Däne Arne Carlsen leitet das Hamburg Institut der Unesco. Bildung, erklärt der begeisterte Forscher, sei mehr als nur schulische Erziehung.

Hamburg. Offiziell heißt es Unesco-Institut für Lebenslanges Lernen (UIL). Für Bildungsforscher in aller Welt ist es einfach das Hamburg Institute. Die herrschaftliche Villa liegt an der Feldbrunnenstraße, mit Blick auf das Museum für Völkerkunde. Errichten ließ sie 1908 Hapag-Generaldirektor Albert Ballin. "Hier, wo jetzt mein Büro ist", sagt UIL-Direktor Arne Carlsen aus Dänemark, "war sein Schlafzimmer. Dort drüben, wo jetzt ein Sekretariat untergebracht ist, schlief der Kaiser Wilhelm II., wenn er Ballin besuchte."

Gerade hat das Institut 60. Geburtstag gefeiert. 1952, im Gründungsjahr, war Deutschland noch mehr als 20 Jahre davon entfernt, Mitglied der Vereinten Nationen zu werden. Arne Carlsen ist noch ein bisschen "der Neue", er übernahm die Leitung Mitte 2011 von Adama Ouane aus Mali. Im Institut arbeiten 35 Mitarbeiter aus 18 Ländern. 15 von ihnen sind Erziehungswissenschaftler. Vor 60 Jahren sollte sich das UIL nach dem Willen der Unesco-Mitglieder (heute 195 und acht assoziierte) vor allem um wirksame Friedenserziehung im Nachkriegsdeutschland kümmern. Seit den 1970er-Jahren haben sich die Interessen der Weltgemeinschaft und ihr Auftrag stark gewandelt.

"Dieses Institut", sagt Carlsen, "war aktiv darin, das Konzept der Lese- und Schreibfähigkeit zu formulieren. Bei Analphabetismus geht es ja nicht nur darum, dass jemand Buchstaben und Wörter nicht erkennen kann. Es heißt ja auch, dass jemand nicht angemessen kommunizieren kann, um in seiner Gesellschaft etwas zu erreichen."

Bildung, erklärt Carlsen, sei mehr als schulische Erziehung. Es wird ja auch außerhalb der Schule gelernt, ein ganzheitlicher Ansatz soll alles erfassen - von der Zeit vor der Schule bis zum Lernen nach der Universität. Gelernt wird an vielen Orten des Lebens.

Wenn Carlsen darüber spricht, spürt man die Leidenschaft, die in dem dänischen Experten für Erwachsenenbildung glüht. Und man erlebt den Diplomaten, vorsichtig formuliert, weil er den besonderen Situationen und Wünschen so vieler Staaten Rechnung tragen und Entscheider, Forscher und Praktiker davon überzeugen muss, "gemeinsam über Bildung nachzudenken und sprechen".

Zu internationalen Workshops, Konferenzen und Seminaren kommen jedes Jahr 150 bis 200 hochrangige Vertreter nach Hamburg. Der Hauptteil der Arbeit findet aber draußen, rund um den Erdball, statt. Carlsen vergleicht: "Das hier ist ein Kraftwerk, ein Laboratorium, eine Home Base für die weltweite Verbreitung von Bildungswissen. Hier werden internationale Forschungen gesammelt und gesichtet und notwendige neue initiiert. Wir überprüfen die Ergebnisse und tragen die besten weiter. Wir gehen in viele Länder, bilden dort Bildungsfachleute weiter, in den Ministerien und Institutionen."

Die Auswirkungen der Beschlüsse internationaler Bildungskonferenzen der Unesco werden von Hamburg aus beobachtet und publiziert. Die Fachbibliothek mit 60.000 Bänden gilt weltweit als einzigartig.

Der Professor mit dem Diplomatenpass hat schon mit 16 Jahren erste Erfahrungen in der Erwachsenenbildung gesammelt. Sein Vater leitete eine Art Volkshochschule in Dänemark, der Sohn, der Klavier und Orgel spielte, unterrichtete Musik im Gefängnis von Horsens. Und blieb immer der Erwachsenbildung treu, neben seiner steilen Universitätskarriere als Bildungsforscher, in der er größten Wert auf internationale Vernetzung gelegt hat. Bis er, 57 Jahre alt, derjenige war, dem die Unesco das Hamburg Institute anvertraute. "Ein Drittel meiner Zeit", sagt er, "bin ich international unterwegs."

Hamburg ist der Ruheort zwischen seinen vielen "Missions". Und hier - das hat er sich fest vorgenommen - will er zwei Bücher vollenden: Eines untersucht, eher psychologisch, wie man Menschen so starkmachen kann, dass sie in der Lage sind, über ihr Leben eigene Entscheidungen zu treffen. Und ein zweites: Wie schafft man die lernende Gesellschaft?

Gerade war er in China, "da haben wir darüber diskutiert, weltweit ein Netz von 'Learning Cities' aufzuspannen. Wir werden im nächsten Herbst in Peking starten. Korea und China haben ein großes Interesse daran, Städte zu lernenden Städten zu machen. Das wird einen großen Schub geben, um die an den Rand Gedrängten - Arbeitslose, Behinderte, Gefängnisinsassen, Immigranten etwa - zu integrieren."