Mann mit Biss: Kevin Fehling ist Deutschlands jüngster und coolster Dreisternekoch. Zu Besuch beim Küchenchef des La Belle Epoque in Travemünde

Travemünde. Er trägt eine schwarze Küchenjacke, keine weiße. Das sei ihm zu traditionell. Durch seine rosigen Wangen und die hellwachen blauen Augen sieht Kevin Fehling noch jünger aus, als er tatsächlich ist – 37. 2013 erkochte sich der in Detmold geborene Mann seinen dritten Michelin-Stern. Im Alleingang machte er mit seiner „weltoffenen Kreativküche“ aus dem Ostsee-Kurbad einen internationalen Gourmet-Hotspot. Ein Gespräch über die Kraft des Universums und Hollywood auf dem Teller.

Hamburger Abendblatt:

Den Strand immer vom Restaurant aus zu sehen – ist das nicht oft allzu verlockend, um nicht in der heißen Küche zu stehen?

Kevin Fehling:

Ach, das geht. Natürlich ist es ein Luxus, direkt am Meer zu sein. So viel Küste haben wir ja in Deutschland nicht. Ich gehe morgens gern eine Stunde vor der Arbeit an den Strand, um zu schwimmen und zu relaxen.

Wie sieht dann der folgende Arbeitstag aus?

Fehling:

Ich kreiere Gerichte, von der Rezeptur über die Komposition der Zutaten bis zur Anrichtung. Das mache ich eigentlich den ganzen Tag. Bis dann abends das Restaurant öffnet.

Sie wirken dabei ganz ausgeglichen. Jacques Lemercier, der in den 70er-Jahren die französische Küche nach Hamburg brachte, fühlte sich schon durch einen Michelin-Stern unter Druck. Und auch heute geben viele Kollegen freiwillig ihre Sternerestaurants auf. 2013 erkochten Sie sich Ihren dritten Stern. Wie gehen Sie mit dem Leistungsdruck um?

Fehling:

Eigentlich mache ich mir erst darüber Gedanken, seitdem mir die Frage gestellt wird. Das ist vielleicht naiv, und der große Druck kommt noch. Aber eigentlich ist das, was ich jetzt mache, genau das, was ich immer wollte. Deshalb empfinde ich es nicht als Belastung.

Was hat sich seit dem dritten Stern verändert?

Fehling:

Aus dem etwas verschlafenen Kurbad an der Ostsee ist ein Anlaufpunkt für Gourmet-Touristen geworden. Nicht nur aus ganz Deutschland oder Europa. Die Gäste kommen mittlerweile aus Russland, Amerika und Taiwan.

Hamburger Sterneköche wie Thomas Martin oder Christoph Rüffer treten sehr häufig öffentlich auf. Gehört das dazu, wenn man sich einen großen Namen machen will?

Fehling:

Ja, mit Sicherheit. Wenn man in seiner Küche bleibt und wartet, dass die Gäste kommen, passiert nichts. Die Sterne zu erhalten ist zwar enorm wichtig. Aber langfristig muss man mehr dafür tun, zum Beispiel auf große Veranstaltungen gehen, möglichst auch im Ausland. Es macht ja auch Spaß, mit anderen Kollegen zusammen zu kochen.

Was ist Ihr Geheimnis?

Fehling:

Ich habe das Glück, ein gutes Hotelmanagement im Rücken zu haben, das meine Kreativität und meinen Ehrgeiz nach Perfektion unterstützt. Wahrscheinlich wäre ich nicht so gelassen, wenn ich mir ständig Sorgen um Zahlen machen müsste. Denn das Restaurant ist zwar sehr gut gebucht, aber es gibt auch mal ruhige Tage. Grundsätzlich bin ich ein Mensch, der eine positive Lebensenergie hat. Und die übertrage ich auch in meine Küche. Ein gutes Arbeitsklima ist sehr wichtig. Wenn ich einen faulen Apfel entdecke, wird er behutsam, aber konsequent aussortiert.

Haben Sie einen anderen Umgang in der Küche kennengelernt?

Fehling:

Ich habe einige cholerische Küchenchefs erlebt. Da wurde geschrien, geschubst und getreten. Im Nachhinein muss ich sagen, dass diese Erfahrungen zwar zu der Zeit hart waren, aber sie haben mir auch sehr viel Disziplin beigebracht. Schon damals habe ich mir vorgenommen, es anders zu machen. Zum Glück hatte ich auch ganz andere Küchenchefs, zum Beispiel Wahabi Nouri in Hamburg. Die Zeit bei ihm war geprägt von einer sehr netten, familiären Atmosphäre. Dabei hat er ja sogar die Doppelbelastung, mit einem Sternerestaurant selbstständig zu sein. Und doch geht Nouri sehr gelassen und positiv damit um. Das hat mich sehr beeindruckt.

Die „Welt am Sonntag“ schrieb kürzlich, Kevin Fehling arbeite hart an seiner Legendenbildung. War es schon immer Ihr Ziel, auf so hohem Niveau zu arbeiten?

Fehling:

Es war immer schon mein Ziel, einen Michelin-Stern zu erkochen. Davor war der Druck sehr hoch, denn ich hatte richtig hinausposaunt, dass ich dieses Ziel erreichen will. Nach meiner Ausbildung im Hotel Thomsen in Delmenhorst habe ich mir meine nächsten Stationen ganz gezielt danach ausgesucht, welches Restaurant einen weiteren Stern hat. Und als das La Belle Epoque schließlich Hoffnungsträger auf einen zweiten Stern wurde, habe ich zu meinem Team gesagt: ‚Wenn wir das schaffen, schaffen wir auch einen dritten. Dann ist der zweite Stern nur eine Etappe.‘

Worin besteht denn der Unterschied zwischen einer Zwei- und einer Dreisterneküche?

Fehling:

Besserer Geschmack, bessere Qualität und Zusammenstellung der Produkte, Kreativität, die eigene Handschrift – die hatte ich eben schon mit 35 entwickelt. Das ist die Stärke des „Guide Michelin“: Er bewertet das Produkt in der Gegenwart – egal, wie jung oder alt ein Koch ist.

Sie haben auch beim Altmeister Harald Wohlfahrt in Baiersbronn gearbeitet. Ist er ein Vorbild?

Fehling:

Ich habe keine Vorbilder. Ideen finde ich nicht bei anderen. Bei meiner Arbeit rufe ich die Kreativität ausschließlich bei mir selbst ab. Schließlich ist es mein Ziel, kopiert zu werden, nicht zu kopieren. Was ich bei Harald Wohlfahrt aber gelernt habe, ist die Perfektion der Abläufe. Davon profitiere ich bis heute.

Wie arbeiten Sie?

Fehling:

Ich bekomme von überall Inspirationen, sei es von meiner kleinen Tochter oder durch einen Urlaub. Zum Beispiel habe ich seit meinem Südafrika-Urlaub lange über ein Dessert mit dem Namen „The Big Five“ nachgedacht. Ebenso haben mich ein paar Tage in Indien zu dem Gericht „Message in a Bottle“ inspiriert, das dem Gast tatsächlich von einer Flaschenpost angekündigt wird.

Essen als Gesamtkunstwerk...

Fehling:

Ich weiß nicht, ob Kochen Kunst ist, es ist zumindest ein Prozess. Ich will beim Gast Emotion wecken. Und wenn man in Betracht zieht, dass der Erfinder der Molekularküche Ferran Adrià zur Documenta nach Kassel eingeladen wurde, muss man annehmen, dass Kochen eine Kunst sein kann. Auch ich habe bereits mehrfach in sehr guten Restaurants erlebt, dass mich ein Gericht flasht. Das geht dann über reine Perfektion hinaus.

Sehen Sie sich denn als Künstler? Bei dem Starkult, der heute um Spitzenköche gemacht wird, kann man ja leicht abheben...

Fehling:

Ich weiß, dass ich in vielen Dingen anders ticke als andere. Bei mir muss jeder Gang eine Aussage haben, eine Inspiration, eine Geschichte. Ich will Gerichte kreieren, die es auf diesem Planeten noch nicht gibt. Ich glaube an kulinarische Intelligenz, die übrigens auch der Gast haben kann, der ein Essen richtig schmeckt. Bei aller Kreativität muss natürlich zuallererst der Geschmack stimmen. Eine Speise darf nicht zu verkopft sein. Kompliziert darf es nur für mich sein. Der Gast soll Hollywood auf dem Teller bekommen.

Noch einmal zurück zum Starkult – finden Sie den übertrieben?

Fehling:

Alles, was gut ist, hat die Berechtigung, gehypt zu werden. Dieser Kult findet in anderen Ländern schon seit Jahrzehnten statt, zum Beispiel in Frankreich. Als ich Koch lernte, war das zuallererst ein Knochenjob mit üblen Arbeitszeiten und schlechtem Verdienst. Da war von Starkult noch nichts zu spüren. Heute wollen viele Gäste ein Autogramm von mir. Der Hype setzte sicherlich auch mit den Kochshows im Fernsehen ein. Leider denken dadurch 90 Prozent der Zuschauer, dass Alfons Schuhbeck der beste Koch Deutschlands ist.

Wäre eine Kochshow auch etwas für Sie?

Fehling:

Es wäre langsam mal Zeit für ein bisschen mehr Seriosität im Fernsehen.

Es müsste das richtige Angebot kommen?

Fehling:

Ja. Allerdings hätte das Restaurant immer Priorität. Die Drehtage müssten sich drum herum abspielen.

Mal abgesehen von der Sicherheit und dem Renommee, die Ihnen das Columbia Hotel bietet – wie wäre es mit einem eigenen Restaurant?

Fehling:

Das kommt für mich jetzt nicht in Frage. Aber ich denke darüber nach, was in Deutschland fehlt. Zum Beispiel eine so hochklassige Küche wie hier im Restaurant, aber mit coolem, lockeren Service. Im La Belle Epoque haben wir angefangen, viele standardisierte Dinge wegzulassen, zum Beispiel gibt es keine Pralinen und keinen Käsewagen mehr und nur noch eine Sorte Brot statt drei Sorten. Auch die Speisekarte wurde reduziert. Jetzt haben wir nur noch ein Neun-Gänge-Menü, können aber trotzdem Vielfalt bieten.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Fehling:

Eigentlich soll alles so bleiben, wie es ist. Meine Familie soll gesund bleiben. Beruflich möchte ich natürlich das hohe Niveau halten. Mehr kann man eigentlich vom Leben nicht erwarten.

Anfang Oktober erscheint Ihr erstes Kochbuch mit dem Titel „Prodigy“, also Ausnahmetalent, Wunderkind. Zielt das auf Ihre Person ab?

Fehling:

Der Titel zielt darauf ab, dass ich die Welt und unser ganzes Leben als ein Wunder sehe. Die Planeten auf dem Cover wiederum spielen auf meinen Hang zur Astronomie an, sie könnten aber auch kleine gefrorene Perlen sein, wie wir sie als Stilistik auf den Tellern verwenden. Das Kochbuch versammelt die besten Rezepte der vergangenen eineinhalb Jahre. Es soll zum Nachkochen inspirieren, aber auch zum Schmökern und Sammeln.

Was macht denn unser Leben so wundersam?

Fehling:

Allein die Geburt meiner Tochter war für mich ein absolutes Wunder. Und wenn man sich unser komplexes Leben anschaut, so ist es doch schwer vorstellbar, dass nicht eine höhere Kraft irgendwo im Universum dahintersteckt. Mit Glauben und Astronomie beschäftige ich mich fast genauso viel wie mit dem Kochen. Allerdings konnte ich mich nie einer bestimmten Religion zuordnen.

Seit wann beschäftigen Sie sich mit diesen Dingen?

Fehling:

Seit meiner Kindheit. Heute nehme ich mir das Bewusstsein über die Endlichkeit des Lebens als Antrieb, um Außergewöhnliches zu leisten.