Mit 16 Jahren floh Shemsi Shala aus dem Kosovo nach Deutschland. Durch harte Arbeit schaffte er es aus einem Containerdorf zum eigenen Salon

Harvestehude. Oft färbt es ab, wenn Menschen eng mit Prominenten zu tun haben. Gerade einer, der sich auf blonde Strähnchen versteht, wird dann auch schon mal selbst zum Star. Shemsi Shala, 37, lächelt. Er ist Frisör, eigentlich sogar Haarkünstler. Seit zehn Jahren frisiert der im Kosovo geborene Familienvater in seinem ovalen Salon im Mittelweg 41c die Häupter Harvestehudes. Geredet werde beim Frisör viel, gesagt dennoch manchmal wenig.

Shala spricht nicht gern über sich. Zum Erzählen seiner Lebensgeschichte muss er animiert werden. Dann berichtet er, wie er als 16-Jähriger aus dem Kosovo nach Deutschland kam. Eine filmreife Flucht. „Bis zu meinem 13. Lebensjahr führten meine vier Geschwister und ich ein normales Leben. Mein Vater war Automechaniker, meine Mutter Hausfrau. Doch dann geriet unser Land in eine politisch sehr schwierige Situation“, sagt Shala und spricht von den Jahren ab 1990, als im damaligen Vielvölkerstaat Jugoslawien die Kriege ausbrachen. Auch in der Teilrepublik, dem Kosovo, wo Shalas Familie lebte. „Alle albanischen Schulen wurden geschlossen. Wir wollten nicht auf serbo-kroatische Schulen verteilt werden, wurden daraufhin von unseren alten Lehrern unterrichtet.“ 70 Schüler in einer Klasse, Shala kam nicht mehr mit. „Der Kriegszustand machte mir sehr viel Angst, ich hatte keine Perspektive mehr in meiner Heimat.“

Er überredete seine Eltern, ihn ziehen zu lassen. Sie gaben ihm seinen Pass und vertrauten ihren Jungen einem Nachbarn an, der wie Millionen anderer Anfang der 1990er-Jahre den Kosovo verließ. „Ich wollte nach Deutschland“, sagte Shala, „denn ich fand die deutsche Nationalmannschaft so sympathisch. Die Fußballprofis hatte ich bei großen Turnieren spielen sehen, außerdem lebten ein Onkel und mein Lieblingscousin schon in Stuttgart.“ Vielleicht sei es gut gewesen, dass er damals noch ein Teenager war, einer, der sich in den Kopf gesetzt hatte, etwas aus seinem Leben zu machen.

Über die Tschechoslowakei führte Shalas Weg mit Bus nach Deutschland, tagelang. „In einer Nacht sollte ein Schleuser uns mit einem Auto irgendwo über die Grenze bringen. Wir liefen los, es war stockdunkel, aber ich weiß noch, dass ich den Himmel über den hohen Bäumen sehen konnte, das hat mich beruhigt.“ In dieser stürmischen Nacht, sei alles schief gelaufen. „Durch das schlechte Wetter funktionierten die Handyverbindungen der Schleuser nicht, also kam das Auto nicht, das uns abholen sollte.“ Die Gruppe harrte im Wald aus. Stundenlang in Matsch und Kälte. Dann Licht, endlich. „Aber das war die Polizei, die den Wald ableuchtete und mit Hunden nach uns suchte.“ Doch niemand fand Shala und dessen Nachbarn mit Familie. Allerdings sei auch kein Schleuser mehr zu sehen gewesen. „Wir kamen zu einem Dorf – das muss schon in Deutschland gewesen sein. Dort stiegen wir, so wie wir waren, also voller Matsch, in einen Bus. Die Leute wussten bestimmt, wo wir herkamen, aber keiner hat etwas zu uns gesagt.“ Am nächsten Bahnhof geht Shala zu einem Taxifahrer, die kleine Gruppe will nach Frankfurt zu Verwandten des Nachbarn. „Wir wollten keinesfalls mit dem Zug fahren – aus Angst, erwischt zu werden. Aber die Taxifahrt hat 700 Mark gekostet“, sagt Shala und lächelt. „Aber wir hatten ja das Geld für den Schleuser gespart, da der ja nicht wiedergekommen war.“

Mit dem Taxi ging es nach Frankfurt, dann weiter nach Dortmund, zu anderen Verwandten. Dann meldet Shala sich in Soest als Asylbewerber. „Damit ich kein Illegaler war und eine Chance hatte, in Deutschland zu bleiben“, sagt er. Er kommt nach Siegen in ein „leider furchtbares Containerdorf“, was ihm noch mehr Antrieb verleiht, Deutsch zu lernen und die Hauptschule zu besuchen. Shala gehörte nicht zu den minderjährigen Flüchtlingen, die durch kriminelle Taten auffielen. „Flüchtlinge brauchen mehr Integrationsunterstützung, die Sprache ist das Wichtigste und sie müssen lernen, wie man sich in diesem Land verhalten muss. Viele kennen Gesetze und Gepflogenheiten nicht“, sagt er. „Ich denke, gerade Sport und die Aussicht auf Arbeit können die Menschen spüren lassen, dass es eine Perspektive für sie gibt.“

Shemsi Shala beginnt eine Ausbildung zum Frisör. „Haare zu schneiden, das fand ich schon immer toll. Mit zwölf Jahren war gewissermaßen mein Cousin mein erstes Opfer, wir fanden den Undercut – oben lange Haare, unten abrasiert – damals schon toll.“ Shala erzählt voller Energie, wie er seinen Weg in Deutschland meisterte. Durch Wochenendarbeit und einen Kellnerjob sparte er Geld für die Miete einer kleinen Wohnung, für den Führerschein und ein eigenes Auto, „einen Opel Corsa“. Er besuchte Seminare, bildet sich weiter, absolvierte nach der Ausbildung abends die Meisterschule. „Ich wusste einfach: Frisör ist mein Traumberuf“, sagt er. 2002 wurde ihm, nach mehreren Abschiebebescheiden, das Bleiberecht zugesprochen. „Das war ein sehr gutes Jahr“, erinnert sich Shala, „denn ich habe auch meine Frau Shqipe kennengelernt.“

Gemeinsam gehen die Porzellanverkäuferin und der Frisör mit Meisterbrief nach Hamburg, wo Shala eigentlich Modedesign studieren wollte. Doch es kommt anders: Sein Schulabschluss reicht nicht aus, deshalb schneidet Shala weiter Haare. Erst bei einem Frisör am Mittelweg, dann bei Willi Decker in Eppendorf. „Aber ich wollte unbedingt bei Marlies Möller arbeiten, ich fand sie so genial“, sagt Shala. Doch seine Bewerbungen scheitern, dreimal.

„Ich hatte in den vergangenen Jahren so viel gelernt und wusste, dass ich sehr genau Haare schneiden und mit Farbe umgehen kann, deshalb machte ich mich selbstständig.“ Bei einem Spaziergang entdecken die Shalas den leer stehenden Laden am Mittelweg. 2005 kam der erste Sohn des Paares, Arti, auf die Welt, zwei Jahre später Arian. Aus eigener Kraft stemmte Shala den Betrieb. „Seit ich 17 Jahre alt, bin arbeite ich bis zu 60 Stunden pro Woche.“ Seine Frau hat mittlerweile ihre Frisörausbildung gemacht. Sie unterstützt ihn, wann immer es die Kinder zulassen. Shalas Arbeit schätzen auch viele HSV-Spieler und deren Frauen. „Mit den Sportlern habe ich einen Deal: Wenn sie ein Kopfballtor schießen, dann müssen sie mir ihr Trikot schenken, denn dann habe ich auch einen Beitrag geleistet. Da können ja Millimeter entscheidend sein!“ Heiko Westermanns Jersey liegt schon im Salon. Weitere werden folgen, da ist sich der HSV-Haarkünstler sicher.