Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider trifft regelmäßig Hamburger Persönlichkeiten auf ein Getränk ihrer Wahl. Das Gespräch endet, wenn das Glas leer ist. Heute: Hannelore Lay, Stiftung Kinderjahre.

Seit bald zehn Jahren kümmert sich die Stiftung Kinderjahre um bessere Bildungschancen für benachteiligte Jungen und Mädchen, derzeit mit einer Vielzahl von Projekten an 32 Schulen. Ein Gespräch mit der Vorsitzenden Hannelore Lay.

Hamburger Abendblatt: Auf ein Glas – und Sie trinken Apfelschorle, liebe Frau Lay.

Hannelore Lay: Für Wein ist es noch zu früh. Kann ja auch nicht jeder wie Herr Karan schon am Nachmittag Lust auf schweren Rotwein haben (lacht).

Ich sehe, Sie verfolgen diese kleine Reihe.

Lay: Natürlich. Schließlich hatten wir beide uns schon im Februar auf ein Glas verabredet, lieber Herr Haider.

Und keine zehn Monate später hat es schließlich geklappt.

Lay: An mir lag es nicht.

Das habe ich befürchtet. Sie haben sich das Gallo Nero für unser Treffen ausgesucht. Ihr Lieblingsrestaurant?

Lay: Es ist absolut mein Lieblingsrestaurant, weil es direkt vor der Tür ist. Ich brauche nur die Treppe runter und bin schon da.

Wissen Sie, dass es zu den drei besten italienischen Restaurants in Hamburg gehören soll?

Lay: Völlig zu Recht.

Treffen Sie sich auch mit der Stiftung hier?

Lay: Nein, das können und wollen wir uns gar nicht leisten. Ich habe zum Glück eine sehr große Wohnung mit einem Besprechungszimmer, in das alle reinpassen. Wir kochen dann meistens selber.

Wie oft treffen Sie sich?

Lay: Alle zwei Monate.

Nur der Vorstand?

Lay: Alle, also Vorstand und Kuratorium und die Ehrenamtlichen, die Projekte an Schulen machen. Das ist ganz wichtig, weil die sich sonst nie sehen. Der eine ist in Wilhelmsburg, der andere in Wandsbek, der nächste in Bramfeld. Die holen wir in den Stiftungsräumen zusammen, damit sie sich austauschen und erfahren können, was woanders läuft, wo man Hilfe erhält. Wir arbeiten ja ausschließlich mit Schulen, und mussten auch erst lernen, dass die ganz anders ticken als die Unternehmen, aus denen die meisten von uns kommen.

Was ist denn der größte Unterschied zwischen Schulen und Unternehmen?

Lay: Das unternehmerische Denken fehlt nach wie vor oft, obwohl die Schulen ja inzwischen eigene Budgets haben, die sie selbst managen müssen. Und der Mut zum Risiko ist auch nicht so da. Vielleicht passt das nicht, wenn man Verantwortung für Kinder und Jugendliche hat. Aber manchmal würde ich mir einen kleinen Kick wünschen.

Sie haben als Stiftung ja eine der großen Fragen unserer Zeit vor der Brust: Werden Kinder, die aus sozial benachteiligten Familien kommen, überhaupt jemals die gleichen Bildungschancen haben wie Kinder aus gut situierten Familien?

Lay: Ich befürchte nicht. Wir können die Unterschiede reduzieren, wir können den Kindern Angebote machen, die sie zu Hause nicht erhalten – deshalb arbeiten wir nur mit Schulen zusammen, weil wir dort verschiedene Kinder erreichen können. Was wir nämlich manchmal vergessen ist, dass auch Akademiker-Kinder große Probleme haben können, wenn die Eltern beruflich sehr engagiert sind. Wenn deren Freizeitaktivitäten sehr früh von der Familie outgesourct werden, ist das ebenfalls nicht ideal.

Aber immerhin ist der Bildungshintergrund da.

Lay: Das stimmt, und wenn dann mal was in der Schule nicht funktioniert, reagieren die Eltern aus solchen Familien schnell. Dann gibt es Nachhilfe und notfalls geht es ins Internat. In den bildungsfernen Familien ist das anders: Da registriert man, dass es die Kinder nicht schaffen, und nimmt das so hin. Muss das so hinnehmen. Am schönsten wäre es natürlich, wenn wir uns mit der Stiftung selbst überflüssig machen würden. Aber davon sind wir noch weit entfernt.

Dabei gibt es die Stiftung 2014 schon zehn Jahre. Was hat sich in dieser Zeit in Ihrer Arbeit geändert, inwieweit haben sich die Schüler verändert, was hat die Ganztagesschule bewirkt?

Lay: Die Ganztagesschule ist für mich ein Segen. Die Kinder, mit denen wir zusammenarbeiten, finden in ihren Familien oft keine Struktur vor. Ihre Struktur ist die Schule, und je länger sie dort sind, um so besser. So wahr ein Kind zur Mutter oder zum Vater gehört, so wahr haben es unsere Kinder in der Schule mit der Versorgung oftmals einfacher. Das fängt mit dem Frühstück an – und endet am Nachmittag, wenn sich Zwölf- oder 13-Jährige auf die Fensterbank setzen, den Vorhang zuziehen und den Schlaf nachholen, den sie zu Hause offensichtlich nicht finden.

Wie gut ist ihr Kontakt zu den Eltern?

Lay: Gleich null. Oftmals wissen die Eltern gar nicht, welche Projekte wir zum Beispiel mit der Stiftung in den Schulen ihrer Kinder machen. Aber das ist uns auch nicht so wichtig. Wichtig ist, dass unsere Arbeit funktioniert. Ich habe sowieso die Erfahrung gemacht, dass es immer dieselben Eltern sind, die sich für Schule interessieren und engagieren. Die meisten haben ganz andere Sorgen.

Dagegen setzen Sie das Schulfach Glück. Was macht Kinder glücklich?

Lay: Anerkennung zu erhalten, und an sich etwas zu erkennen, was sie vorher nicht gewusst haben. Wir haben ein Projekt, das heißt „Learning Kids“, Grundschüler gehen in eine Firma, zum Beispiel zum Hamburger Abendblatt. Wenn wir so etwas machen, fühlen sich die Kinder ernst genommen, sie dürfen Menschen Fragen stellen, denen sie sonst nicht begegnen. Und sie erfahren übrigens auch, wie Menschen aussehen, die zur Arbeit gehen. Das wissen nämlich einige aus ihrem persönlichen Umfeld nicht. Sie lernen, dass das ganz normale Leute sind und Arbeiten etwas ist, was Spaß machen kann.

Das erinnert mich an eine Schulklasse, die einmal die „Berliner Morgenpost“ besucht hat. Als ich fragte, wer denn eine Zeitung zu Hause hat, meldete sich von 25 Schülern niemand. Daraufhin flüsterte mir die Lehrerin zu, ich sollte einmal fragen, wer Eltern hätte, die arbeiten. Was glauben Sie?

Lay: Es meldeten sich vier.

Nein, einer. Gibt es so etwas in Hamburg auch?

Lay: Das weiß ich nicht. Ich hoffe es nicht.

Sie sind überwiegend in den sogenannten sozial schwächeren Stadtteilen unterwegs. Brauchen die Kinder in Blankenese kein Schulfach Glück?

Lay: Unbedingt bräuchten Sie es, und unser Konzept kann wirklich jeder haben. (Trinkt das Glas aus) Wir als Stiftung müssen aber genau gucken, wo unsere Gelder benötigt werden – und wo nur unsere Ideen. Durfte ich das noch sagen?

Sie mussten es sogar.