Unser Deutschlehrer war das, was ältere Lehrer unseres Gymnasiums fast ohne Unterton einen “jungen Kollegen“ nannten.

Frisch aus der Ausbildung, frisch verbeamtet und ganz frisch in Eigenverantwortung losgelassen auf 17 Jungs, die - 1969 noch im Klassenverbund einer renitenten Obersekunda zusammengeschweißt - schon ganz anderes überlebt hatten. Damals verzweigten sich die fortschreitenden Lernwege mehrfach nach naturwissenschaftlichen oder sprachlichen Interessen. Wir waren die naturwissenschaftliche Lateinklasse, uns waren im Verlauf der lerntechnischen Verzweigungen auf seltsame Art sämtliche Mädels abhanden gekommen (die fast alle französisch wählten). So konnten wir uns ohne große Ablenkung der Hauptherausforderung des Schulalltags widmen: den Lehrern.

Unser Deutschlehrer hatte rasch festgestellt, dass Laissez-faire nicht viel bringt, und wechselte schnell in einen "Null Toleranz"-Stil: keine Kompromisse. Eine reizvolle Aufgabe für unsere 11c.

Eines Tages hatte er bei uns die zweite Stunde einer Englischarbeit zu beaufsichtigen. Er nahm das sehr genau und hatte deshalb auch alle Hände voll zu tun. Wir redeten ungehörig oft miteinander (streng verboten). Wir mussten in Drei- und Vierergruppen den Raum Richtung Toilette verlassen (eigentlich nicht erlaubt, aber kaum zu unterbinden). Wir sahen in Lehrbüchern nach (verboten, denn es kam ja drauf an, was schon in den Köpfen war). Der gute Mann tat, was er tun musste: Er notierte Abwesenheiten im Klassenbuch. Trug dort akkurat so viele strenge Verweise ein, dass der Platz nicht mehr reichte. Drohte mit Anzeigen beim Direktor. Aber er wunderte sich nicht, dass wir weit vor Ende der Stunde kurz nacheinander alle Klassenarbeitshefte abgaben und maulten, diese Arbeit sei nun wirklich zu leicht gewesen. Erleichtert, so viel erzieherische Schwerstarbeit korrekt absolviert zu haben, trug er den Heftstapel hinauf ins Lehrerzimmer, um dort festzustellen: Die aparte Englischlehrerin, der er so zuvorkommend die Aufsichtsstunde abgenommen hatte, fehlte an diesem Tag leider wegen Krankheit. Die blitzartig in Szene gesetzte Aktion "Klassenarbeit" war Schulgespräch, und unser Klassenlehrer, trotz junger Jahre damals schon ein älterer Kollege, fasste das Lernergebnis des Tages in der dritten Stunde augenzwinkernd so zusammen: "Der junge Kollege muss noch viel lernen.

An dieser Stelle erinnern sich Abendblatt-Redakteure regelmäßig an beeindruckende Erlebnisse in ihrer Schulzeit.

Hans-Juergen Fink, Ressort-leiter Kultur & Medien, besuchte von 1963 bis 1971 das Leibniz-Gymnasium in Wiesbaden.