Täter schmieren ätzende Flusssäure auf Fenster und Metallplatten. Bereits 18 Fälle. Die Polizei geht von einer Serie aus

St. Pauli. Die wässrige Lösung ist nicht nur stark ätzend, sie ist auch giftig, was sie zu einer besonders gefährlichen Säure macht: Flusssäure wird industriell unter großen Sicherheitsvorkehrungen benutzt, um Glas und Metalle zu ätzen. In Hamburg verteilen Sprayer die Flüssigkeit auf Glasfenstern und Metallplatten, um bleibende Graffiti zu erzeugen. Dass sie dabei Menschen in Gefahr bringen, die sich bei Berührung mit der farblosen Substanz oder beim Einatmen schwer verletzen können, nehmen die Täter in Kauf. Die ersten Opfer hat es bereits gegeben.

Mindestens fünf Menschen sind in den vergangenen Wochen in Hamburg durch Flusssäure zu Schaden gekommen. Vorsorglich ins Krankenhaus kamen am gestrigen Donnerstagmorgen drei Sicherheitsleute der Deutschen Bahn und ein Bundespolizist, nachdem sie ein Säure-Graffito am Bahnhof Reeperbahn entdeckt hatten. „Sie klagten über Übelkeit, weil sie womöglich Gase eingeatmet hatten“, sagte der Sprecher der Bundespolizei, Rüdiger Carstens. Bereits vor zwei Wochen war ein Sicherheitsmann verletzt worden, nachdem er sich bei einer Kontrolle an einen Handlauf gelehnt hatte, der mit der Säure beschmiert worden war.

Der gestrige Fall ist bereits der 18.„Säureanschlag“, den die Bundes- oder Landespolizeien zumeist in Bahnen und in Bahnhöfen registrierten. Längst gehen die Ermittler von einer Serie aus. Immer wieder stoßen die Beamten auf den gleichen mit Säure eingeätzten „Tag“, also die sogenannte Unterschrift der Graffiti-Sprayer. Nicht alle bislang bekannten Flusssäure-Schmierereien folgen demselben Muster, die Mehrzahl aber eben schon – und dafür könnte ein Einzeltäter verantwortlich sein.

Insbesondere entlang der S-Bahn-Strecke Altona–Wedel sollen viele der Säure-Tags entdeckt worden sein. Aber auch die Hochbahn beklagte bereits Fälle, unter anderem an den Bahnhöfen Niendorf und Rödingsmarkt. Während der in solchen Fällen alarmierte Umweltdienst der Feuerwehr am Donnerstag am Bahnhof Reeperbahn am Seitenblech der Rolltreppe des Aufgangs zum Nobistor noch frische Säure feststellte, waren die Spuren an der Scheibe einer nahen Telefonzelle bereits getrocknet. Ob beide Taten in Verbindung stehen, ist noch unklar.

Grundsätzlich sei das Phänomen kein neues und aus allen Großstädten bekannt, heißt es. Auffällig sei allerdings die Häufung der Taten in den vergangenen Wochen, auch wenn unter den zuletzt entdeckten „Tags“ viele Altfälle sein sollen. Die Täter füllen die Säure in nachfüllbaren Filzstiften ab und schmieren sie wie Farbe an Glasflächen, Geld- und Fahrkartenautomaten. Dort frisst sich die Säure in die Oberfläche und hinterlässt eine sichtbare, auf Glas etwas milchige Struktur. In der Graffiti-Szene wird das Zerkratzen von Scheiben als Etching bezeichnet. Flusssäure steht etwa Salz- und Schwefelsäure in nichts nach. Im Gegenteil: Da Flusssäure giftig ist, kommt es bei Berührung nicht nur zur Verätzung der Haut. Das Gift dringt auch in den Blutkreislauf ein und kann im Körper, je nach Vergiftungsgrad, schwere Schäden verursachen, in hoher Konzentration sogar tödlich sein. Problematisch ist, dass Fahrgäste, die mit der Säure in Berührung kommen, wahrscheinlich gar nicht realisieren, wie gefährlich die Flüssigkeit ist. „Betroffene Hautflächen sollten unmittelbar mit Wasser abgespült sowie ein Arzt aufgesucht werden“, sagte Feuerwehrsprecher Hendrik Frese.

Bislang wurden alle Säure-Graffiti rechtzeitig entdeckt, Reisende wurden nicht verletzt. Die Bundespolizei ist mit Sonderstreifen im Einsatz.