Frühjahr 1995. Der Abiturjahrgang des Wolfgang-Borchert-Gymnasiums in Halstenbek hatte sich - mal mehr, mal minder erfolgreich - durch die schriftlichen Prüfungen gequält und war nun auf dem Parkplatz vor der Schule versammelt, um Richtung Niederlande aufzubrechen.

Im Center-Parc De Huttenheugte nahe Emmen sollte für eine Woche die so lange herbeigesehnte Reifeprüfung gefeiert werden. Ich war 18 Jahre alt und seit wenigen Monaten stolzer Besitzer eines weißen Ford Fiesta der ersten Baureihe, verziert am und im Heck mit dem Schwarz, Weiß und Blau meines geliebten Fußballvereins, ansonsten jedoch frei von jeglicher Besonderheit.

Da ich wenig Wert darauf legte, an diesem Zustand etwas zu ändern, hatte ich mir - neben diversen Paletten Dosenbier - als Mitfahrerinnen meine damals zwei besten Freundinnen ausgeguckt. Mit ihnen, so mein Kalkül, würde ich nicht, wie auf Auswärtsfahrten mit dem HSV so oft erlebt, bereits in den Harburger Bergen die erste Pinkelpause einlegen und spätestens ab Dammer Berge um die Unversehrtheit der Sitzpolster bangen müssen.

Die ersten zwei Stunden lief alles nach Plan. Der Druck der vorangegangenen Mathematik-Prüfung wich mit jedem Kilometer, den wir uns von Hamburg entfernten, und in freudiger Erwartung des ersten Biers gab ich meinem Fiesta den Gasfuß, was ihn prompt auf 115 km/h beschleunigen ließ. Alles gut, dachte ich.

Als wir irgendwo bei Osnabrück die A 1 in Richtung Westen verließen, war plötzlich nichts mehr gut. Die auf dem Beifahrersitz neben mir platzierte Dame hatte sich der Straßenkarte angenommen und dirigierte mich linker Hand auf die Bundesstraße. Von der Rückbank, wo es sich die zweite Mitreisende bequem gemacht hatte, kam nur ein lautes Kichern und die Anweisung: "Immer geradeaus!" Ohne dass wir es bemerkt hätten, hatte sich die Hinterbänklerin - sonst als die Vernunft in Person bekannt - an den Vorräten zu schaffen gemacht, die im Fußraum lagerten. Zwar erinnerte das in blau-weiße Dosen abgefüllte Gebräu aus dem Bestand eines großen Discounters nur entfernt an Bier, seine Wirkung verfehlte es - bei der wenig Alkohol gewohnten - Abiturientin jedoch nicht. Kurz: Sie war betrunken von zwei Dosen Karlsquell.

Es kam noch besser. Rund 30 Kilometer und eine Pinkelpause später eine Anweisung von rechts, die das ständige "Immer geradeaus" von hinten verstummen ließ. "Äh", hieß es vom Beifahrersitz, "könntest du bitte wenden? Wir hätten von der Autobahnabfahrt rechts fahren müssen. Ich habe die Karte falsch herum gehalten!" Ich hätte fast ins Lenkrad gebissen vor Lachen. 13 Jahre Schule, ein Abitur mit Einserschnitt, und dann 30 Kilometer auf einer Bundesstraße mit auf den Kopf gedrehter Straßenkarte. Und das nüchtern! Den Rest der Fahrt war der Fiesta ein Tollhaus.

Zu den Mitfahrerinnen von damals habe ich übrigens noch immer guten Kontakt. Diejenige, die die Karte lesen musste, ist heute noch eine meiner engsten Freundinnen. Sie findet ihren Weg durchs Leben auch ohne Karte. Was für ein Glück!

An dieser Stelle erinnern sich Abendblatt-Redakteure regelmäßig an beeindruckende Erlebnisse in ihrer Schulzeit.

Björn Jensen, Sportressort, besuchte von 1986 bis 1995 das Wolfgang-Borchert-Gymnasium in Halstenbek.