Der Beamte reagierte am Rande einer Demonstration gegen die NPD laut Richter unverhältnismäßig hart. Er muss 4200 Euro Strafe zahlen.

Blankenese. Am Morgen des 12. Dezember 2009 verlässt der 55-Jährige seine Stadtvilla an der Blankeneser Bahnhofstraße. Er will Brötchen holen. Draußen traut Ingo E. seinen Ohren und Augen nicht: Gerade versucht die Polizei, Demonstranten von einem Infostand der rechtsextremen NPD fernzuhalten. Auf der Straße herrscht Chaos. Und hinter der Hecke, im Garten, sieht er seine Tochter Mira, damals 16 Jahre alt. Zwei Polizisten stürmen auf sie zu, einer zerrt an ihr herum, das Mädchen strauchelt. Als er seiner Tochter zu Hilfe eilt, ringen ihn die Beamten nieder. Drücken ihm die Knie in die Schulter, fesseln seine Hände mit einem Kabelbinder, pressen ihn mit dem Gesicht in die Erde. "Ich zahle Steuern", brüllt Ingo E. Das sei sein Haus, sein Garten, seine Tochter. Es hilft nichts - aus dem unbescholtenen Bürger ist ein gewaltbereiter "Störer" geworden, wie es im Polizei-Jargon heißt.

So verharrt der 55-Jährige minutenlang. Als die Beamten ihn aufstehen lassen, legen sie ihm gleich Handschellen an und schleifen ihn auf sein Grundstück. Ingo E. bleibt auch dann noch in Gewahrsam, als Ruhe eingekehrt ist. Erst als mehrere Demonstranten abtransportiert werden, kommt er frei. Seine Lippe blutet, noch Monate später quälen ihn Schmerzen.

Im Gerichtssaal begegnet Ingo E. dem Mann wieder, der die ruppige Festsetzung angeordnet hatte und sich gestern wegen Körperverletzung im Amt verantworten muss: Jörg D. ist seit 27 Jahren Polizist, ein kräftiger Mann mit Bürstenschnitt und breitem Kreuz. Er grinst, als Nebenkläger Ingo E. berichtet, wie ihn die Polizisten zu Boden rissen, als er seine Tochter beschützen wollte. Laut donnert der 55-Jährige mit der Faust auf ein Pult: "Unterlassen Sie das. Das alles belastet mich." So sehr, dass Ingo E. den Vorfall damals nicht auf sich beruhen lassen konnte: Er zeigte den Polizisten an, ließ sich auf einen Täter-Opfer-Ausgleich ein. Doch Jörg D. lehnte diese Möglichkeit der außergerichtlichen Verständigung ab.

Gestern wird deutlich, warum: Der 44-Jährige fühlt sich im Recht. "Ich würde es jedes Mal genauso wieder machen", sagt der Polizist. An jenem Tag hätten sie das Mädchen, erkenntlich der linken Szene zugehörig, auf das Grundstück verfolgt. Dort habe die "Punkerin" Schmerztabletten und Wasser durch den Zaun an die Demonstranten gereicht. Er habe einem Kollegen helfen wollen, der mit der einen Hand das Mädchen aus dem Garten bugsierte und mit der anderen Hand den Vater wegschieben wollte. Mehrfach habe er den laut schimpfenden Mann aufgefordert, sich zu beruhigen - vergebens. Da habe er ihn mit einem Kollegen zu Boden gedrückt, fixiert, gefesselt. "Warum haben Sie ihn nicht ins Haus geschickt, dann hätte er nicht mehr gestört?", fragt der Richter. Sein Vorgesetzter, sagt Jörg D., habe verfügt, dass erst nach dem Abtransport der linken, auch alle sonstigen "Störer" freigelassen werden.

Das lässt der Richter nicht gelten. "Sie hätten darauf achten müssen, dass die Ingewahrsamnahme nicht länger dauert als nötig". Der Grund für die Festsetzung von Ingo E. sei doch entfallen, nachdem die Polizisten von seiner Tochter abgelassen hätten. Ein Platzverweis hätte es allemal getan, meint er Richter.

Der Verteidiger sieht weder ein "rechtswidriges, noch unverhältnismäßiges Handeln" seines Mandanten. Jörg D. hatte die Aufgabe, Gefahren abzuwehren, genau das habe er getan, als er bei Ingo E. konsequent durchgriff. Das Gericht verurteilt Jörg D. indes wegen Freiheitsberaubung und fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 4200 Euro - die Staatsanwältin hatte sogar 6000 Euro gefordert. Es ist ein Urteil, mit dem Ingo E. leben kann. Die Uneinsichtigkeit des Polizisten finde er aber "einfach nur deprimierend".