Zielfahnder suchen nach Frank Wittkopf, der eine Frau in ihrer Alsterdorfer Wohnung überfiel. Er hat eine lange kriminelle Vergangenheit.

Alsterdorf. Freundlich sieht er aus, der Mann auf den Fotos, aufgenommen im Sommer in Bremen. Freundlich, zugewandt, beredt und außerordentlich sympathisch - das sind die Attribute, die die Fahnder im Gespräch mit ehemaligen Bekannten des Mannes immer wieder gehört haben. Frank-Christian Wittkopf war - und ist es wohl mancherorts noch immer - allseits beliebt. Menschen, die ihn kennen oder zu kennen glaubten, fällt es schwer, sich vorzustellen, zu welchen Taten er fähig ist: Selbst nachdem er eine 58-jährige Frau in ihrer Wohnung in Alsterdorf gefesselt, vergewaltigt und beraubt haben soll und die Polizei eine Öffentlichkeitsfahndung herausgegeben hatte, schwärmten Anrufer gegenüber der Polizei davon, welch famoser Mensch der Frank sei und dass es schlechterdings unmöglich erscheine, dass er derart verwerfliche Taten begangen habe. Und doch zeigt die Tat in Alsterdorf offenbar ein realistischeres Bild vom wahren Wesen des Gesuchten als die Erinnerung der Ex-Bekannten.

Seit vier Monaten durchleuchten Zielfahnder der Hamburger Kripo das Leben des 46-Jährigen. Sie zeichnen das Bild eines eiskalt berechnenden Serientäters, der Geschäfte überfällt und vor allem davon lebt, Frauen zu betrügen, sich ihre Zuneigung zu erschleichen und sie dann um Geld und Wertgegenstände zu bringen.

Frank Wittkopf, der bis zu der Tat im September am Mühlenkamp in Winterhude die Obdachlosenzeitung "Hinz&Kunzt" verkaufte, ist ein Mann mit zwei Lebensgeschichten: eine ist die, die er den Frauen auftischt, nachdem er sie - meist via Chatbörsen im Internet - kennenlernt. Die andere und wahre ist die eines Eigenbrötlers, der weder Freunde noch Familie hat, der ohne Konto und Bindungen durch die Lande zieht, Straftaten begeht und versucht, den Anschein eines Gutmenschen zu wahren. Polizeipsychologen haben das Wesen des Frank-Christian Wittkopf durchleuchtet, Ermittler haben Dutzende Kontaktpersonen des 1,70 Meter großen Serientäters mit der auffälligen Lücke zwischen den Schneidezähnen befragt.

Es war ein erschreckender Blick hinter die heile Fassade. Einer, der aber auch ein großes Talent offenbarte: Wittkopf versteht es blendend, Menschen zu manipulieren, so sagen die Ermittler. Kühl kalkulierend gaukelt er ihnen echtes Interesse vor, gibt sich betont höflich und zuvorkommend. Gezielt suche Wittkopf im Internet Frauen, die nach einem Schicksalsschlag eine starke Schulter zum Anlehnen suchten und ein ausgeprägtes soziales Bewusstsein hätten. Ihnen tischt, so stellten die Zielfahnder fest, der mutmaßliche Vergewaltiger dann mitleiderregende Geschichten auf: wie er in jungen Jahren Theologie studierte, wie er bei einem Autounfall seine Frau und sein Kind verlor, wie er als deutscher Soldat in Srebrenica Massengräber entdeckte. Wie er sich in der Sterbebegleitung engagierte und sozial Schwache betreute. Auch sein Engagement bei "Hinz&Kunzt" erwähnt Wittkopf gern. Allerdings ist er in seinen Erzählungen der große Zampano, der in der Redaktion die Fäden zusammenhält. Tatsächlich war er nie mehr als ein Straßenverkäufer - was allerdings ein ehrbarer Job ist, den Wittkopf mit großem Einsatz ausübte, bis er zum Vergewaltiger wurde.

Eine Bekannte, die von der Polizei vernommen wurde, beschrieb ihn als ein Typ wie "Dr. Jekyll & Mr. Hyde". Einerseits höflich, andererseits eiskalt. Meist verschwindet er wenige Wochen oder Monate nach Beginn einer Beziehung spurlos. Mit sich nimmt er Geld, Schmuck und anderes, das er schnell zu Barem machen kann.

Nicht selten zog die Masche, berichten die Zielfahnder, viele Frauen hätten schon durch ihn gelitten. "Wenn sie ihm keinen Vorteil mehr bringen, sind sie für ihn nichts mehr wert", sagt Uwe Volke, Leiter der Dienststelle Zielfahndung im Hamburger LKA. Sechs seiner Mitarbeiter befassen sich seit der Tat ausschließlich mit dem Fall Wittkopf. Über die komplette Stirnseite ihres Besprechungsraums hängt das Personagramm - ein riesiges Schaubild, auf dem skizzenhaft die Stationen im Leben von Frank-Christian Wittkopf aufgeführt sind. Vom Kindesalter bis zum Spätsommer 2012. Denn die Ermittler geben freimütig zu, dass sie derzeit kaum Anhaltspunkte zum Aufenthaltsort des Gesuchten haben.

Geboren in Regensburg wuchs Wittkopf in schwierigen Verhältnissen auf. Seine Kindheit verbrachte er bei wechselnden Bezugspersonen und in Heimen in Bayern. Früh brach er alle Kontakte zu den Erziehungsberechtigten ab, auch zu seinen beiden Schwestern hat er seit Jahren keinen Bezug. Immer wieder unterbrachen Gefängnisaufenthalte seinen Werdegang. Bei einem begann der Mittelschüler ein Theologiestudium, das er jedoch schnell abbrach. Nach einer Haftstrafe in Hamburg war er vor einigen Jahren einfach hiergeblieben. "Er ist ein Mensch, der keine langfristigen sozialen Kontakte braucht, der gut allein sein kann", sagt Zielfahnder Axel Drews. Er müsse keine Brücken hinter sich abreißen, weil er nie welche aufbaue. Sicher ist, dass er sich gekonnt im Internet bewegt. Drews' Kollege Stefan Bauch: "Wir wissen außerdem, dass er regelmäßig Marihuana raucht."

Zuletzt gab es eine Spur nach Bremen, wo ihn Kontrolleure zweimal beim Schwarzfahren erwischt hatten. Ihnen zeigte der 46-Jährige freimütig seinen Personalausweis. Weil aber erst nach dem dritten Schwarzfahren eine Strafanzeige geschrieben wird, die Polizei also auch erst dann Kenntnis von den Vorgängen bekommt, tauchte der zur Fahndung ausgeschriebene Straftäter über diesen Weg nicht auf dem Radar der Ermittler auf.

Noch einen Fehler machte der Gesuchte: Als er für drei Nächte in das Jakobushaus, eine Übernachtungsstätte für Obdachlose zog, ließ er sich fotografieren. Ermittler Drews: "Das ging vermutlich so schnell, dass er gar nicht darüber nachgedacht hat." Die Fotos zeigen ihn im Sommer, frisch rasiert in einem College-T-Shirt und grüner Cargo-Hose. Leider führten auch die aktuellen Bilder bislang nicht zur Festnahme Wittkopfs, von dem niemand weiß, wie viele Frauen er bislang betrogen, sexuell und finanziell ausgenutzt hat.

Die Ermittler im LKA vermuten, dass der Gesuchte sich zurzeit einmal mehr bei einer Frau aufhält, ihr Zärtlichkeit, Verlässlichkeit und Treue vorspielt, so tut, als ginge er gern spazieren, als koche und backe er mit Leidenschaft für die neue Liebe. "Er könnte in der Lage sein, einem Opfer weiszumachen, dass nicht er der Bösewicht ist, sondern wir Polizisten", sagt Chef-Zielfahnder Volke. "Er schafft es, dass Menschen ihm fast alles glauben."

"Fallen Sie nicht auf ihn herein!" Dieser Appell der Beamten richtet sich an jene Personen, die zu wissen glauben, wo sich Frank Wittkopf aufhält oder die sich erinnern können, mit ihm Kontakt gehabt zu haben. "Jedes Detail ist wichtig", sagt Axel Drews. "Jede Spur wird verfolgt, bis sie kalt ist, in eine neue Spur mündet oder zur Festnahme führt." Der hohe kriminalistische Aufwand hat dabei auch präventiven Charakter. Volke: "Der Gesuchte hat eine steile kriminelle Karriere hingelegt, deren Ende noch nicht erreicht ist." Ob es erneut zu einer Vergewaltigung kommt, wie Wittkopf sie im September beging, lasse sich nicht voraussagen, so der Erste Kriminalhauptkommissar. Die Tat war eher untypisch für ihn. Doch auch mit der Art und Weise, wie er sich sonst durchs Leben schlägt, hat er vielerorts verbrannte Erde hinterlassen. Ermittler Bauch: "Er hat kein Gewissen. Dass die Frauen, die er sitzen lässt, ihm vertraut haben, dass er ihnen einen neuerlichen Schicksalsschlag verpasst, interessiert ihn nicht." Opfer sucht sich Wittkopf meist auf kostenlosen Flirt-Plattformen wie "Fischkopf.de".

Frauen, die er anschreibt, sind zwischen 30 und 60 Jahre alt. Ist ein Mail-Kontakt erfolgt, bittet er schnell um ein persönliches Treffen. Fast immer stellt er sich mit seinem richtigen Vornamen vor. Aliasnamen generiert er aus seinem Familienumfeld: Sein Geburtsname ist Sedlaczek, der Geburtsname der Mutter Weber. Den Namen Wittkopf verdankt der Gesuchte einer Frau, die er vor einigen Jahren heiratete - während er im Knast saß. Die Ehe zerbrach erwartbar schnell, weil der scheinbar romantische Lover sich auch hier als Schwindler entpuppte. Und als Serienräuber: Er überfiel unter anderem Filialen des Dänischen Bettenlagers. Dabei trug er eine Schusswaffe, die wohl noch heute in seinem Besitz ist.

Der Gesuchte, so vermuten die Fahnder, sitzt derzeit warm und trocken in einem Liebesnest, vielleicht auch im benachbarten Ausland. Doch so sagt Volke: "Unser Netzwerk ist auch dort dicht." Letztlich gelte auch hier das Zielfahnder-Motto: "Irgendwann kriegen wir sie alle." Und bis zur Verjährung dauert es mindestens 20 Jahre. Zwei Tage, auf die die Fahnder Hoffnungen setzten, sind indes gerade verstrichen: Weihnachten und Neujahr. "Irgendwo muss Wittkopf die Feiertage verbracht haben", sagt Fahnder Drews. "Irgendwo muss ein Mann wie er erstmals an einem solchen Tag dabei gewesen sein, als eine Familie oder ein Freundeskreis zusammensaß. Und wir wollen wissen, wo."

Hinweise an die Polizei: Tel.: 42 86 56 789.