Mit der Entführung eines Mannes endet die kriminelle Karriere eines Serienstraftäters. Mehr als die Hälfte seines Lebens hat er hinter Gittern verbracht.

Der hagere Mann mit dem zerfurchten Gesicht wirkt maskenhaft, fast apathisch, als der Richter das Urteil verkündet. Es ist der Moment, in dem Stephan E. erfährt, dass er hinter Gittern sterben könnte.

Fünf Jahre soll der Mann aus dem Trinker- und Drogenmilieu ins Gefängnis, weil er einen 36 Jahre alten Familienvater entführt hat. Für die Zeit danach hat das Gericht am Freitag eine Sicherungsverwahrung angeordnet. Doch "die Zeit danach" könnte eine Utopie bleiben für den schwer kranken Täter: Jeder einzelne Tag in Haft bringt ihm den Tod ein Stück näher. Der 45-Jährige leidet unter Hepatitis C im fortgeschrittenen Stadium - die chronische Leberentzündung verläuft unbehandelt fast immer tödlich. Seine Ärzte würden ihm noch zwei Jahre geben, sagt E. vor Gericht. Doch äußerlich lässt er sich nichts anmerken. Wie es wirklich in ihm aussieht, weiß am ehesten sein Verteidiger Peter Jacobi. Wie ein "Schlag in die Magengrube" sei der Schuldspruch für ihn.

Sein Opfer Andre R. fehlt indes bei der Urteilsverkündung. Der Systemtechniker träumt noch heute manchmal schlecht, die Erinnerungen an die Tat lassen ihn nicht los. Wie der Serienstraftäter ihn im April auf einem Penny-Parkplatz in Dulsberg kidnappt - einfach so. Von einem Moment auf den nächsten war ihm die Kontrolle entglitten, aber eigentlich hatte ihm Stephan E. die Kontrolle entrissen. Geräusche, die ihn an die Tat erinnern, lassen ihn zusammenzucken. In bestimmten Situationen erlebt er die dramatischen Szenen wieder ganz plastisch - als liefe ein Film in seinem Kopf ab.

Im April 2008 will Andre R. auf einem Penny-Parkplatz in Dulsberg seine Einkäufe ins Auto verladen, da taucht plötzlich Stephan E. hinter ihm auf und hält ihm eine Waffe an den Kopf - dass es nur eine Gaspistole ist, ahnt der 36-Jährige nicht. E. fordert ihn dann auf, 1000 Euro von einem Geldautomaten abzuheben. "Wenn du das Geld nicht holst, geht's deiner Familie an den Kragen", droht er. Während der Entführer vor der Bank im Auto wartet, kann Andre R. im Vorraum per Handy die Polizei alarmieren. Als sich Peterwagen nähern, tritt E. das Gaspedal durch, der Beginn einer wilden Verfolgungsjagd durch den Hamburger Osten. Mit Tempo 130 rast Stephan E. über rote Ampeln, ramponiert geparkte Autos, rammt schließlich einen Laternenmast. Zu Fuß flüchtet er in Richtung eines Döner-Imbisses und zielt auf der Straße mit seiner Schreckschusspistole auf zwei Polizisten. Ein Beamter feuert sein ganzes Magazin leer, auch ein Kollege drückt ab. Neunmal schießen sie auf E., der mit Bauch- und Oberschenkelverletzungen zusammenbricht und nur knapp überlebt. Einen Monat liegt er im Koma.

In der Zeit bis zum Prozessbeginn, das stellt auch das Gericht fest, muss sich in E. etwas bewegt haben. Vor Gericht entschuldigt sich Stephan E. gleich zum Auftakt bei seinem Opfer, glaubhaft und aufrichtig, wie die Kammer zu seinen Gunsten befindet. Auch wenn er sich an die Tat überhaupt nicht mehr erinnert, weil er nach seinem Kollaps einen Gedächtnisverlust erlitt. "Warum ich das getan haben soll, kann ich bis heute nicht erklären." Er sei nur froh, "dass nicht mehr passiert ist".

Die Reue des Täters mildert die Haftstrafe, schafft aber nicht die Sicherungsverwahrung aus der Welt. "Wir kommen nicht drumherum", sagt Richter Nix. E. sei eine "dissoziale Persönlichkeit" und habe seit früher Jugend einen "eingeschliffenen Hang" zu schwersten Straftaten. 16 Vorstrafen hat der 45-Jährige kassiert, mehr als die Hälfte seines Lebens im Gefängnis verbracht. Zuletzt saß er sieben Jahre wegen schweren Raubes ein. Bei der spontanen Entführung von Andre R. habe er seinem üblichen Aktionsmuster folgend nach dem Motto gehandelt: "Ich brauche etwas, dann nehme ich es mir einfach." Auch künftig, so das Gericht, werde er gefährlich bleiben. "Gleichwohl ist uns diese Entscheidung nicht leichtgefallen."

Er halte den Schuldspruch zwar für "ausgewogen", werde aber eine Revision prüfen, sagte sein Verteidiger, der eine "vorbehaltliche Anordnung" der Sicherungsverwahrung gefordert hatte. "Die von meinem Mandanten ausgehende Gefährlichkeit kann nur nach Ende der Haft verlässlich festgestellt werden." Sofern es dazu überhaupt kommt.