Der Beutewert des Metalls beträgt wenige Hundert Euro. Mit einer Metallsäge zerschnitten die Täter den linken Unterschenkel der Eurydike.

Hamburg. Fast 50 Jahre lang standen sie auf den Wiesen am westlichen Alsterufer: Orpheus, der sagenhafte Sänger, und Eurydike, sein Weib. Die Götter lauschten, wenn er auf der Leier spielte, selbst wildeste Tiere seien unter seinem Gesang zahm geworden, so eine griechische Sage. Doch gegen den Zerstörungsdrang von Metalldieben war Orpheus machtlos. In einer mondhellen Nacht Anfang letzter Woche setzten die Täter eine Metallsäge an die Bronzeplastik der Künstlerin Ursula Querner an und zerschnitten den linken Unterschenkel der Eurydike wenige Zentimeter oberhalb ihres ausgehärteten Fußes. Das rechte Bein brachen sie mit roher Gewalt. Seitdem ist die lebensgroße Bronzefigur verschwunden. Auch Orpheus kam nicht ohne Schaden davon: An seinem Bein sind Sägespuren zu erkennen. Die Täter scheinen gestört worden zu sein, bevor sie die gesamte Plastik zerstören konnten.

Eine Spaziergängerin entdeckte den Raub der Eurydike am Mittwochvormittag. Seitdem laufen Ermittlungen wegen Diebstahls. Die Täter konnten bislang nicht ausgemacht werden. Auch wie sie die mehr als 100 Kilogramm schwere Bronzeskulptur wegbrachten, ist unbekannt.

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Den reinen Wert der Bronzelegierung hatten die Diebe wohl im Kopf, als sie die Säge ansetzten. Dabei ist der Materialwert am Schwarzmarkt vergleichsweise gering, vermutlich wenige Hundert Euro, der künstlerische Schaden ist dagegen umso immenser, möglicherweise nicht zu ersetzen. Denn im Gegensatz zu Regenrohren oder Kupferleitungen ist das Kunstwerk nicht in Kilos aufzuwiegen. Lebt der Künstler noch, darf sein Werk laut Urheberrecht überhaupt nachgegossen werden? Existiert die Gussform noch?

Diese Fragen machen den Fall noch schwieriger, als er bereits ist. Zudem ist der Ersatz einer solchen Plastik kostspielig - angesichts der klammen Haushalte von Bezirken und Kulturbehörde die größte Hürde. Der Bezirk Eimsbüttel, zuständig für "Orpheus und Eurydike", hat Strafantrag gegen unbekannt gestellt. Ansonsten zeigt man sich machtlos. "Wir hoffen, das bleibt ein einmaliger Fall", sagt Sprecherin Aileen Röpcke. Aus den Wallanlagen waren nach der Internationalen Gartenbauausstellung 1963 insgesamt 15 Skulpturen in den Alsterpark gewandert.

Auch wenn es hamburgweit bereits mehrere Beispiele für ähnlichen Kunstdiebstahl gibt - im immer größer werdenden kriminellen Milieu der Metalldiebe stellen sie, zum Glück, noch eine Minderheit dar. Im Öjendorfer Park verschwand eine Wal-Skulptur, am Pinguinbrunnen im Stadtpark ein ganzer Vogel, im Schulgarten an der Außenmühle in Harburg ein Bronzebär. Hart traf es den Friedhof Ohlsdorf, aus dem allein im ersten Halbjahr drei Bronzeskulpturen verschwanden: Alle Grabkunstwerke sind Unikate, von denen es weder Kopie noch Abguss gibt. Sie scheinen unwiederbringlich verloren.

Bezirke und Kulturbehörde verweisen auf die Polizei, wenn es darum geht, Kunst im öffentlichen Raum zu schützen. Die verweist auf ihre Streifen. Gemeinsame Konzepte gibt es keine. Aber einige Ideen: Peter Hess, Initiator des Projekts "Stolpersteine in Hamburg" und einer der Ersten, die Eurydikes Diebstahl bemerkten, kann sich Patenschaften vorstellen: Unternehmen übernehmen die Verantwortung für ein bestimmtes Kunstwerk. Ausgeschlossen werden kann der Diebstahl dadurch nicht, das weiß er auch. Kunst im öffentlichen Raum kann nicht versichert werden, sagt der Kulturmanager Claus Friede. "Wichtig sind gute Nachbarn, die die Augen offen halten." Im Fall der Eurydike plädiert er dafür, die Beinstümpfe als Mahnmal vorerst stehen zu lassen. "Wird die Skulptur gleich ersetzt, bleibt die Tat unbemerkt."

Einen anderen Weg ging der Kulturverein Rahlstedt, nachdem die Bronzeskulptur Eva vor dem Ortsamt vor einem Jahr auf ähnliche Weise verschwand. Der Verein sammelte 30 000 Euro, Künstler Bernd Stöcker goss eine neue Eva. Die bekommt stahlverstärkte Beine und einen besonderen Sockel, so Vereinschefin Heide-Marie Seubert. Am 6. November wird sie eingeweiht, an einem neuen Standort, "der einsichtiger und heller ist", sagt Seubert. Soll heißen: wo ein Diebstahlsversuch schneller entdeckt werden kann.