese Schüler seien sehr bedürftig nach Gesprächen, nach Zuwendung und Wärme. "Ich ersetze ihnen manchmal Mutter und Vater."

So ginge viel von ihrer Zeit nicht nur für die Vermittlung von Unterrichtsstoff drauf, "sondern um ein gutes Sozialklima zu erreichen, bin ich viel damit beschäftigt, den Schülern Verhaltensweisen wie Höflichkeit, respektvollen Umgang miteinander beizubringen". Viele Schüler hätten nie gelernt, Konflikte gewaltfrei zu lösen, so müsste manche Pausen-Prügelei in der Schulstunde oder nach Schulschluss besprochen werden.

Dagmar Sturm gibt 24 Unterrichtsstunden die Woche. An drei Tagen unterrichtet sie bis 16 Uhr in der Ganztagsschule. "Danach finden oft noch Eltern- oder Schülergespräche statt. Oder ich bespreche einen schwierigen Fall mit einem Kollegen." Sie ist zudem Personalrätin, Mentorin einer Referendarin und betreut den Leseraum. Abends bereitet sie sich ein bis zwei Stunden lang auf den Unterricht vor oder korrigiert Arbeiten.

"Jeden Sonntag sitze ich von 12 bis 18 Uhr an meinem Schreibtisch. Zum Leid meiner Familie gibt es daran nichts zu rütteln", erzählt sie. Zusammengerechnet komme sie auf eine Wochenarbeitszeit von 46 Stunden - "obwohl ich meine Unterrichtsverpflichtung etwas reduziert habe". Die Probleme der Schüler kann sie zu Hause nicht ausschalten. Sie hilft ihnen bei der Suche nach Praktikums- oder Ausbildungsplätzen. "Ich will, dass sie eine Chance in der Gesellschaft haben, wenn die Eltern sie schon nicht fördern." Manchmal sei sie ausgepowert, aber nie so, dass sie den Job schmeißen möchte. Dagmar Sturm fühlt sich jedoch gekränkt, wenn jemand von faulen Lehrern spricht, die so viel Freizeit und Ferien hätten. "Inzwischen brauche ich die Wochen, um mich zu regenerieren, um mit Schwung und frischer Kraft vor der Klasse zu stehen", sagt Dagmar Sturm.

Zum Glück bekomme sie von ihrem Schulleiter viel Lob für ihr Engagement, auch die Schüler seien dankbar. "Aber eine Stunde Arbeitsentlastung vonseiten der Schulbehörde wäre auch ein Stück Anerkennung für mich."