Möglicherweise stand der mutmaßliche Kindermörder Martin N. bis zu seiner Festnahme in Kontakt zu einem Berliner Pädophilen-Ring.

Hamburg. Der geständige, mutmaßliche Kindermörder Martin N. (40) stand bis zu seiner Festnahme in der vergangenen Woche möglicherweise in Kontakt zu einem Berliner Pädophilen-Ring. Wie der "Stern" berichtet, soll der 40-Jährige zuletzt darauf gewartet haben, dass ihm ein neun Jahre alter Junge aus Berlin zugeführt wird. Martin N. sei in der vergangenen Woche deshalb von der Polizei observiert worden. Als die Beamten durch abgehörte Telefonate über die geplante Zuführung des Kindes erfahren hatte, wurde Martin N. festgenommen. Weder die ermittelnde Soko Dennis noch der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Kai Thomas Breas, wollten sich bisher dazu äußern.

Martin N. hat bislang den Mord an drei Jungen sowie mehr als 40 Missbräuche an Kindern gestanden. Er war am vergangenen Mittwoch vor seiner Wohnung an der Jägerstraße in Hamburg-Wilstorf festgenommen worden. Die Soko Dennis war ihm nach der Aussage eines jungen Mannes auf die Spur gekommen. Dieser war 1995 im Alter von zehn Jahren in der elterlichen Wohnung missbraucht worden. Er erinnerte sich eineinhalb Jahrzehnte nach der Tat daran, dass er zuvor auf einer Ausfahrt in einer Jugendherberge von einem Betreuer über seinen Wohnort ausgefragt worden war.

Außerdem wurde bekannt, dass Martin N. Ende der 1980er-Jahre Bremer Familien mit dem Tod ihrer Kinder gedroht haben soll. Das berichtet der "Weserkurier" aus Bremen. „Ermittlungsdetails geben wir derzeit nicht preis“, sagte ein Sprecher der Soko „Dennis“ am Dienstag dazu.

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Die Festnahme eines der furchterregendsten Serientäter der deutschen Kriminalgeschichte hat eine gewaltige Ermittlungsmaschinerie in Gang gesetzt. Die Ermittler vernehmen Zeugen und mögliche weitere Opfer, sie schicken den genetischen Fingerabdruck des "schwarzen Mannes" an Datenbanken in ganz Europa. Sie werten Festplatten aus, versuchen in schier endlosen Verhören in der Haftanstalt zu ergründen, wo sich Martin N. wann aufhielt. Er hat gestanden, drei Jungen getötet und 40 sexuell missbraucht zu haben. Der furchtbare Verdacht: Es gibt noch viel mehr Opfer.

Die Fahnder der Soko "Dennis" vermuten, dass der 40 Jahre alte Wilstorfer in den zurückliegenden Jahren noch weit mehr Taten begangen hat, als bisher bekannt ist. "Jeder Stein wird umgedreht", sagt ein Fahnder. "Die erste Schockstarre hat sich gelegt. Jetzt melden sich zahlreiche Menschen auch aus dem familiären Umfeld des Tatverdächtigen", sagt Polizeisprecher Jürgen Menzel. Am Ende, so fürchten Ermittler, könnte die Zahl der Opfer auf über 100 steigen.

Seitdem das Bild des Pädagogen, der sich fast 20 Jahre lang an blonden Jungen vergriff, öffentlich bekannt ist, erinnern sich offenbar mehr und mehr Menschen an Begegnungen mit ihm. Einige Dutzend Anrufe verzeichnete die nach einem der Opfer benannte Soko "Dennis" bis Montagnachmittag. Und es steht zu vermuten, dass sich dadurch auch die Zahl der Taten, die Martin N. angelastet werden, erhöht.

"Wir haben alle Hände voll zu tun", sagte Menzel. Ehemalige Opfer meldeten sich mit neuen Details, an die sie sich erinnerten, so der Polizeisprecher. Auch andere Hinweisgeber zu möglicherweise bislang nicht bekannten Taten hätten angerufen - und Bürger, die den Ermittlern gratulieren wollten.

Ob sich auch die Morde an Jonathan C. in Frankreich und Nicky V. in den Niederlanden klären lassen, hängt nun voraussichtlich von Indizien ab. Martin N. leugnet offenbar weiterhin, auch diese Jungen getötet zu haben. Verwertbare DNA-Spuren waren an den Leichen - ebenso wie in sämtlichen anderen Fällen, die N. angelastet werden - nicht zu sichern. Dass dies so ist, erklärt der zuständige Stader Staatsanwalt Kai-Thomas Breas mit dem Stand der Kriminaltechnik zum Zeitpunkt der Taten und der zum Teil langen Zeit, die die Leichen im Freien gelegen hätten. Breas: "Im Fall Dennis K. gibt es DNA-Spuren, aber die Qualität ist so mangelhaft, dass bei einem Abgleich kein genaues Ergebnis herauskommen würde. Sie sind nicht gerichtsverwertbar." Bei den 40 im Raum stehenden Missbrauchstaten hatte man keinerlei Versuche unternommen, DNA-Spuren zu sichern. Anders als bei Mordfällen wurden hier auch keine Kleidungsstücke asserviert.

Nach der Verhaftung von Martin N. am vergangenen Mittwoch hatten die Ermittler die DNA des Kindsmörders gesichert. Diese wird nun europaweit mit Spuren aus ungelösten Missbrauchs- und Mordfällen abgeglichen.

Wie das Abendblatt erfuhr, hatte die Staatsanwaltschaft Hamburg im Jahr 2007 bereits wegen des Besitzes kinderpornografischer Schriften gegen Martin N. ermittelt. Die Ermittler hatten seinerzeit die Wohnung des Pädagogen wegen eines weiteren Verfahrens durchsucht und dabei entsprechende Fotos auf seinem Computer entdeckt. Bei der Durchsuchung war offenbar auch ein Kind aus der von ihm betreuten Wohngruppe anwesend.

In dem ursprünglichen Verfahren war N. wegen versuchter Erpressung angeklagt. Er hatte einem Bekannten gedroht, dessen Kinderpornos den Ermittlungsbehörden zu übergeben, falls er ihm nicht 20 000 Euro zahle. Martin N. erhielt eine Bewährungsstrafe von zehn Monaten.

Das Kinderpornografie-Verfahren stellte die Staatsanwaltschaft im Dezember 2007 ein. Die Tat war nach drei Jahren verjährt. N. hatte in dieser Zeit nicht auf die Dateien zugegriffen. "Mit der Einstellung haben wir aber dem Arbeitgeber eine Mitteilung über das Verfahren gemacht", sagt Oberstaatsanwalt Wilhelm Möllers. Die Ermittler haben dies vor dem Hintergrund getan, dass Martin N. zu dieser Zeit als Betreuer bei der Jugendhilfe angestellt war. Diese entließ N. schließlich im Monat darauf - ungeachtet der Einstellung. 2004 soll N. zwei Jungen in seiner Wohnung über den nackten Bauch gestreichelt haben, um sich zu erregen. Auch in Bremen hatte es schon einmal Ermittlungen wegen Kindesmissbrauchs gegeben. Die dortige Staatsanwaltschaft will sich zu dem Verfahren nicht äußern.

Martin N. sitzt weiter in Untersuchungshaft. Er hat inzwischen einen jungen Stader Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger zugeordnet bekommen. Nach Abendblatt-Informationen legt er bislang jedoch keinen Wert auf rechtlichen Beistand.

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