Prozessauftakt: Wer hat im Jugendgefängnis Angelo O. gequält? Angeklagt ist auch einer der „20-Cent-Schläger“.

Neustadt. Etwas stimmt nicht mit Berhan I. Der junge Mann hat vor fünf Jahren einen Mann wegen 20 Cent totgeprügelt, er hat seiner Freundin die Knochen gebrochen, und er soll im Gefängnis einen Mithäftling aufs Übelste drangsaliert haben, deshalb steht er jetzt erneut vor Gericht. Folgt man allerdings den Worten eines Hamburger Strafverteidigers ist der 21-Jährige auf einem guten Weg. Berhan I. absolviert gerade ein Praktikum in seinem Büro. Dort lernt er, die Post zu sortieren und Rechnungen zu erstellen. „Pünktlich“ sei der Berhan und „ordentlich“, schwärmt der Anwalt. Ob das plötzliche Wohlverhalten den in Hamburg nur geduldeten Intensivtäter vor der drohenden Abschiebung bewahren kann?

Berhan I., zu fast vier Jahren Haft verurteilt, wurde erst im Juni 2014 aus der Jugendstrafanstalt Hahnöfersand entlassen. Seit Montag steht er mit sechs anderen ehemaligen Häftlingen vor dem Landgericht, alle sind sehr jung, alle tragen die Haare hinten raspelkurz. Sie sollen Angelo O., der wie sie auf Station 4.3. des Jugendknasts untergebracht war, genötigt, bestohlen, beraubt, misshandelt und schwer verletzt haben. Ihr Opfer muss durch die Hölle gegangen sein. Zwei der Angeklagten sollen ihm mit einer Rasierklinge ein 24 Zentimeter großes V in den Rücken geritzt haben – V für V-Mann. Sie hielten ihn offenbar für einen Polizei-Spitzel.

Angelo O. hatte nur wenige Wochen in Hahnöfersand abzusitzen. Im April 2013 war er kaum dort, da ging es schon los: Er solle von seiner Freundin ein Handy und 25 „Hasch-Kugeln“ in die Anstalt schmuggeln lassen, ansonsten werde man ihn „an die Wand klatschen“. Die Staatsanwaltschaft legt allein Berhan I. fünf Taten zur Last. So soll er von Angelo O. Tabak gefordert haben mit den Worten „Ich habe damals für 20 Cent einen umgebracht, warum sollte ich das nicht für Tabak machen.“ Nachdem er ihn laut Anklage mit dem Tod bedroht haben soll, ließ sich das Opfer aus Angst in seiner Zelle einsperren. An 28. April verloren die Täter offenbar völlig die Kontrolle. Zunächst, so die Anklage, sollen Cumali D., 23, und Yusuf A., 20, Angelo O. in dessen Zelle mit einer Suppenkelle bewusstlos geschlagen und ihn dann verstümmelt haben. Der 23-Jährige erlitt unter anderem eine schwere Gehirnerschütterung und eine Milzblutung.

Die meisten Angeklagten befinden sich wieder auf freiem Fuß, auch Berhan I. Der Mann, der ausgerechnet bei einem Rechtsanwalt ein Praktikum absolviert, benötigte in seiner Jugend selbst mehrfach anwaltlichen Beistand. Gefährliche Körperverletzung, Bedrohung, Nötigung, Raub – die Fälle waren so schwerwiegend und zahlreich, dass die Polizei den Jungen aus Wilhelmsburg als Intensivstraftäter führte. In der Nacht des 12. Juni 2009, Berhan war gerade 16 Jahre alt, begegnete er mit seinem Freund Onur K., 16, in einem Fußgängertunnel am Bahnhof Harburg dem Dachdecker Thomas M. Der 44-Jährige aus Winsen wollte an jenem Abend angetrunken von einer Party nach Hause gehen. 20 Cent wollten die Jugendlichen von ihm haben; als Thomas M. sich weigerte, schlugen und traten sie auf ihn ein. Drei Wochen später erlag er seinen schweren Verletzungen.

Berhan kam in U-Haft, musste aber Ende Mai 2010 wegen einer Justizpanne entlassen werden. Wenige Wochen später brach er seiner Freundin, damals 18, das Wadenbein, weil sie nicht als Prostituierte für ihn arbeiten wollte. Nach Abendblatt-Informationen erwartet die junge Frau ein Kind von ihm. Zu den Vorwürfen will BerhanI. vorerst schweigen, er hat ohnehin keine allzu schwere Strafe zu fürchten. Die Richterin ließ durchblicken, dass zwei der Angeklagten mit einer Geldstrafe davonkommen könnten und bei Berhan I. „Erziehungsmaßregel und Zuchtmittel noch möglich sein könnten“. Ein Angeklagter, der Angelo O. bedroht haben soll, legte am Montag ein bestenfalls halbherziges Geständnis ab. Am Donnerstag soll der Prozess mit der Vernehmung von Angelo O. fortgesetzt werden.

Aus Angst würden andere Zeugen schweigen, sagt die Nebenklägerin

Ob der 23-Jährige als Zeuge erscheint, ist aber ungewiss. Im Februar 2014, als die Staatsanwaltschaft gegen die jetzt Angeklagten ermittelte, wurde er überfallen, dabei sei ihm bedeutet worden, er soll „aufpassen, was er sagt“. Die Polizei nahm den eingeschüchterten Mann zunächst ins Zeugenschutzprogramm, doch weil sich Angelo O. nicht an die Kontaktsperre halten mochte, verzichtete er schnell wieder auf den Schutz. Danach tauchte er aus Angst vor seinen Peinigern unter. „Sein Anliegen ist es, dass die Strukturen in Hahnöfersand aufgedeckt und verändert werden. Er war nicht der Einzige, der unter den länger dort inhaftierten Gefangenen zu leiden hatte. Doch aus Angst schweigen die meisten Opfer“, sagt Rechtsanwältin Karin Prasetyo, die Angelo O. in der Nebenklage vertritt.

Es handele sich um einen „erschütternden Fall“, sagt Thomas Baehr, Sprecher der Justizbehörde. „Wir haben sofort reagiert, indem wir den Mann nach dem Angriff in ein Gefängnis außerhalb von Hamburg verlegt haben. Zudem hat die Anstalt nachjustiert, so werden Besucher jetzt genauer auf Schmuggelware untersucht und bestimmte Räumlichkeiten besser überwacht.“