Fünf Brauereien knüpfen an die große Zeit der Bierstadt Hamburg an – und beleben den Senatsbock neu. Ab Donnerstag wird er ausgeschenkt.

Alles begann an einem Freitag, dem 13. Das Jahr 1956 war erst einige Tage alt, als man sich in der Hansestadt einer alten Tradition besann. Schon im zwölften Jahrhundert galt Hamburg als „Brauhaus der Hanse“ – an Elbe, Bille und Alster gab es nicht nur ungewöhnlich viele Brauereien, sondern auch eine Fülle von Stilen und Geschmacksrichtungen. In der Nachkriegszeit entwickelten dessen eingedenk die fünf großen Brauereien Holsten, Bavaria St. Pauli, Elbschloss (Ratsherrn), Bill und Winterhuder gemeinschaftlich ein hochwertiges Starkbier – den Senatsbock. Sein Anstich im Januar bescherte den genussfreudigen 50er-Jahren einen weiteren Anlass zum Feiern. Für wenige Jahre bekam die Hansestadt eine „fünfte Jahreszeit“, eine faszinierende Mischung aus Schützen- und Oktoberfest, aus Karneval und Herrenabend.

Im Festsaal des Curiohauses jubilierte zum Anstich des Senatsbocks der Brauerchor, die Bierfahrergarde marschierte auf, und bis zu 2000 durstige Kehlen harrten des Doppelbocks. Zu den Zeremonienmeistern des rauschenden wie berauschenden Abends avancierten der Zweite Bürgermeister Edgar Engelhard und Polizeipräsident Bruno Georges. Letzterer ließ als „Anstecher vom Dienst“, mit Lederschürze um den mächtigen Bauch und mit Holzhammer in der Hand, unter Fanfarengeschmetter die Luft aus dem Fass. Bürgermeister Engelhardt nahm einen tiefen Schluck aus dem 400 Jahre alten Silberpokal und konstatierte stets: „Mein Urteil: Wohlgeraten und für den menschlichen Genuss geeignet.“ Daraufhin spielten die Kapellen auf, das Bockbier mit sechs Prozent Alkoholgehalt floss in Strömen, und so mancher Hanseat schlug bierselig über die Stränge.

Hans Harbeck dichtete damals im Abendblatt: „Und dann kam die Stunde, wo der erste halbe Liter Senatsbock sich meinen Blicken als greifbare Wirklichkeit darbot und alsbald durch meine durstige Kehle rann. Er schmeckte wie Sahne. Mein Zechkumpan, ein alter Musikus, schnalzte mit der Zunge vor lauter Behagen. Wir tranken mehr als einen halben Liter und gerieten in einen Zustand der bedingungslosen Lebensbejahung.“

1959 meldete die „Deutsche Wochenschau“ überrascht, wie die „steifen Hanseaten einigermaßen aus dem Häuschen gerieten“. Den Schlachtruf „Die Herzen auf, die Kehlen weit, zur diesjährigen Senatsbockzeit“ nahmen sie wörtlich. Prominenz wie Uwe Seeler oder Max Schmeling feierte kräftig mit, die Presse fabulierte von „Bombenstimmung“. Die Feste im Curiohaus entwickelten sich zu einem „feuchtfröhlichen Herrenabend“, bei dem sich die Hanseaten mit Zylinder zu vorgerückter Stunde unterhakten und Stimmungslieder schmetterten. Derlei Bilder von Bürgermeister und Polizeipräsident würden im 21.Jahrhundert vermutlich Rücktrittsforderungen in Serie provozieren...

Einige findige Brauer aus Hamburg hingegen motivierte es zu neuen Taten. Einer dieser Bierverrückten ist Axel Ohm, Mitgründer des Braugasthauses Alten Mädchen. Über den Hamburger Autor Harald Schloz stieß Ohm vor zwei Jahren auf alte Emaille-Schilder und Poster des Senatsbocks und erfuhr dann, dass der Senatsbock gemeinschaftlich eingebraut wurde. „Das brachte mich auf die Idee, den Senatsbock wieder als gemeinsames Projekt anzuschieben“, erzählt Ohm. Neben Ratsherrn, das als Marke schon damals dabei war, traf er sich mit den Brauern von Blockbräu, Joh. Albrecht, Gröninger und Kehrwieder Kreativbrauerei – große Überzeugungsarbeit musste er nicht leisten. „Wir sind voll in unserem Element, wenn wir gemeinsam eine vergessene Tradition mit ihrem einzigartigen Geschmack neu entfachen können“, so Thomas Kunst, leitender Braumeister bei Ratsherrn.

Intensiv arbeiteten die fünf an der Rezeptur der neuen Senatsbocks. „Ich kannte den Senatsbock theoretisch. Ursprünglich war es ein Doppelbock mit 19 Prozent Stammwürze, also ganz schön kräftig. Wir haben dann verschiedene Bockbiertypen verkostet, um uns an eine Rezeptur anzunähern“, sagt Oliver Löb, Braumeister vom Joh. Albrecht Brauhaus. Seit Oktober reift der Senatsbock nach einer gemeinsam abgestimmten Rezeptur in Lagertanks.

Die Brauer versprechen einen unverwechselbaren Geschmack. „Die Zusammenarbeit war eine tolle Erfahrung. Entstanden ist ein samtig-weicher, schokoladiger Bock mit leichten Espressonoten“, so Oliver Wesseloh, Braumeister der Kehrwieder Kreativbrauerei. „Der neue Senatsbock schlägt eine Brücke zwischen dem klassischen und innovativen Anspruch“, sagt Philipp Diener, Brauer und Mälzer in der Gröninger Privatbrauerei.

„Bier ist Teil der DNA dieser Stadt“, betont Ohm. „Ausgerechnet im traditionsreichen Hamburg haben das nur alle komplett vergessen.“ Die Begeisterung für besondere Biersorten verflog angesichts des Siegeszugs des Pilsener; das Verbindende wich einem zunehmenden Konkurrenzkampf; Brauereien verschwanden oder wurden geschluckt. Den Todesstoß versetzte schließlich Holsten im März 1971 dem Senatsbock: Die Altonaer stiegen aus der Kooperation der Brauer aus und brachten ihren eigenen „Senator“ auf den Markt, dem nur ein kurzes Leben beschieden war.

44 Jahre später erlebt der Senatsbock am Donnerstag seine Wiederauferstehung. Möglicherweise ergeht es den Genießern dann wie dem Abendblatt-Autor. Thomas Hundt, Braumeister bei Blockbräu, warnt schon: „Mein Tipp: den Senatsbock vorsichtig und bewusst genießen. Ich würde empfehlen, das Auto beim Anstich besser stehen zu lassen. Und sogar nahelegen, das Gleiche mit dem Fahrrad zu tun.“