Er war Geschäftsführer von Toll Collect, doch dann wollte er sich noch etwas anderes aufbauen. Jetzt baut der promovierte Manager Rainer Scholz wein an - der Erfolg gibt ihm Recht.

Hamburg. Ein Spaziergang in Baden-Württemberg und ein Kofferradio waren es, die sein Leben auf den Kopf stellten. Vorher: Dr. Rainer Scholz, ein wichtiger Manager in der Automobilbranche. Als Geschäftsführer der Toll Collect GmbH hatte er die Lkw-Maut in Deutschland eingeführt und sich für die Telekom um Verkehrsinformationen gekümmert. Danach: Dr. Rainer Scholz, Spitzenwinzer, der preisgekrönte Weine abfüllt und verschmähten Rebsorten ein neues Image verleiht. Was war geschehen?

Der Beruf hatte den 53-Jährigen, der in Reinbek aufgewachsen ist und an der Uni Hamburg promovierte, nach Stuttgart verschlagen. Es war Sommer, alle machten Köpper im Freibad, er machte Überstunden. Scholz war gestresst und fand die Stadt hässlich. Also fuhr er aufs Land, in das 2383-Seelen-Dorf Strümpfelbach, um dort einen Spaziergang zu unternehmen. Dabei ging er an einem Weinberg vorbei, wo ein Winzer gerade die Reben beschnitt. Auf dem Boden stand ein Radio, aus dem leise Musik erklang. „Diese Szene fand ich so beruhigend, dass ich dachte: Genau das will ich auch machen.“

Seine Frau und die beiden Söhne verstanden erst nicht, was er vorhatte

Ohne groß zu überlegen, kauft Scholz sich eine Parzelle, auf der Regent wächst. Nun gibt es Rebsorten, von denen träumen Winzer. Der Regent zählt definitiv nicht dazu. Nur zwei Prozent der deutschen Rebfläche sind damit bestockt. Doch Regent verfügt über genau die Eigenschaften, die zu Scholz, dem Geschäftsmann, passen: Er ist hart im Nehmen und fordert nicht viel Zeit. 70 Stöcke sind es zunächst nur, die Scholz sein Eigen nennen darf. Seine Frau und seine zwei Söhne verstehen anfangs am wenigsten, was er damit vorhat. Warum er plötzlich mit den Händen arbeiten will statt mit dem Kopf. Warum er Wein lesen will statt „Handelsblatt“. „Ich hatte das dringende Bedürfnis, endlich ein Produkt zu entwickeln, für das man sich Zeit nimmt. In der Wirtschaft ist das kaum möglich“, sagt Scholz. Er hatte keine Lust mehr, nur kurzfristig zu denken, jedes Quartal zu prüfen, ob Ziele erreicht wurden oder Auslastungen stimmten. Als Winzer merkt man erst Jahre später, ob sich die Arbeit, die man in einen Weinstock steckt, auch auszahlt.

Scholz besucht Sommelier-Kurse, Weinseminare, wühlt sich durch Fachliteratur und freundet sich mit dem Schwaben Andi Knauß an, der das Handwerk von der Pike auf gelernt hat. Die beiden tun sich zusammen. Gegen den Rat vieler Experten setzt sich Scholz mit dem Wunsch durch, einen Müller-Thurgau zu machen; ein Wein mit ähnlich schlechtem Image wie die Rebsorte Regent. Auch Scholz’ Vorschlag, einen Teil des Weines im Holzfass zu lagern, wird belächelt. Nein, es sei nirgends ein Fass frei, bekommt er zu hören.

Da stapft er los und kauft sich sein eigenes Fass. Wenn Scholz bei den harten Verhandlungen um die Lkw-Maut eines gelernt hat, dann Kritik auszuhalten und die Fäden immer in der Hand zu behalten. Neben seiner Überzeugung kommt ihm dann ein glücklicher Zufall zu Hilfe, der sich zunächst gar nicht glücklich anfühlt: Ein Hagelschauer vernichtet fast die gesamte erste Ernte.

Scholz gibt aber keine der verbliebenen Trauben verloren, pflückt sie einzeln von den Reben. Seine kleine Beute wird in der Barrique ausgebaut. 18 Monate lang. Viel länger, als ein erfahrener Winzer den Wein hätte liegen gelassen. Aber wie gesagt: Scholz will den Dingen Zeit geben. Und das Ergebnis ist überwältigend: Experten überhäufen das Duo Scholz und Knauß mit Lob, in Fachzeitschriften wie „Fine“ oder „Falstaff Wine Guide“ werden sie als „Entdeckungen der Branche“ gefeiert. Ein Hamburger und ein Schwabe haben gemeinsam einen Wein kreiert, der stolz ist auf die Scholle, von der er kommt. Konsequenterweise sind die Etiketten der Flaschen mit den Geodaten der Weinhänge bedruckt. Beispielsweise hat der Regent die Koordinaten: 48° 47’ 45’’ north 009° 25’01’’ east. Da sich diesen Namen kein Kunde merken kann, kam noch der poetische Titel „Parfum der Erde“ hinzu. Auf den ersten Weinmessen lästerten manche Konkurrenten noch, niemand wolle Parfum trinken. „Doch diese Stimmen sind schnell verklungen“, sagt Scholz.

Inzwischen bewirtschaftet er 1,5 Hektar und bietet fünf verschiedene Weine an: Müller-Thurgau, Regent, Riesling, Schillerwein und Spätburgunder. Obwohl die Preise üppig sind (12 bis 29 Euro) könnte Scholz von seinem „Wein-Start-up“ nicht leben. Er entwickelt daher weiterhin Mobilitätskonzepte; jetzt für ein Hamburger Unternehmen. Alle zwei Wochen aber fährt er von seiner Wohnung in Winterhude gen Süden, um nach seinem Weinberg zu sehen. Für das Jahr 2015 wünscht sich Scholz, dass die Norddeutschen den Mut finden, mal einen deutschen Rotwein zu probieren. So gewagt wäre das nicht, denn „Parfum der Erde“ schmeckt sehr undeutsch; wüsste man es nicht besser, würde man eher auf Frankreich oder Italien als Herkunftsland tippen. Ob er nach seinem unerwarteten Erfolg an den Weingott glaubt? Scholz überlegt: „Zumindest glaube ich, dass sich durch Enthusiasmus Dinge ergeben können, mit denen man nie gerechnet hat.“ In vino veritas.

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